Interview | Ausstellung im Jüdischen Museum - "Juden waren in der DDR nicht wirklich sichtbar"
Ein antifaschistisches Deutschland erhofften sich viele Jüdinnen und Juden in der DDR, doch auch dort gab es Antisemitismus. Eine Ausstellung des Jüdischen Museums in Berlin schaut nun auf ihren Alltag. Cathy Gelbin hat ihn erlebt.
rbb: Frau Gelbin, gab es bislang eine Lücke in der geschichtlichen Betrachtung von Jüdinnen und Juden in der DDR?
Cathy Gelbin: Die Geschichte von Juden in der DDR, die bisher geschrieben wurde, ist hauptsächlich die Geschichte der Gemeinden und der offiziellen Würdenträger, der Künstler und Intellektuellen. Aber was es da im Alltagsleben gegeben hat, darüber ist bislang weniger in der Öffentlichkeit bekannt.
Welche Rolle hat Ihr Jüdischsein im Alltag in Ost-Berlin gespielt?
Wir waren eine atheistische Familie und insofern gab es keine religiösen Äußerungen wie Feiertage. Was uns ganz stark vermittelt wurde, war ein historisches Bewusstsein darüber, dass Juden während des Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden und dass wir dadurch eine unausgesprochene Verantwortung hatten, diese Erinnerung wach zu halten. Aber Juden waren nicht wirklich sichtbar in der DDR. Und daraus erwuchs dann auch mein Wunsch, zur Jugendweihe einen Davidstern zu bekommen. Das war eine Form von Identitätsäußerungen, eben auch in der unmittelbaren Umwelt.
Aber es war gar nicht so leicht, eine Davidstern-Kette in der DDR zu bekommen...
In der DDR kriegte man so was nicht. Meine Mutter hatte dann die Idee, dass sie ihren Silberschmuck einschmelzen lassen könnte. Sie hat einen Juwelier gefragt, ob er daraus einen Davidstern machen würde. Er hat dann aber Angst bekommen und hat das nicht gemacht. Wir haben dann Freunde aus dem Westen, die auch zur Jugendweihe-Feier eingeladen waren, gefragt, ob sie einen Davidstern mitbringen. Und das haben sie auch gemacht. Die Frau, die ihn über die Grenze brachte, hat mir dann erzählt, dass sie große Angst bei der Einreise hatte, dass ihr die Zollbeamten die Kette wegnehmen würde wegen des Davidsterns. Und sie hat ihn sich dann selber um den Hals gemacht, damit es als ihre eigene Kette erscheint. Sie hat sich ausgerechnet, dass es so weniger wahrscheinlich wäre, dass die Kette beschlagnahmt wird.
Hat die Kette zu Reaktionen aus Ihrem Umfeld geführt?
Es gab natürlich Fragen, auch vom Klassenlehrer an meiner neuen Schule Er wollte mit mir eine Aussprache darüber führen, warum ich diese Kette trage. Damit war er wahrscheinlich beauftragt worden von der Schulleitung. Er fragte, ob das religiöse Gründe hätte. Und dann sagte ich: Nein. Ich würde mich aber als jüdisch identifizieren und deshalb würde ich die Kette tragen. Und damit war es dann auch offensichtlich irgendwie okay.
Haben Sie in der DDR auch Erfahrungen mit offenem Antisemitismus gemacht?
Der Antisemitismus in der DDR war eher verdeckt. Man hat ihn viel deutlicher und offener in der Bundesrepublik gespürt. Dort war es, glaube ich, nicht in derselben Weise stigmatisiert wie in der DDR. Es gab zwei Ereignisse von Alltags-Antisemitismus, Reaktionen auf meinen Davidstern, den ich trug, die eindeutig antisemitisch waren. Einmal fragte mich ein Mann auf der Straße was das sei – und wandte sich dann sehr angewidert von mir ab. Beim zweiten Mal wurde ich in Dresden von einem Kreis von kurzgeschorenen jungen Männern umringt, die mich sehr bedrohlich fragten: Bist du Jude? Und als ich ja sagte, gestikulierten sie sehr bedrohlich, aber verzogen sich dann. Sie haben sich nicht getraut, mich anzugreifen, was im Westen zu der Zeit vielleicht anders abgelaufen wäre. Dadurch, dass die Polizei und die Staatssicherheit präsent waren und man wusste, dass diese Staatsgewalt immer sehr schnell auch zugreifen konnte, waren diese Äußerungen eben auch eher unter dem Deckel gehalten.
Sie reisten später auch aus der DDR aus. Hatte diese Entscheidung auch etwas mit Ihrem Jüdischsein zu tun?
Das war sehr vielschichtig. Aber das Jüdischsein hatte auch zentral damit zu tun, weil es dadurch in unserer Familie noch ein anderes Geschichtsnarrativ gab. In der Schule wurde vermittelt, dass die Sowjetunion den Hitlerfaschismus besiegt hatte. Ich brachte dann ein, dass mein Vater und mein Stiefgroßvater in der amerikanischen Armee gekämpft hatten. Und das kam überhaupt nicht gut an. Da hieß es dann, in unserer Klasse gäbe es einen antisowjetischen, präfaschistischen Kern. Und das sollte offensichtlich ich sein. Wegen der Aussage, dass die alliierten Armeen Hitler besiegt hatten und nicht die Sowjetunion allein. Und ich wurde dann ziemlich schnell in so eine staatsfeindliche Ecke gedrängt, in der ich mich gar nicht sah.
Und ich wollte das Jüdischsein auch anders erleben. Die jüdische Gemeinde war sehr klein, es gab einfach nicht diese Vielfalt und so richtig erwünscht war es in der DDR wahrscheinlich auch nicht. Und insofern wurde die Welt für mich immer enger.
Sie haben angesprochen, dass Ihr Vater und Stiefgroßvater in der amerikanischen Armee gekämpft haben. Woher kommt dieser Verbindung nach Amerika?
Meine Großmutter und mein Vater waren gebürtige Amerikaner und meine Großmutter hat in New York in den 40er Jahren den Schriftsteller Stefan Heym kennengelernt und ihn geheiratet. Großmutter war verwitwet, das war ihr zweiter Ehemann, und sie ist ihm dann nach Europa gefolgt. 1952 sind sie in die DDR gekommen. Dadurch gab es natürlich immer diesen anderen Blick, auch auf die DDR. Dieses Wissen: Es gibt auch noch was anderes. Es gibt nicht nur Deutschsein und auch nicht nur Deutsch und jüdisch sein, sondern es gibt auch dieses ganze andere Leben. Dadurch wusste ich, dass es da eine ganz andere, aufregende Welt da draußen gibt, die ich auch kennenlernen und erkunden wollte.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Steffen Prell, rbbKultur.
Sendung: rbbKultur, 09.09.2023, 18:30 Uhr