Polnischer Deutschlandbeauftragter - "Wir sind ganz normale Nachbarn"

So 01.09.24 | 08:04 Uhr
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Ein deutscher Polizist und seine polnische Kollegin fahren bei der Festveranstaltung zum Abschluss des Projekts "deutsch-polnisches Polizeiteam Guben/Gubin" auf ihren E-Bikes (Quelle: dpa/Monika Skolimowska).
Bild: dpa/Monika Skolimowska

Unter der PiS-Regierung war das Amt des polnischen Deutschlandbeauftragten einige Jahre unbesetzt. Seit Juni gibt es ihn wieder: Krzysztof Ruchniewicz spricht im Interview über das Verhältnis der Nachbarn und über ihr Zusammenwachsen.

rbb|24: Herr Ruchniewicz, ist Deutschland für Polen wieder wichtiger geworden?

Krzysztof Ruchniewicz: Für Polen ist Deutschland ein wichtiger Nachbar, ein Partner in der EU, ein wichtiger Wirtschaftspartner sowie ein Partner beim Aufbau der Zivilgesellschaft. In jüngster Zeit gewinnt ein weiteres Element an Bedeutung: die gemeinsame Verteidigungs- und Sicherheitspolitik angesichts der Bedrohung aus dem Osten.

Der Deutschlandbeauftragte in Polen Krzysztof Ruchniewicz sitzt hinter seinem Schreibtisch (Quelle: rbb/Agnieszka Hreczuk)
rbb/Agnieszka Hreczuk

Krzysztof Ruchniewicz ist Historiker und Direktor des Willy-Brandt-Zentrums für Deutschland- und Europastudien an der Universität Breslau (Wrocław). Am 13. Juni 2024 wurde er vom polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski zum Bevollmächtigten für die gesellschaftliche und grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Deutschland ernannt.

Die engen Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind eine Tatsache. Aber es gibt immer noch antideutsche Töne in der polnischen Politik.

Dieses Verhältnis ist eine Art Hassliebe: Auf der einen Seite bewundern wir Deutschland, auf der anderen Seite wissen wir um die Vergangenheit in den deutsch-polnischen Beziehungen und um die Themen, die noch nicht ganz ausgereift sind. Und das ist ein guter Ansatzpunkt für einige der "Feinde" Deutschlands, diese Themen zu instrumentalisieren.

Wie können Sie in Zusammenarbeit mit dem Polenbeauftragten der deutschen Seite die Öffentlichkeit widerstandsfähiger gegen diese Propaganda machen?

In der Regel greifen wir nicht in den Bereich der Politiker ein. Unsere Aufgabe ist es, die Beziehungen zwischen den Gesellschaften zu pflegen. Wir haben jetzt eine Reihe von Projekten, zum Beispiel die Diskussion um das Deutsch-Polnische Haus, die Verwendung eines deutsch-polnischen Schulbuches in polnischen und deutschen Schulen, die Frage des Polnischunterrichts in Deutschland, aber auch des Deutschunterrichts in Polen.

Gibt es viele gute Beispiele?

Der Schüleraustausch zum Beispiel oder die Möglichkeit, in den Schulen Polnisch zu lernen. Oder die gegenseitigen Hospitationen von Beamten: Jetzt weiß ein Beamter aus Gorzów, wie es in Brandenburg abläuft, und sein Brandenburger Kollege, womit es die Beamten in Polen zu tun haben. Weitere Beispiele sind die grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der notärztlichen Versorgung zwischen der Woiwodschaft Lubuskie und den Städten Frankfurt (Oder) und Cottbus oder die acht zusätzlichen Züge pro Tag im Regionalverkehr - 18 weitere sind geplant.

Zum Zeitpunkt der Oderkatastrophe gab es einen besseren Informationsaustausch zwischen Potsdam und Zielona Góra als zwischen Zielona Góra und Warschau.

Dies ist ein Beispiel dafür, dass bestimmte Probleme in den Regionen besser gelöst werden können, als wenn sie nur vom Zentrum aus gesteuert werden. Aufgrund dieser Erfahrung wurde ein spezieller Kommunikationskanal für grenzüberschreitende Krisen auf der Ebene der Länder und Provinzen eingerichtet.

Was die deutsch-polnischen Beziehungen am meisten belastet, ist die Geschichte. Sie haben gesagt, es gebe Dinge, die noch nicht ausgereift seien.

Da ist zum einen die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. Das ist ein Dauerthema, das durch die Reparationsforderungen der Vorgängerregierung noch verstärkt wurde. Deshalb scheint mir das, was wir bisher gemacht haben - nämlich der deutschen Seite oder umgekehrt der polnischen Seite zu erklären, worin diese Unterschiede in der Wahrnehmung der Geschichte bestehen - nicht ausreichend zu sein. Ein Thema, das immer wieder auftaucht, ist die Entschädigung der überlebenden Opfer des Dritten Reiches.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat dieses Thema bei den Regierungskonsultationen angesprochen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich am 1. August, dem Jahrestag des Warschauer Aufstandes, entschuldigt, und das war's.

In Polen leben heute etwa noch 60.000-80.000 Opfer des Dritten Reiches. Hier ist es wichtig, schnell zu handeln, auch symbolisch. Genauso wichtig ist die Frage, wie die Erinnerung an diese Menschen wachgehalten werden kann, um vor einer Wiederholung zu warnen.

Werden Polen und Deutsche jemals Freunde sein?

Wir sind Freunde. Die deutsch-polnischen Verträge wurden auch in Zeiten der PiS-Regierung nicht in Frage gestellt. Wir sind ganz normale Nachbarn, die sich mal mehr, mal weniger mögen, die sich streiten und wieder versöhnen. Die letzten Monate haben gezeigt, dass wir viele gemeinsame Probleme haben und uns bewusst sind, dass wir sie nur gemeinsam lösen können. Je mehr langfristige deutsch-polnische Projekte es gibt, desto mehr wird diese Frage in den Hintergrund treten: Denn dann haben wir, egal was wir füreinander empfinden, gemeinsame Ziele für viele Jahre.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview für führte Agnieszka Hreczuk für . Es handelt sich um eine redigierte und gekürzte Fassung.

24 Kommentare

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  1. 24.

    Das Verbrechen haben die Deutschen begangen.
    Und die kleine Vertreibung wie lächerlich gegen die Verbrechen davor.

  2. 23.

    Der Boden war fruchtbar. "Rechtsextremismus in der DDR" - mal nach suchen.

  3. 22.

    Geschichtsrevisionismus und Täter-Opfer-Umkehr vom Feinsten!
    Nach Ihrer Vorstellung haben Ihre Volksdeitschen mit und nach dem Überfall auf Polen keine Kriegsverbrechen begangen und keine sexualisierte Kriegsgewalt angewendet, um den "Feind", die slawischen "Untermenschen", zu erniedrigen und den Widerstand zu brechen? Aggressoren setzten Vergewaltigungen immer als Kriegswaffe ein. Und hinterher jammern, dass die Täter vertrieben werden?
    Tut mir leid, nicht alle vertriebenen Deitschen lebten vorher in Polen. Die wurden von den Nazis mit einer Kampagne dort angesiedelt. Lesen Sie Geschichtsbücher, die nicht von alten Nazis geschrieben wurden!

  4. 21.

    Vertreibungen oder Besatzungen gehörten jahrhundertelang zur Normalität in Europa. Meine teils polnischen Vorfahren haben - ohne ihren Wohnort je zu verlassen - dreimal die Staatsangehörigkeit gewechselt. Meinen französischen Verwandten erging es ebenso. Und immer beriefen sich die neuen Machthaber darauf, altes Recht wieder hergestellt zu haben. Wer sich nicht unterordnen wollte oder unerwünscht war, wurde vertrieben. Wie weit wollen Sie in der Geschichte zurückgehen, um solches Unrecht wieder gut zu machen? Das ist ein absolut dummes und sinnloses Unterfangen.

  5. 20.

    "....wenn beide Seiten offen und ehrlich ihre Geschichte aufarbeiten..."
    Ja eben, die Aufarbeitung seitens Deutchlands in Bezug auf slavische Völker fand bis dato nicht statt, die NS- Rasseideologie von "Arischer" Rasse, die ene Bedrohung durch Juden, Sinti und Roma, Afrikaner und Slaven sah, und diese Völker zu Untermenschen deklarierte, und nach dem gewonnen Krieg den Slaven, sofern arbeitsfähig, ein zeitlich begrenztes Leben als nützliche Sklaven zudachte, mit anschließender Beseitigung. In besetzten slavischen Ländern haben die Natis aus ihrer Untermenschen - Theorie kein Geheimnis gemacht, und sich entsrechend verhalten.
    In Holocaust Memorial Museum in Washington, kann man alles erfahren, auch online, in deutscher Sprache.
    Kaum zu glauben, aber die hiesige Qullen "umschiffen" diese spezielle Nazi - Vergangenheit bis heute.
    Der Grund liegt auf der Hand, die slavischen Völker konnten sich ein friedliches Zusammenleben mit solchen Rasissten nicht mehr vorstellen.

  6. 19.

    Ein schönes Interview.Das auf das Heute und Jetzt gerichtet ist.Gerichtet aus der Verantwortung der Geschichte,für die Entscheidung,wie wir in der Zukunft leben wollen. Wir haben es geschafft,mit den Konstruktion der EU und der NATO,in einem geeintenten Europa zu leben. Auch und gerade, das die beiden Organisationen ihre Schwäche haben. Ich kann mich entscheiden,ob ich in den Ort meiner Schulzeit leben möchte oder in Berlin oder in Warschau oder in Paris oder jeden anderen Ort der EU. Voraussetzung,sich mit Gegebenheiten vor Ort in der Region zu arrangieren.
    Dieses Interview verdeutlichen nochmal, welche Mühe und Arbeit zu bewältigen ist, um ein schönes Europa zu sehen und zu leben.
    Es gibt Leute,die mit dem Aufrechnen von ... zu ... ,keinen Frieden wollen. Sie wollen mit den scheinbar unsagbar neue Vorbehalten schüren. Bis einer Schreit! Und eine ganze Welt aus den Angel heben und über 100 Mio Menschen sterben Gewaltsam. Was für Aussichten.
    Dann lieber das Leben, mit alle daran.

  7. 18.

    "Da kamen westdeutsche Nazis in den Osten, um diese verletzten Seelen auszunutzen......" ===>
    Bitte keine Opfermythen stricken. Wer auf dem Wahlzettel sein Kreuz an entsprechender Stelle setzt, ist dafür verantwortlich und sonst niemand!
    Zum Thema an sich: "Ganz normale Nachbarn" mögen oder ignorieren sich, aber treten sich nicht vor das Schienbein.
    Insofern wäre es schön, wenn das deutsch-polnische Verhältnis wieder zu einer gewissen Normalität zurückkehrt. Vielleicht gelingt es sogar, die Beziehungen nicht nur unter dem Aspekt des größtmöglichen wirtschaftlichen Nutzens sondern des menschlichen Miteinanders und GEGENSEITIGEN Verstehens zu sehen.

  8. 17.

    So beginnt Geschichtsverzerrung. Die „verletzten Seelen“ in Brandenburg wurden nicht erst durch Nazis aus dem Westen zu Nazis. Es hat sie schon zuvor immer gegeben. Wurde in der DDR nur verschwiegen, weil wir ja „die Guten“ waren.

  9. 16.

    Es ist doch alles ,,aufgearbeitet und nachgewiesen''! Aber die Nachfahren der Nazis, machen hier in Deutschland munter weiter! Da lamen westdeutsche Nazis in den Osten, um diese verletzten Seelen auszunutzen und Kapital drauszuschlagen. Heuet wird dies nochmal gezeigt werden, nach der Wahl im Osten.

  10. 15.

    Meine Fr...e. Unsere Vorfahren, die Nazis, SS, SA und die vielen Mitläufer haben den Krieg vom Zaun gebrochen und Polen zerstört. Dort eine riesiege Menschenvernichtungsmaschinerie aufgebaut und jetzt gibt es wieder neue Nazis im ,,Täterland ''! Was sind das für abartige Menschen? Die Nazizeit wirkt bis heute nach und auch in der Schweiz gibt es noch viele berechtigte Vorurteile! Sie betreiben Whataboutism.

  11. 14.

    Versöhnung kann nur funktionieren, wenn beide Seiten offen und ehrlich ihre Geschichte aufarbeiten und bereit sind, sich ebenso offen und ehrlich mit den Erfahrungen und den Sichtweisen der jeweils anderen Seite auseinanderzusetzen. Es muss am Ende ein gemeinsames Bewusstsein dafür geben, was geschehen ist und welche Bedeutung, welche Konsequenzen das für die heute noch Lebenden und für die nachfolgenden Generationen hat. Erst dann kann eine wirkliche Versöhnung erfolgen. So lange es in der bundesdeutschen Bevölkerung und Öffentlichkeit kein allgemeines Interesse und Bewusstsein für die Auswirkungen des deutschen Krieges und der Besatzung Polens gibt, kann man nicht selbstverständlich erwarten, dass man in Polen ebensolches für die Vertreibung und Misshandlungen von -Zig tausenden Deutschen durch Polen bei Ende des Krieges hat. Obwohl letztere nicht relativiert werden durch die Untaten der Deutschen gegenüber den Polen während des Krieges, sondern ebenso Unrecht und Verbrechen waren.

  12. 13.

    Der Krieg ist bereits eskaliert - das sehen Sie jeden Tag! Aber was Sie machen, ist einen anderen Krieg herbeibeten, der aber nur in Ihrer Phantasie entsteht! Die Ukrainer sind taff und wir werden denen helfen, bis die Russen endlich verhandeln wollen!

  13. 12.

    "In jüngster Zeit gewinnt ein weiteres Element an Bedeutung: die gemeinsame Verteidigungs- und Sicherheitspolitik angesichts der Bedrohung aus dem Osten."
    Polen ist dabei sich zu verrennen. Die Kosten dafür tragen die Bürger der EU, die nicht gefragt werden. Sollte der Krieg eskalieren sind Polen und Deutschland die ersten Opfer.

  14. 11.

    Viel schlimmer und das wird in diesem Zusammenhang nie erwähnt, auch nicht von polnischer Seite, war das Warschauer Getto und die Errichtung und Inbetriebnahme von Auschwitz-Birkenau zum Zwecke der Endlösung auf polnischem Staatsgebiet. Also zur gezielten Vernichtung der polnischen und anderer Juden. Das war das Kernverbrechen der Nazis, welches uns ein Alleinstellungsmerkmal in der Geschichte garantiert.

  15. 10.

    Die Polen wurden nicht gefragt, und so kam es, dass sie die ostpolnische Gebiete für die Russen freimachen mussten und nach Schlesien und co, umgesiedelt wurden.
    Übrigens, auch mit der neuen Oder-Neiße - Grenzziehung haben die Polen nichts zu tun, es waren die Allierten.

  16. 9.

    Auf was sollen sich denn Polen verlassen? Ob das geraubte Schlesien usw bei Polen verbleibt wird die Geschichte zeigen, Wohl nicht die jetzige Generation.

  17. 8.

    Ach ne, so einfach ist die Sicht eines Deutschen auf die verbrecherische Vergangenheit seiner Vorfahren!
    Und, auf was kann Polen bei solchen Aussagen vertrauen?
    Da wundert mich das immer noch vorhandene Misstrauen gar nicht!

  18. 7.

    Heute vor langer zeit also, überfielen unsere Väter und Großväter mit brutalster Gewalt Polen! Das muß man sich immer wieder vor Augen führen! Heute!

  19. 6.

    Danke für das Interview mit Herrn Ruchniewicz.
    Schön, dass man auch einmal die Sichten erfährt, die Menschen, die etwas weiter weg von der Grenze ihre Jgend u. Studium verbracht haben, hört. Sicher ist er berufl. mit dem Thema Freundschaft verbunden. Aber als Historiker glaube ich, ist er auch dem sachlichen Blick auf das Zeitgeschehen verpflichtet.
    Dennoch stimme ich vielem, was er zum dt.-poln. Verhältnis sagt zu und ich freue mich darüber, weil viele meiner Eindrücke bestätigt werden. Da ja der rbb (24)quasi 'Tür an Tür' mit unseren poln. Nachbarn agiert, wünsche ich mir immer wieder Reportagen, die beiderseits von Oder u. Neiße entstehen oder derart Interviews: was denken wir üb. einander?
    Vielleicht klappt es ja mit den poln.Wasserrechtlern, uns beiderseits der Oder die toten Fische endgült. zu ersparen. Da muss etwas passieren, denn die Oder ist ein sehr schöner Fluss u. soll es gern auch bleiben; gerne mit evtl. noch neu zu bauenden Brücken!

  20. 5.

    Irgendwann muss auch mal vergeben werden. Die Kriegsgeneration stirbt aus. Wir gedenken. Wir vergessen nicht, aber wir vergeben. Sonst werden ehemalige Feinde nie Freunde. Und Auslöser des Krieges war Deutschland. Das darf nicht vergessen werden bei allen Diskussionen. Ohne Deutschland hätte es diesen Krieg und das Leid nicht gegeben.

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