Wandmalereien in der Burg Ziesar - Wenn das Nichts plötzlich sichtbar wird

Sa 12.10.24 | 17:24 Uhr | Von Stefan Oberwalleney
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Wandbilder in der Burg Ziesar, Brandenburg. (Quelle: rbb)
Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 12.10.2024 | Jacqueline Piwon | Bild: rbb

Ein mittelalterliches Wandgemälde in der Burg Ziesar beschäftigt derzeit die Fachwelt. Bisher hieß es, das Bild zeige eine alte Jerusalem-Karte. Nun gehen Forscher davon aus, dass die Karte eher eine Palästina-Karte sein könnte. Von Stefan Oberwalleney

"Wie Sie sehen, sehen Sie nichts", sagt Clemens Bergstedt und zeigt ausladend auf die Wand hinter sich. Der Leiter der Bischofsresidenz Burg Ziesar steht im sogenannten Jerusalem-Saal der Burg und er hat recht. Man sieht tatsächlich nichts - oder so gut wie nichts, abgesehen von ein paar Rissen und Farbschattierungen auf der Wand.

Ob das "Nichts" auch für die anwesenden Damen und Herren eines zweitägigen Fach-Workshops zu genau dieser Wandmalerei gilt? Vermutlich nicht, denn sie sind allesamt Expertinnen und Experten und beschäftigen sich von Berufswegen als Museumsleiterinnen, Restaurateure oder Kunsthistorikerinnen direkt oder indirekt mit solchen Wandmalereien.

Indizien bringen Hinweise auf eine verborgene Landkarte

Zunächst einmal betrachten auch sie suchend die Wand. Irgendwo verborgen liegen hier zwei Darstellungen übereinander. Dabei handelt es sich um eine Landkarte aus dem Jahr 1330 und um ein Heiligenbild aus den 1490er Jahren. Offenbar erfreuten sich die residierenden Bischöfe im Mittelalter an bunten Wandgemälden und ließen sie, wie in diesem Fall, nach eigenem Gusto einfach überpinseln.

Seit 2023 laufen Forschungen an diesen Wandmalereifragmenten. Im nächsten Jahr sollen die neuesten Ergebnisse veröffentlicht werden. Dass schon jetzt Indizien für eine Palästina- bzw. Heilig Land-Karte, wenn nicht sogar Weltkarte zu Tage traten, versetzt die Forschenden in Verzückung. Außerdem unterstreiche es die Bedeutung der Burg Ziesar als "einzigartiges Monument der geistlichen Hofkultur der mittelalterlichen Mark Brandenburg", heißt es in der Pressemitteilung.

"Das ist einzigartig in Norddeutschland" schwärmt Workshopleiterin und Kunsthistorikerin Ursula Schädler-Saub. Es sei eine richtige Sensation und eigentlich sollten "Massen an interessierten Besucherinnen und Besuchern nach Ziesar strömen."

Wandbilder in der Burg Ziesar, Brandenburg. (Quelle: rbb)

Bis 1993 ein Schulinternat

Sollten sie das tun, kämen sie in den Genuss einer besonderen Licht- und Klanginstallation, die der Professor Detlef Saalmann von der FH Potsdam vor 20 Jahren mit seinen Studierenden für den Jerusalemsaal entwickelt hat.

Damals hatte man das bis zu diesem Zeitpunkt bekannte Heiligenbild aus den 1490er Jahren respektvoll in Szene setzen wollen, nachdem es vermutlich aus Unwissenheit, Desinteresse oder einfach aus pragmatischen Gründen in der DDR kurzerhand hinter einer Holzverschalung verschwinden musste. Die Burg wurde bis 1993 als Schulinternat genutzt.

Wenn nun also die Museumsleitung für Besuchergruppen aufs Knöpfchen drückt, es still ist im Saal und ein fast schon meditativer Klangteppich erklingt, wird die Wandmalerei mit speziellen Strahlern in verschiedene Farben getaucht. Spots beleuchten dann einzelne Teile der Wand und tatsächlich verändert sich damit das Wandbild. Dann scheint es, als gäbe die Wandmalerei Hinweise auf die verblassten Darstellungen preis, wobei weiterhin Fantasie beim Erkennen der Heiligendarstellung gefragt ist. Erklärungen, etwa in Form von Hinweistafeln, finden sich im Saal ausdrücklich nicht, denn die sakrale Atmosphäre soll ungestört auf die Betrachtenden einwirken. Es gehe um das "Unsichtbare, das Geistige", das hinter diesen Bildern stehe, erläutert Detlef Saalmann.

Eine sakrale Stimmung herrscht heute eher weniger. Die Workshopteilnehmenden stehen vor der hell angestrahlten Wandmalerei und fachsimpeln. Zeigefinger und Brillenbügel fahren erklärend an schemenhaften Linien entlang. Hier und da wird die Taschenlampenfunktion des Smartphones unterstützend hinzugezogen. Köpfe stecken zusammen und drehen sich synchron zur Wand.

Wandbilder in der Burg Ziesar, Brandenburg. (Quelle: rbb)

Moderne Technik macht Unsichtbares sichtbar

Wandmalereirestauratorin Sabine Krause-Riemer öffnet Bilddateien auf dem Laptop und zeigt, was möglich ist. Welche strahlendiagnostischen Verfahren und digitalen Stapelverfahren die Spezialistin für digitale Untersuchungen genau angewandt hat, führt sie zum Glück nur stichwortartig aus. Aber es ist leicht zu erahnen, wie viel Arbeit in diesem Laptop steckt.
Was die Wissenschaftlerin mit all ihrem Tun erreicht, gleicht einem Wunder. Plötzlich wird die vorher nicht zu erkennenden Landkarte aus dem Jahr 1330 sichtbar. Details tauchen auf. Einfärbungen machen Flüsse und Straßen sichtbar. Blaue Flächen markieren Gebäude. Das Meer ist zu sehen und eine Stadtmauer.

Dann wechselt sie zu den Heiligenbildern. Erste Farbstapel lassen eine Katze oder einen Teufel vermuten. Werden weitere Schichten hinzugefügt, entpuppt sich das Ganze als Ärmel eines Gewandes. Dann sind auch die Umrisse und plötzlich ganze Figuren sichtbar. Die Apostel erscheinen auf der Wand. Sie komme sich bei der Arbeit vor wie ein Detektiv, wenn sie kleinste Details wie bei einem Puzzle zusammensetze, erklärt Krause-Riemer. Und dann entstehe ganz allmählich ein umfassendes Bild.

Das Nichts wir plötzlich sichtbar.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 12.10.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Stefan Oberwalleney

3 Kommentare

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  1. 3.

    Über die "Bunt"-Formulierung habe ich mich auch gewundert, aber dann als etwas gedankenlose Formulierung abgetan. In der Tat war das Mittelalter gerade durch Kreidefarben sehr bunt, aber doch eben keineswegs ktischig. Das Kitschige kommt ja durch das direkte Nebeneinander von Farben, die partout nicht zueinander passen. Hier aber Farbempfinden auf breitester Ebene vorhanden.

    Ohne die brachialen Begebenheiten und Umstände, die für uns Anlass geben, vom "finsteren Mittelalter" oder von "mittelalterlichen Zuständen" zu reden, war das Mittelalter kunsthistorisch eine sehr hohe Zeit; allerdings betraf es zugegebenermaßen relativ wenige Menschen, die daran beteiligt waren.

    Ich wünsche allen an der Restauration Beteiligten viel Kraft, Ausdauer, denn die braucht es und viel Aufschluss. Ziesar lohnt immer.

  2. 2.

    Sehr interessanter Artikel. Etwas unverständlich ist mir die Aspielung, daß die Bischöfe es wohl bunt mochten, denn das Mittelalter war sehr bunt, nicht nur in der Kleidung, sondern auch bei den Gebäuden, auch wenn uns heute das kitschig vorkommen würde.

  3. 1.

    Ein toller Artikel! Vielen Dank dafür. Er macht wirklich sehr neugierig. Wünsche allen beteiligten Restauratoren und Spezialisten Erfolg und genügend Überraschungen bei ihrer Arbeit.

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