Konzertkritik | Einstürzende Neubauten - Band unter dem Brennglas

Mi 04.09.24 | 09:41 Uhr | Von Hendrik Schröder
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Archivbild:Der Musiker Blixa Bargeld am 08.01.2024.(Quelle:picture alliance/dpa/C.Koall)
Audio: rbb24 Inforadio | 04.09.2024 | Hendrik Schröder | Bild: picture alliance/dpa/C.Koall

Früher nutzten sie Einkaufswagen und Schrottteile als Instrumente, weil sie kein Geld hatten. 44 Jahre später, beim Konzert im Potsdamer Waschhaus, sind die Einstürzenden Neubauten immer noch unberechenbar avantgardistisch. Von Hendrik Schröder

Musik für Außenseiter würden sie spielen, sagt Neubauten-Sänger Blixa Bargeld gerne in Interviews, für Menschen, die sich fremd fühlen auf diesem Planeten. Dass sie dafür nicht mehr unbedingt den Krach, den Lärm, die Schreierei brauchen, hört man auf den neueren Platten. Live aber werden an diesem Abend im Potsdamer Waschhaus noch mal alle Regler auf 11 gefahren. Das ist anstrengend, passt aber zu der auch sonst so intensiven Erfahrung, die ein Konzert der Einstürzenden Neubauten sein kann.

Kleine, private Warm-Up-Show

Anfangs allerdings kann man die Skepsis in den Augen der Besucher förmlich ablesen. Bestuhlt? Und dann noch mit viel Luft nach links und rechts. So wenige sind gekommen? Keine 400 geschätzt. Das ist sehr wenig für so eine bekannte Band, die zudem immer noch regelmäßig gut besprochene Alben abliefert. Vielleicht liegt es daran, dass das Konzert weniger beworben wurde, als der Rest der Tour, die in diesen Tagen startet.

Blixa Bargeld sagt dementsprechend zu Beginn, ohne dass man ihm echte Körperspannung ansehen würde: "Ja, herzlich willkommen zu unserer kleinen Warm-Up-Show, sehr privat hier heute". Uff. Das kann ja was werden. Dann geht es los und irritierenderweise gibt es überhaupt keine Lightshow. Also das Bühnenlicht bleibt einfach hell, weiß, statisch.

Songs durchleben, nicht nur spielen

Was aber anfangs seltsam anmutet, wird nach zwei, drei Songs genial. Weil die Bühne konstant ausgeleuchtet ist, sieht man eine große Band wie unter dem Brennglas bei der Arbeit. Eine Band, die ihre Songs nicht abspielt, sondern durchlebt, atmet. Man sieht, wie die Gesichtsmuskeln zucken, wie die Hände die Instrumente fühlen, wie die Band diese Songs erarbeitet, in dem Moment. Nicht wenige Songs spielen sie von ihrem neuen Album "Rampen: (apm) alien Pop Music", alle wiedererkennbar, aber doch immer neu interpretiert.

Beats aus dem Druckluftschlauch

Gitarre, Schlagzeug, Bass: Haben die Neubauten. Diese typischen Instrumente einer Rockband. Aber was bei ihnen sonst noch auf der Bühne steht, das hat niemand sonst. Ständig tragen zwei hart arbeitende Bühnenroadies neue Sachen rein: Plastikrohre, Benzinkanister, ein riesiger blauer Bottich steht da, der legendäre Einkaufswagen, eine elekrifizierte Spirale hängt über dem Schlagzeug.

Soundtüftler N.U. Unruh spielt einen Beat mit einem Druckluftschlauch. "Fttt, Fttt, Fttt" macht es. Das ist genial und irre. Aber es ist kein Gaga, kein Quatsch. Die Band hat Humor und lacht dann auch mal befreit auf, wenn ein Song besonders wahnsinnig gelingt, aber insgesamt nehmen sie ihre Kunst sehr ernst.

Donnernde Stimme

Allen voran Sänger Blixa Bargeld, der Zampano, Dichter und Diva in einem ist. Auch wenn der immer noch durchtrainierte, tätowierte, nie still stehende Bassist Alexander Hacke das musikalische Herz der Band zu sein scheint, die Kommandos gibt, einzählt, die Songs im Griff behält, wenn die Band improvisierend in ferne Soundwelten mäandert: Blixa Bargeld ist der Mittelpunkt.

Mit seiner massigen Präsenz, im schwarzen Anzug, weiß gepudertem Gesicht, glitzerndem Lidschatten und dieser donnernden, schiebenden tiefe Stimme, die Einkaufszettel vorlesen könnte und es wäre Kunst. 44 Jahre ist seine Band jetzt alt. Und hat sich in all der Zeit immer wieder verändert, ist präziser und weniger krawallig geworden, ruhiger, aber immer noch fordernd, suchend, findend. Auf Platte. Und live an diesem Abend im Waschhaus. Beeindruckend.

Am 9. September spielen die Einstürzenden Neubauten ein weiteres Konzert in Berlin in der Columbiahalle.

Sendung: rbb24 Inforadio, 04.09.2024, 7:55 Uhr

Beitrag von Hendrik Schröder

4 Kommentare

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  1. 3.

    Ach, die gibts noch?! Die müssen doch auch schon im Rentenalter sein...
    Ich war nie da, die sollen immer sehr laut gewesen sein.

  2. 2.

    Ich war vor zwei oder drei Jahren in der Columbiahalle. Hatte noch eine Karte übrig, aber keiner wollte mitkommen. Vor der Halle bekam ich sie auch nicht los. So verhalten ging es dann auch während des Konzerts zu. Als Fan der fast ersten Stunde genoß ich den Sound trotzdem. Wohl nicht jeder. Zu konzertant, zu getragen, zu leise, zu gesetzt. Und, weil die Neubauten sich auf einen dämlichen Vertrag einließen, der ihnen die Rechte an ihrem Liedschatz aus Jahrzehnten raubte, kein einziges Urstück wie Seele brennt, Halber Mensch, Fütter mein Ego oder Hirnsäge. Dafür jede Menge doch recht bemühte Poesie.
    Im Gegensatz zum Autor diese Artikels fand ich Blixa etwas öde und seine Selbstverliebtheit ist leider keiner Weisheit gewichen sondern schwimmt immer noch ganz oben auf einer eitelen Suppe. F.M. Einheit fehlt sowieso.
    Demnach nahm ich Abschied von Idolen. Ist o.k..

  3. 1.

    Schade - keine Zeit hinzugehen :-( ich wünsche allen megamäßigen Spaß und denen, den die EN nicht soviel sagen sollten - maximale Erfahrungen.....

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