Konzertkritik | Kraftklub in der Wuhlheide - Linksgrüne Stadtmenschen und ostdeutsche Provinzler im Moshpit vereint

So 06.08.23 | 11:55 Uhr
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Kraftklub auf der Bühne (Quelle: imago images)
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Audio: Inforadio | 06.08.23 | Jule Kaden | Bild: imago images Download (mp3, 3 MB)

Kraftklub geben am Wochenende in der Wuhlheide eine Herzdruckmassage für 34.000 Fans. Die zwei Identitäten im Publikum moshen dabei zusammen gegen die AfD, gegen Rassismus und Queerfeindlichkeit. Von Julian von Bülow

Schon während des zweiten Songs sind alle verschwitzt, aneinandergedrängt wie Ölsardinen und heben beim Springen gemeinsam ab, man kann sich nicht entziehen. Kraftklubs zweiter Auftritt in der ausverkauften Wuhlheide ist wie so oft eine Unterhaltungsgarantie für Fans.

Die Band ist konzentriert bei der Arbeit, viele Ansagen gibt es nicht, Frontmann Felix Kummer singt und tänzelt auf seinem kleinen Podest. Es sind Musik und Texte, die das Publikum auflodern lassen, das sich dann in Chören, Moshpits und Bengalos feiert.

Band und Publikum heizen sich gegenseitig an, die Band liefert die ersten Zeilen - die Fans die Gänsehaut, die sich einstellt, wenn 17.000 Menschen alleine weitersingen. Die Gitarren sind wunderbar dreckig verzerrt bei Songs wie "Chemie, Chemie, Ya" oder "Karl-Marx-Stadt", der Bass bei "500 K" eine Herzdruckmassage im Meer der zum Beat erhobenen Hände.

Der Sound sitzt, vor der Bühne wie auf den Rängen.

Nicht angeben, kein Macker sein

Bei all der Euphorie versucht die Band, viel Rücksicht zu nehmen: Sei es die Ansage, das Publikum solle aufeinander aufpassen. Denn es solle ein angenehmes Konzert auch für alle Frauen und Menschen werden, die nicht dreimal pro Woche ins Fitnessstudio gehen. Sei es Julian S., der bitte sein verlorenes Portemonnaie an der Bühne abholen möge. Sei es der Vorsatz, aufstrebenden Kolleg:innen eine Bühne zu bieten, weil Kraftklub doch auch vor Größen wie den Toten Hosen, Die Ärzte, Fettes Brot oder Casper spielen durfte.

In Songs wie "Teil dieser Band" wird dargelegt, dass der eigene Erfolg eigentlich nur Glück sei und "Ein Song reicht" ist die Hymne an die Vorbilder, die die Band inspirierten. Doch heute spielen sie auch "Der Zeit bist du egal" vom neuen Album "Kargo" in dem sie für ihren Song "Dein Lied" um Entschuldigung bitten – weil sie darin eine Ex-Freundin derbe beleidigen. Doch auch zu diesem Song geht die Menge ab, atmet einmal durch und mosht dann weiter.

17.000 Verlierer aus Karl-Marx-Stadt

Reflexion, Selbstkritik und Politik werden bei Kraftklub stets mit Klamauk-Texten gemischt. So durfte Laini, vielleicht vierzehn Jahre alt, das Glücksrad auf der Bühne drehen und damit das Wunschlied "Scheiß in die Disko" auf die kollektive Playlist setzen. Frontmann Kummer erfährt: Rund 60 Kilometer entfernt, aus der Gemeinde Kotzen (Havelland) sei Laini dafür angereist.

So ist für die vielen Berliner:innen das Konzert ein nettes Zusammenkommen unter gleichgesinnten linksgrünen Stadtmenschen und ostdeutschen Provinzlern. Für Menschen wie Laini, außerhalb der Großstädte, ist es vielleicht doch etwas mehr. Denn es ist die Band selbst, die in ihren Texten immer wieder die unterschiedliche Realität von Großstadtleben und ostdeutscher Provinz aufmacht. "'Nazis raus', ruft es sich leichter, da wo es keine Nazis gibt" und "Sag mir, wer soll dich beschützen? Ostdeutsche Polizisten?" heißt es in "Wittenberg ist nicht Paris".

Und rund 17.000 Gäste schreien selbstbewusst mit der Band, man sei ein Verlierer aus Karl-Marx-Stadt.

Rückzugsräume dank Antifa

An anderer Stelle fragt Felix Kummer das Publikum, ob es schon von der Hufeisentheorie gehört habe, "also dass links und rechts gleich scheiße seien?" Schnell schiebt er hinterher: "Sehe ich nicht so."

Im Publikum weht eine Antifa-Fahne und Kummer hebt hervor, dass es die Antifa gewesen sei, weshalb es in seiner Heimat Chemnitz Rückzugsräume für Jugendliche gegeben habe. Er spricht sich gegen AfD, gegen Rassismus, Faschismus, Hass und Hetze gegen queere Menschen aus. Man müsse Intoleranz keine Toleranz entgegenbringen. Dann wehen Regenbogenfahnen von rosa maskierten Menschen auf der Bühne, während die Band "Randale" spielt.

Doch auch die leisen Töne kommen nicht zu kurz. Zwischendurch steigt die Band hinab ins Publikum, will ganz nah dran sein, wenn sie "Kein Liebeslied" spielt, während die Umstehenden niederknien und mit Handyleuchten für Romantik sorgen. Ein guter Ersatz, wenn schon der Wolkenhimmel die Sterne verdeckt. "Dieser Ort ist einfach magisch", sagt Kraftklub-Sänger Felix Kummer zum Schluss und dankt.

Nach zwei Stunden Moshen, Schmachten, Feiern und Gastauftritten von Mia Morgan und Paula Carolina können die Leute nun zurecht gut gelaunt nach Hause gehen. Und bitte duschen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 05.08.23, 07:55 Uhr

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43 Kommentare

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  1. 43.

    Also haben Sie „Nazis raus“-Rufe auch noch auf sich bezogen?
    Ich glaube, Sie waren gar nicht auf dem Konzert. Leute mit Ihrer Einstellung gehen gar nicht zum Kraftklub.

  2. 42.

    Naja, dann ist das eine andere "Dagmar", die hier regelmäßig rechte bis rechtsextreme Positionen vertritt. Und was Sie beschrieben haben, ist ein Ziel, aber doch kein Wert. Aber gut, wenn Sie nicht wissen, was Werte sind, schreiben Sie halt von "vermeintlichen Werten". Googeln Sie doch mal. Und dann auch gleich nach der Bedeutung von "vermeintlich". Und es wollen auch nicht alle Extremisten die freiheitlich demokratische Grundordnung abschaffen.

  3. 41.

    Natürlich ist es ein vermeintlicher "Wert", die Abschaffung unserer freiheitlich demokratischer Grundordnung.

    Übrigens, der Text im Ihrem Beitrag ist eine Eigenbeschreibung.und die können Sie "stecken" lassen.

  4. 39.

    So simpel strukturiert ist Ihre Welt? Wer nicht mitgrölt, wird denunziert?
    Wir erinnern uns: die Zeiten hatten wir in Deutschland schon.
    Aber: Jene Städter, zumeist mit linker politischer Gesinnung, die sich für besonders (welt-)offen halten, akzeptieren die Meinungen Andersdenkender am wenigsten. Im Gegenteil: Sie trügen mit dieser Haltung maßgeblich zur zunehmenden Spaltung der Gesellschaften bei.

    26. Ach so? | Cottbus | Montag, 07.08.2023 | 15:06 Uhr
    Sie sollten sich mal fragen, wie weit wir schon gekommen sind, wenn Besucher, die ein Konzert frühzeitig verlassen, mit "Nazis raus"-Gebrüll begleitet werden.

  5. 38.

    Nee, das ist doch völliger Quatsch. Welche Werte sollen das denn bitte sein? Wissen Sie überhaupt, was Werte sind? Da Sie sich hier regelmäßig für Rechtsextremismus stark machen, habe ich da meine Zweifel...

  6. 37.

    Was das ne Veranstaltung von der ANTIFA oder von Steinmeier. Lächerlich!

  7. 36.

    So simpel strukturiert ist Ihre Welt? Wer nicht mitgrölt, wird denunziert?
    Wir erinnern uns: die Zeiten hatten wir in Deutschland schon.
    Aber: Jene Städter, zumeist mit linker politischer Gesinnung, die sich für besonders (welt-)offen halten, akzeptieren die Meinungen Andersdenkender am wenigsten. Im Gegenteil: Sie trügen mit dieser Haltung maßgeblich zur zunehmenden Spaltung der Gesellschaften bei.

    26. Ach so? | Cottbus | Montag, 07.08.2023 | 15:06 Uhr
    Sie sollten sich mal fragen, wie weit wir schon gekommen sind, wenn Besucher, die ein Konzert frühzeitig verlassen, mit "Nazis raus"-Gebrüll begleitet werden.

  8. 34.

    Das habe ich nie behauptet. Aber okay, mit Ihrem Kommentar haben Sie dargelegt, dass Sie gar nicht wissen, was Werte sind. Das erklärt dann auch Ihre vorangegangenen Kommentare.

  9. 33.

    Ja da haben Sie Recht. Extremist:innen aller politischen Farben haben gleiche Werte.... :-(

  10. 31.

    Also wenn der gesamte vordere Teil des Publikums brüllt “Ganz Berlin hasst die AfD”, es immer wieder anfängt und es selbst im Rang zu hören ist, finde ich schon, dass das Publikum offenbar Bock hatte auf politische Botschaften bzw. diese gern von sich initiiert hat.

  11. 30.

    Von der ostdeutschen Provinz reden Kraftklub selber gern. Sie halten die Fahne diesbezüglich selber schwungvoll nach oben.

  12. 29.

    Mir bringen diese Selbstbeweihräucherungen nichts. Eine Veranstaltung mit vielen ???

  13. 27.

    Bestimmt das gleiche Publikum, dass zu Feine Sahne Fischfilett rennt, vergessend, dass gegen Monschischi ein ungeklärter Vergewaltigungs-, bzw. sexueller Übergriffsvorwurf im Raum steht.
    Hier heiligt die "Haltung" die Mittel. Ja, Agiprop und Haltung gab es schon immer in der deutschen Geschichte, Mitläufer sowieso.

  14. 26.

    Ich frage mich gerade, wie es wohl ausgesehen haben mag, wenn alle außer Ihnen (und Doreen) „Nazis raus“ skandierten und Sie und Ihre Familie unter diesen Rufen das Konzert verlassen haben….
    Merkste selber, oder?

  15. 25.

    Naja, dahinter steckt vielleicht, dass nur Rechtsextreme etwas von "roten" oder "grünen" Extremisten faseln. Wen oder was meinen Sie damit? Was steckt dahinter?

  16. 23.

    Sich gegen Rassismus zu positionieren ist in erster Linie eine gesellschaftliche Haltung. Und damit haben Sie ein Problem?

  17. 22.

    Warum geht man nicht gegen die Extremist:innen a l l e r Richtungen vor? Egal ob braun, rot oder grün? Was steckt dahinter?

  18. 21.

    Ich glaube ihr meint mit "Nur ein Song" den Song "Ein Song reicht" oder?

  19. 20.

    Und mit "früher" meinen Sie die Zeit, als noch keine Rechtsextremen in unseren Parlamenten saßen? Da waren gesellschaftliche Aussagen, durch die Sie sich nun belästigt fühlen, vielleicht (noch) nicht so notwendig...

  20. 18.

    Ganz nett geschrieben aber was sind „ostdeutschen Provinzlern“ ?
    Berlin ist mal wieder aus Sicht von Journalisten der Nabel der Welt?
    Interessanterweise kommen viele progressive Bands und Künstler aus dieser „ostdeutschen Provinz“.
    Wahrscheinlich auch viele der „Berliner“ zugezogenen Künstler und deren Fans.
    Und was hat das mit linksgrün zu tun? Gibt es in Berlin keine nur Linken mehr?
    Außerdem noch was gelernt.
    Der Grund warum ich als Brillenträger bei solchen Konzerten nicht mehr ganz vorne dabei sein möchte, nennt sich also moshen.
    Das Pogen um mich herum bei den Toten Hosen als Vorband von U2 im Olympiastadion hat mich seinerzeit nicht daran gehindert das Loch in Campinos Jeans zu entdecken. Aber mit diesem wilden Kreisel kann ich nix anfangen.
    Vielleicht fühle ich mich auch nur zu alt dafür.

  21. 17.

    Naja, wenn's danach gehen würde, gäbe es hier wenigstens keine rechten Kommentare mehr zu lesen...

  22. 16.

    Ich verstehe nicht, was falsch daran sein soll, sich für Antifaschismus einzustzen.

  23. 14.

    Ich kenne die Band nicht, kann also zum Konzert nichts sagen, aber wenn Jemand wie Sie andere Kommentatoren bewerten möchte, sollte das wenigstens in halbwegs höflicher und grammatikalisch richtiger Form sein.

  24. 13.

    Es gibt kein nächstes Mal. Aber trotzdem danke, war früher mal ein gutes Konzert.

  25. 12.

    Vielleicht hilft es beim nächsten mal, sich etwas mit den Texten auseinander zu setzen, dann überrascht die ein oder andere Fahne nicht...

  26. 11.

    Also 1. kann man in der Antifa nicht "Mitglied" sein, es ist kein Verein. 2. Wenn es kein Verein ist, kann man nicht sagen "Die Antifa" ist grundsätzlich gewalttätig (ist sie nämlich nicht!). Und 3. berichtet der Frontsänger nicht umsonst von einer Zeit, wo "Die Antifa" die einzige Möglichkeit war, eine jugenkulturelle Veranstaltung ohne Hitlergruß zu besuchen...

  27. 10.

    Ich denke, die Band wird es verkraften, wenn kein Fan mehr sein wollen, weil sich die Musiker gegen Rechtsradikalismus ausspricht.

  28. 9.

    Eine ähnlich linientreue Band gab es schon mal, in einer anderen Gesellschaft, die der heutigen doch näher kommt. Die nannten sich Roter Oktober Club,

  29. 8.

    Ging mir und unseren Freunden genauso, wollten einfach einen schönen, entspannten Konzertabend, ohne Erziehung. Sind auch gegangen. In Zukunft ohne uns.

  30. 7.

    Ganz gute Zusammenfassung des Konzerts,auch wenn wie so oft etwas einseitig und unvollständig.
    Die oberflächlichen politischen Botschaften haben nicht so viel Raum eingenommen und auch das Publikum ist glücklicherweise nicht so sehr darauf angesprungen.

    Bei der Textstelle "zahlen die ernsthaft 30€ für 'ne Karte" bei "unsere Fans" musste ich schon schmunzeln,denn die ist bei einem Kartenpreis von 60 Euro schon lange überholt. Aber zwei ausverkaufte Konzerte geben den Preisgestaltern wohl recht. Dass man wahrscheinlich einige Fans damit ausschliesst wird wohl hingenommen.

    Dann ist man halt gegen die oben aufgezählten Punkte,muss sich aber nicht gegen Altersarmut,Obdachlosigkeit,soziale Ungerechtigkeit,Wohnungsnot usw auch noch aussprechen. Das wäre dann doch zu widersprüchlich. Heutzutage gilt man ja trotzdem als links,obwohl Kapitalismuskritik das Hauptkriterium für die Definition von links sein sollte.

  31. 6.

    Dann haben sie wohl noch nie auf die Texte geachtet.
    Selbst bei Bänds wie Die Ärzte, Die Toten Hosen, Beatsteaks, KIZ und anderen dieser Art von Musikrichtung sind solche Ansagen ans Publikum normal. Wenn es dazu kommen sollte das niemand mehr "Nazis raus!" ruft, haben wir uns als Gesellschaft hoffentlich soweit entwickelt dass das braune Problem aus der Gesellschaft verbannt wurde und nur noch eine böse Erinnerung aus alten Zeiten ist.

  32. 5.

    Habe ich auch so empfunden, ziemlich aufgesetzt das Ganze. Ob man heutzutage einer Antifa, deren Mitglieder nachweislich teils schwere Gewalttaten begehen, so unkritisch huldigen muss, bezweifle ich. Aber musikalisch nicht zu beanstanden das Ganze;-)

  33. 4.

    Dann hat sich wohl Ihre Haltung geändert, die der Band ist seit Gründung stabil und bekannt. Das Fahnenmeer sah schon ziemlich gut aus.

  34. 3.

    Lange Zeit war ich Fan dieser Band und freute mich auch auf das Konzert.leider entwickelten es sich zu einer Agiprop-Veranstaltung, wie ich sie aus der DDR her kannte. Es scheint heute an der Tagesordnung zu sein, seine politische Haltung wie eine Monstranz vor sich her zu tragen.
    Ich und meine Familie verließen vorzeitig das Konzert.

  35. 2.

    Amtliches Konzert mit stabilem, supergelaunten Publikum zwischen 10 -70 bei bestem Freitagabendwetter. Licht, Ton, Haltung korrekt.

  36. 1.

    Das Konzert war an beiden Tagen absolut grandios. Auch wegen der tollen Stimmung des wirklich angenehmen Publikums, das durchaus auch aus der Mitte stammte.