Theaterkritik | "Stolz und Vorurteil *oder so" - Jane Austen unter der Diskokugel

Mo 24.04.23 | 09:39 Uhr | Von Silke Mehring
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Die Schauspielerin Anna Maria Mühe steht bei einer Fotoprobe zur Theaterinszenierung "Stolz und Vorurteil *oder so" der Komödie am Kurfürstendamm im Theater am Potsdamer Platz auf der Bühne. (Quelle: Picture Alliance/Jens Kalaene)
Audio: rbb24 Inforadio | 24.04.2023 | Silke Mehring | Bild: Picture Alliance/Jens Kalaene

Jane Austens Klassiker wird im Theater am Potsdamer Platz zu "Stolz und Vorurteil *oder so". Schauspielerin Anna Maria Mühe gibt die widerspenstige Tochter Elizabeth Bennet. Ein schrilles, schräges und überdrehtes Spektakel. Von Silke Mehring

Vor mehr als 200 Jahren hat die britische Schriftstellerin Jane Austen mit ihrem Roman "Stolz und Vorurteil" einen Klassiker der Weltliteratur geschaffen. Verfilmt wurde der Roman schon häufiger, am Sonntagabend aber hat eine ganz besondere Theater-Adaption des Stoffes Premiere gefeiert: "Stolz und Vorurteil *oder so" – so heißt die Interpretation der Schottin Isobel McArthur für die Bühne.

Zu sehen gab es die Premiere im Berliner Theater am Potsdamer Platz, wo die Komödie am Kurfürstendamm gerade logiert. Besonders aufregend war die Premiere für die Berliner Schauspielerin Anna Maria Mühe, die in dem Stück ihr Theater-Debüt gab.

Die Dienstmädchen erzählen

Das Schicksal der fünf Bennet-Töchter scheint vorgezeichnet: Um die Familie vor der Verarmung zu retten, will Mutter Bennet ihre Mädchen meistbietend unter die Haube bringen. Das ist die Ausgangslage. Die Mädchen sind willig - nur Tochter Elizabeth Bennet ist frech, widerspenstig, überaus selbstbewusst – und unkonventionell.

Die Geschichte der Bennet-Töchter und ihrer adligen Verehrer wird auf der Bühne durch raffinierte Kniffe ins 21. Jahrhundert geholt: Es erzählen und spielen die, die in der Literatur wie im Leben unsichtbar blieben: Die Dienstmädchen – ausgestattet mit dem Wissen von heute. Und sie schlüpfen immer wieder auch in die Rollen der Bennet-Töchter. Das heißt: Nur fünf Schauspielerinnen schmeißen sich in Windeseile in wechselnde Kostüme, springen von weiblicher zu männlicher Rolle – und spielen so in rasantem Tempo an die 20 Figuren.

Mit Inbrunst geschmettert

Das Bühnenbild besteht aus einem würfelförmigen Metallgerüst, fünf großen Kostümkisten, einer Diskokugel und einer Schaukel. Das ist alles. Aber sobald sich der Metallwürfel nur einmal dreht, entsteht durch winzige Veränderungen eine neue Kulisse – mal wird die Bühne unter der glitzernden Diskokugel zum Ballsaal, mal zum Haus der Bennetts vor einer Pergola aus blühenden Pflanzenranken.

Nur wenige Requisiten reichen aus, um Szenen- und Ortswechsel zu signalisieren. So zeigen ein Steckenpferd, ein Ast und ein Laubbläser vor blitzender Licht-Projektion an, dass Tochter Jane durch eine düstere Gewitternacht reitet.

Im temporeichen Bühnen-Spiel ist viel Musik: Schräge Song-Einlagen mit passendem 1980er Jahre-Potpourri machen das Stück zu einer ironischen, fetzigen Pop-Komödie. Da schmettern die Schauspielerinnen mit Inbrunst Liebeslieder von Wham, Chris de Burgh, Chicago und Cyndi Lauper. Als einziger Mann sitzt der Gitarrist mit auf der Bühne.

Bühnen-Neuling Mühe macht sich gut

Tiefgang und Poesie des ursprünglichen Romans lassen sich allenfalls erahnen, aber das macht gar nichts. Dafür liefern sich die Protagonisten witzige Wortgefechte am Stück, dafür ist es einfach trashig komisch, wenn die Bennet-Mutter mit Biegen und Brechen eine Hochzeit herbeizaubern will, die flapsige Tochter Elizabeth auf einen Heiratsantrag aber schlicht mit "Verpiss Dich" antwortet.

Bühnen-Neuling Anna Maria Mühe macht sich gut als schnoddrige Elizabeth Bennet. Meint man ihr die Aufregung anlässlich der ersten Theater-Premiere anfangs noch anzumerken, wird sie im Verlauf zunehmend souveräner in ihrer Rolle. Überhaupt wird man mitgerissen vom Übermut der Figuren – die Schauspielerinnen scheinen sich in der zweiten Hälfte der Aufführung selbst an der irrwitzigen Geschichte zu berauschen.

Das Patriarchat hat keine Chance in dieser feministischen Version von "Stolz und Vorurteil". Es ist die Party der Power-Frauen - ein schrilles, schräges und überdrehtes Spektakel. Dafür gibt es am Ende zu Recht tosenden Applaus und Standing Ovations. Man weiß es nicht, aber es ist gut möglich, dass auch Jane Austen ihren Spaß daran gehabt hätte.

Sendung: rbb24 Inforadio, 24.04.2023, 6:55 Uhr

Beitrag von Silke Mehring

3 Kommentare

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  1. 3.

    Anna-Maria Mühe habe ich zuletzt in „Totenfrau“ gesehen. Kenne sie nur aus Filmen. Gerne hätte ich sie mal persönlich auf der Theaterbühne erlebt. Gute Schauspielerin.

  2. 2.

    Immerhin fand somit keine "kulturelle Aneignung" statt. - Ja, vielleicht hätte man am gestrigen 10. Jahrestag des Einsturzes des Rana Plaza eher ein Stück zur fortgesetzten brandaktuellen wirtschaftlichen Ausbeutung von NäherInnen in Asien auf die Bühne bringen sollen. Aber Menschen welcher Ethnien hätten dann welche Aufgaben und Rollen übernehmen dürfen?

  3. 1.

    Multikulti-Theater?
    Nee. Ne eher das Gegenteil.
    Wenn eine weiße Autorin einen uralten Text einer anderen weißen, christlichen Autorin rezipiert, daraus eine temporeiche Komödie macht, die mit uralten Hits weißer Sängerinnen und Sängern garniert ist und das gesamte Ensemble weiße Hautfarbe hat, dann ist das weiß, lustig retroperspektivisch und schnell.
    Mainstream-Gaudi.
    Da kann man schon mal das Handy made in China rausholen und blinken lassen, denn dadurch kommt dann auch etwas Modernität ins Theater.

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