Interview | Imker über Lindentau - Auto im Honigmantel - lecker!
Unter Linden kann man in diesen Tagen eine klebrige Überraschung erleben: Süße Tropfen bekleckern Menschen und Autos. Warum das kein großer Schaden ist, sondern eigentlich was Tolles, erklärt der Imker Jörg Weigelt.
rbb|24: Herr Weigelt, warum kleben eigentlich gerade die Lindenbäume?
Jörg Weigelt: Die Kleberei ist sicher zumeist unter einem Lindenbaum zu finden, weil der Lindenbaum von einer speziellen Laus bevölkert wird, die sich im Laufe des Jahres zu einer Massenpopulation entwickelt. Diese Laus sticht den Pflanzensaft der Linde an und verarbeitet den dort enthaltenen Zucker. Dieser Saft ist eine zuckerhaltige Lösung, die von der Wurzel den Stamm herauf in die Pflanze, in die Blätter transportiert wird. Den überschüssigen Zucker, den die Laus nicht verarbeiten kann, weil sie die Menge - oder die Konzentration und Menge - nicht halten kann, scheidet sie als Zuckertropfen aus.
Was macht denn die Laus mit dem Saft genau?
Die Laus holt sich daraus praktisch die Kohlenhydrate, den Brennstoff, als Lebensgrundlage.
Aber die Laus kann nicht alles verwerten ...
Wenn der Zuckertropfen zu groß wird, fällt er runter auf die Blätter im Baum oder auf den Boden - oder eben auf darunter stehende Autos. Wenn es dann sehr trocken ist und diese Zuckerlösung nicht abgewaschen wird, bleibt die zuckrige, klebrige Lösung auf den Fahrzeugen.
Was sind das für Läuse in der Linde?
Ja, es gibt spezielle Läuse. Oder sagen wir mal: Die Läuse haben sich auf bestimmte Baumarten spezialisiert. In Süddeutschland sind es die Fichte und die Weißtanne. Wenn der Imker das dann verarbeitet, kann man das als Weißtannenhonig kaufen. Bei uns ist es dann eben ein Tauhonig oder ein Waldhonig von der Linde.
Diese Zuckertropfen fallen nicht nur einfach nutzlos runter vom Baum. Es gibt zwei Individuen, die an diesen Zuckertropfen sehr interessiert sind: Das ist einmal die Ameise, die sich die Zuckerlösung holt. Und wenn es die Ameise nicht schafft, dann ist es die Honigbiene, die diese Zuckertropfen sammelt, sie in ihre Behausung bringt und dann durch Wasserentzug in Honig umwandelt. Darum muss man also genauer sagen: Der Honig der Honigbiene kommt eben nicht immer aus den Blüten als Blütenhonig, sondern in diesem Fall ist es dann der sogenannte Wald- oder Tauhonig, der von diesen Läusen stammt.
Ein Baum – und zwei Sorten Honig?
Der Imker freut sich natürlich, wenn er neben seinem Blütenhonig von der Linde, also von der Lindenblüte, noch eine zusätzliche Honigernte hat, also Honig, der über diese Tautropfen entstanden ist.
Schmeckt denn der Tauhonig auch anders?
Dieser Honig schmeckt anders und zwar sehr, sehr gut. Waldhonige schmecken immer würziger als die normalen Blütenhonige. Und sie sehen auch anders aus. Sie sind immer etwas dunkler gefärbt. Wichtig ist auch: Sie haben einen ganz starken Mineralstoffgehalt und enthalten sehr viele Spurenelemente, die zum Teil von der Biene zugefügt werden und zum Teil aus dem Siebröhren-Saft der Linde [Saft, der im Inneren der Pflanze transportiert wird, Anm.d.Red.] stammen. Das sind ganz spezielle Honige, die sehr würzig sind und sehr wertvoll als Ernährungsgrundlage.
Zurück zum Baum und zum Auto: Wenn ich jetzt die Tropfen oder die klebrige Oberfläche spüre - dann ist das nichts weiter als Zucker?
Genau. Zucker. Nichts weiter. Eine Zuckerlösung. Und Zuckerlösungen lassen sich sehr leicht lösen, nämlich einfach durch klares Wasser. Das ist kein Hexenwerk. Wasser aufs Auto und dann löst sich der Zucker und wird weggeschwemmt.
Diese Zuckerlösung kommt aber nicht immer vor - eigentlich ja nur zu einer bestimmten Zeit, oder? Wann denn genau?
Es hat mit dem Wetter zu tun. Wenn sich so eine Population entwickelt, müssen bestimmte Umweltbedingungen herrschen. Es muss lange Zeit trocken sein. Es darf in der Honigtau-Trachtzeit nicht regnen, sonst löst sich der Zuckertropfen einfach durchs Regenwasser ab und wird weggespült. Und es müssen bestimmte Temperaturen erreicht sein. Außerdem muss die Läusepopulation eine gewisse Zeit im Jahr haben, in der sie sich auch entwickelt und diese Population muss als Masse auftreten. Das geht auch nicht gleich nach dem Winter los, sondern die Läusepopulation wächst. Aber erst dann, wenn sie exponentiell stark anwächst und eine Art Übermaß annimmt, dann hat man eben auch diese Vielzahl von Tropfen, die nach unten fallen und diese leichte Zuckerschicht bilden.
Können Sie als Imker sagen, wann Sie diesen Honig bekommen - also gibt es den jedes Jahr?
Das ist schwer zu sagen. Früher hat man einen Durchschnittswert angegeben: Alle sieben Jahre steht bei der Linde eine Honigtau-Tracht an. Jetzt aber ist es vielleicht häufiger. Das kann ich nicht so genau beurteilen. Wenn wir einfach nur einen verregneten Sommer haben, dann gibt es auch keine Honigtau-Tracht.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Felix Michel für rbb|24.