Berliner Wasserbetriebe - Unterwegs mit den Rattenjägern

Di 23.07.24 | 06:14 Uhr | Von Annette Miersch
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Die Schädlingsbekämpfer der Berliner Wasserbetriebe im Juli 2024 in Berlin. (Quelle: rbb/Annette Miersch)
Audio: rbb24 Inforadio | 23.07.2024 | Annette Miersch | Bild: rbb/Annette Miersch

Bei den Berliner Schädlingsbekämpfern herrscht jetzt im Sommer Hochsaison. Ein unliebsamer Kulturfolger hält sie aber das ganze Jahr auf Trab: Ratten. Ohne die Schädlingsbekämpfer der Berliner Wasserbetriebe wäre dieser Kampf verloren. Von Annette Miersch

Wenn sie eins so gut wie nie während der Arbeit zu Gesicht bekommen, dann sind das Ratten. "Wir sehen vielleicht drei Stück im Jahr", sagt Jens Beyer. Ganz selten sei mal eine im Zwischendeckel, ergänzt Andreas Thuma. "Wenn wir den Deckel öffnen, dann springt sie raus. Dann springen wir auch!", lacht der 53-jährige Kanalbetriebsarbeiter.

Die Männer gehören zu den Zweier-Teams, die im Abwasser-Netzabschnitt-Ost der Berliner Wasserbetriebe Tag für Tag die Wanderratten jagen.

Heute starten sie in der Borgmannstraße in Köpenick. Auftraggeber ist das Gesundheitsamt des Bezirkes. "Die sagen meistens eine Hausnummer, wo die Ratte gesichtet wurde", erklärt Jens Beyer. Meist haben sich vorher Bürger beschwert. Die Wohnungsbaugesellschaft oder der Eigentümer meldet das dem Gesundheitsamt.

Fakten zur Rattenbekämpfung

Die Rattenjäger der Berliner Wasserbetriebe (Quelle: rbb/Annette Miersch)
rbb/Annette Miersch

Die Rattenbekämpfung in der Berliner Kanalisation läuft seit Jahren auf gleichbleibendem bis fallendem Niveau, so die Berliner Wasserbetriebe (BWB). Schätzungen der Wasserbetriebe aus dem Jahr 2015 zufolge soll es rund zwei Millionen Wanderratten in Berlin geben.

Fachleute sagen, dass eine Rattenbekämpfung durch Fallen und Gift immer nur für kurze Zeit etwas bringt. Ist genug Nahrung da, hat sich die Population spätestens nach einem halben Jahr erholt.

Die Wasserbetriebe geben jährlich für die Bekämpfung der Ratten 600.000 Euro aus. Die Kosten hierfür werden über Gebühren verrechnet. Während der Corona-Jahre konnten Bekämpfungsmaßnahmen runtergefahren werden. Ein Grund hierfür war, dass sich im öffentlichen Raum weniger Müll gab - also Rattenfutter. Mittlerweile werden wieder mehr Ratten bei den Gesundheitsämtern gemeldet.

Auf Streifzug

Jens Beyer ist TÜV-geprüfter Schädlingsbekämpfer. Andreas Thuma ist der Fahrer und Deckelheber. Beide leuchten Warnschutz-Gelb von Kopf bis Fuß. Auch bei Hitze tragen sie Arbeitsschutzbekleidung: Handschuhe, lange Hosen, dicke Schuhe. Ihr Einsatzort sind Berlins Straßen und Plätze bei rollendem Verkehr.

Doch erstmal bereiten sie den Streifzug vor. Sie spießen Köder auf Haken. Kleine Gift-Riegel, verpackt in Folie. Darauf steht "Ratron Compact B". Das gibt es nicht im Baumarkt, sondern nur für Fachleute mit Sachkundenachweis wie Jens Beyer. "Das sind Blutgerinnungshemmer." Die Ratten würden zwei bis drei Tage, nachdem sie vom Köder gefressen haben, verbluten und dadurch im Endeffekt an Sauerstoffmangel sterben, erläutert der Experte. "Wenn sie bekämpft werden sollen, was wir ja müssen, dann sollen sie aber nicht noch extra unter Schmerzen sterben. Es soll schon schmerzfrei sein.“

Mit einem Handwagen laufen die Schädlingsbekämpfer los durch das Köpenicker Wohnviertel.

Der erste runde Gully-Deckel im gemeldeten Bereich. Jens Beyer stellt zwei Warnkegel auf die Straße. Andreas Thuma hebt den Deckel: "Der wiegt 100 Kilo", sagt er.

Rattenjäger: Der Job findet tagsüber und oberirdisch statt

Aus dem Schacht riecht es säuerlich. Rostige Klettersprossen führen rund zwei bis drei Meter in der grauen Betonröhre nach unten. Die Arbeiter bleiben oben auf der Straße.

Beyer zieht eine rote Schnur mit dem alten, vom Regen der letzten Tage durchgeweichten Rattengift nach oben. Die Riegel sind angenagt. Schädlingsbekämpfer Beyer beugt sich über das Gully-Loch: "Hier sieht man auch Rattenkot. Hier ist Rattenbefall!"

Unterirdisch in feuchten Schächten, dunklen Kanälen, Katakomben jagen die Rattenfänger heute nur noch selten. Der Job findet tagsüber und oberirdisch statt. Ekel kommt bei ihm nicht mehr auf. "Früher haben wir auch im Kanal direkt gearbeitet. Da musste man mit der Schaufel unten ein Sand-Kacke-Gemisch mit der Hand in einen Eimer schippen und rausziehen. Seitdem habe ich alles gesehen", sagt Beyer.

Kanalisation sind Futterparadies und Verkehrsnetz

Vor ungefähr 15 Jahren sei das noch anders gewesen. Heute reinige man die Kanäle mit Hochdruckspülwagen.

Über 240.000 runde Schacht- und Kanaldeckel gibt es in Berlin, sagen die Wasserbetriebe. Unter 30 bis 40 schauen Jens Beyer und Andreas Thuma pro Schicht. Dabei bekommen die Schädlingsbekämpfer immer wieder die Ursache für das Problem zu sehen: Das Ratten-Schlaraffenland, gemacht von den Berlinern. Viele Großstädter werfen Essensreste einfach auf die Straße oder kippen sie in die Toilette.

Besonders viele Aufträge bekommen sie vor Kitas und Schulen. "Die brauchen dort nur in den Kanal fressen gehen! Das ist ja ein reich gedeckter Tisch!", weiß Andreas Thuma. "Vor einer Kita haben wir mal den Schacht geöffnet, und da war der unten voll mit Nudeln! Da haben die Essensreste nicht in den Müll geworfen, sondern ins Abwasser entsorgt."

Die Berliner Kanalisation ist nicht der Hauptrückzugsort der Ratten, sondern ihr Futterparadies und Verkehrsnetz. Ungestört von natürlichen Feinden, wie Hunden, Katzen, Fuchs und Krähe, kommen sie dort von A nach B.

Eine Ratte läuft am 08.04.2014, aufgeschreckt durch die Aufräumabeiten der Berliner Stadtreinigung (BSR) über den Gehweg. (Quelle: dpa-Bildfunk/Bernd von Jutrczenka)

Die Abwasserbetriebs-Zentrale der Netzkontrolle Region Ost

Im Büro hier bespricht Jens Beyer die Aufträge mit seinem Vorgesetzten Mario Graf. Dieser ist der Leiter für die Netzkontrolle Ost. Berlinweit überwachen die Mitarbeiter der Netzkontrolle fast 10.000 Kilometer Kanalisation. Unter anderem reparieren sie Schäden, prüfen Hausanschlüsse, halten Regenabläufe an den Straßen in Schuss oder reinigen Anschlusskanäle. Ratten jagen gehört zum Geschäft.

In den letzten zwei Jahrzehnten ist das Ratten-Thema für die Wasserbetriebe immer wichtiger geworden. Berlin baut und verdichtet Siedlungen. Mehr Menschen heißt mehr Rattenfutter, auch in der Kanalisation. "Die Schädlingsbekämpfung in meinem Bereich macht 20 bis 30 Prozent aus", sagt Graf.

Die Rattenjäger der Berliner Wasserbetriebe im Juli 2024 in Berlin. (Quelle: rbb/Annette Miersch)

Trotzdem scheint es auch ein Kampf gegen Windmühlen zu sein. Ist genug Futter da, steht die Population spätestens nach einem halben Jahr wieder mit voller Mannschaft auf der Matte, erklärt Mario Graf. Der einzige effektive Schutz vor Ratten – ober- wie unterirdisch – sei die konsequente Vermeidung von offenen Futterquellen – also keine Essensreste auf die Straße zu werfen und vor allem auch nicht in die Toilette zu schütten.

Die Wasserbetriebe hätten schon viele Kampagnen geschaltet, was nicht in die Kanalisation rein soll:. "Aber wir haben nicht den Eindruck, dass sich da großartig etwas am Bewusstsein unserer Mitbürger geändert hat."

Rattenjäger klagen über mangelndes Problembewusstsein

Das mangelnde Problem-Bewusstsein der Berlinerinnen und Berliner hat oberirdisch sichtbare Folgen, wie die Rattenjäger Jens Beyer und Andreas Thuma sagen. Um den Zugang zum Futter im Kanal zu bekommen, nagen die Ratten sogar Abwasserrohe kaputt und unterhöhlen auch Bürgersteige und Straßen, wie Kanalbetriebsarbeiter Thuma sagt. "Das Schlimmste, was wir mal mitbekommen haben, ist, dass ein ganzes Auto in der Straße versackt ist."

Die Tour im Köpenicker Kiez ist beendet. Aufladen, dann noch kurz die Dokumentation, bevor es zum nächsten Einsatz geht.

Schädlingsbekämpfer Jens Beyer von den Berliner Wasserbetrieben holt das Tablet raus und gibt die Ergebnisse der Ratten-Runde ein. "Ausrotten werden wir sie nicht. Das ist unmöglich. Aber die Schwerpunkte versuchen wir unter Kontrolle zu bringen, und das schaffen wir auch."

Sendung: rbb24 Inforadio, 23.07.2024, 12:25 Uhr

Beitrag von Annette Miersch

19 Kommentare

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  1. 19.

    Wir leben seit Jahrhunderten mit den possierlichen Lebewesen zusammen und werden auch in den nächsten Jahrhunderten mit ihnen zusammenleben - da hilft keine ,,deutsche Sauberkeitsideologie“! Wenn der Klimawandel und keinen Strich durch die Rechnung macht!

  2. 18.

    "Das mangelnde Problem-Bewusstsein der Berlinerinnen und Berliner hat oberirdisch sichtbare Folgen,"
    Wäre es nicht möglich zu jeder Abendschau Sendung einen 30 Sekunden Einspieler zu bringen wo auf Mißsände in der Stadt hingewiesen wird, immerhin finanziert der Bürger den ÖRR !
    Früher gab es für Probleme im Verkehr die Sdg "der 7. Sinn", wurde leider 2005 abgesetzt!


  3. 17.

    In Paris gibt es viel mehr, dieser wunderbaren, klugen Tiere, seit Jahrhunderten! Empfehle nur: Ratatouille! - Film.

  4. 16.

    Bei mir im Kiez werden die Viecher sogar gefüttert. Schon öfters gesehen. Unglaublich manche Menschen

  5. 14.

    Städte und größere Siedlungen hatten schon immer ein Rattenproblem. Und wurden schon immer bekämpft. Wird man auch nie komplett verhindern können. Interessanter Bericht. War mir nicht klar, was die BWB alles machen.

  6. 13.

    Tja, es ist unglaublich, bei mir im Kiez werden die Viecher sogar noch gefüttert werden...Schon oft gesehen..

  7. 12.

    Ich wüsste nicht, dass Tiere an den Umständen Schuld sein sollten - wer sonst, außer Menschen, die durch das entsprechende Verhalten den Tieren Nahrung geben, sollte sonst ursächlich sein? Ich hätte dafür gerne mal ne Erklärung - und auf den Staat hat auch keiner geschimpft - oder wolltste nur was ablassen, um auf scheinwissend zu machen?

  8. 11.

    Am Verhalten der Menschen soll das liegen ? Aber, bitte keine moralischen Vorträge, Gängelungen oder Vorschriften ! Wenn’s ätzend wird ist der Staat, die da oben und der nebenan halt Schuld, wie könnte es auch anders sein.

  9. 10.

    Ratten sind nicht "dreist" - sie sind halt nur schnell. Dreist ist der Mensch, der meint, mit seinem hirnlosen Handeln keine Wirkung zu erzielen....

  10. 9.

    Sehr anschaulich bekommt man auch Einblicke zum Thema Wasser, Kanalisationetc. im Museum im Alten Wasserwerk:
    https://www.bwb.de/de/fuehrungen.php
    Um das Verständnis dafür zu erweitern sollte jeder Berliner dies wenigstens einmal im Leben besucht haben. Wer das einmal erfahren hat, geht danach ganz anders mit der Ressource "Wasser"und der Abfallbeseitigung um. Versprochen!

  11. 8.

    Berlin hat schon lange ein Rattenproblem, Tendenz zunehmend. Vor Jahren auf ca.eine Million geschätzt (AngabeBWB). Solange die Menschen nicht ins Hirn bekommen, wie sie durch ihr eigenes Verhalten dazu beitragen, wird sich auch nichts ändern. Bioabfälle sachgerecht zu entsorgen oder nur soviel Essen zuzubereiten/zu kaufen, dass man nichts wegwerfen muss. Ja, dazu braucht man Hirn und Organisationstalent.
    Ich habe vor einiger Zeit mit einer älteren Nachbarin ein Gespräch in dieser Richtung führen müssen:
    Sie schmeißt immer Brot etc. vom Balkon, um die Tauben unten zu füttern. ich dachte, es hakt! Von Zeit zu Zeit können wir dann in unserer Grünanlage dreiste Ratten sehen, die schneller als die Tauben sind, sich das Futter schnappen und wieder verschwinden. Viele Hinweise an unsere (landeseigene!) Wohnungsbaugesellschaft waren nutzlos, keine Reaktion.
    Wer in der Dämmerung oder abends spazieren geht, besonders in Häusernähe, hat sicher auch das "Vergnügen".

  12. 7.

    Dass Tiere leben müssen und auch ne Lebensberechtigung haben, ist an sich ja klar - bei Kulturfolgern wie Ratten muss man dies natürlich sehr differenziert betrachten und Füttern ist zu unterbinden!! Wir hatten auch Ratten im Keller, ich habe Lebendfallen aufgestellt, der Bekämpfer seine Fraßfallen. Da ich der Meinung bin, dass innerliches Verbluten Tierquälerei bedeutet, fände ich Schlagfallen besser, bei denen das Tier schmerzlos und sofort getötet wird, als die Qual des Verblutens erleben zu müssen. Meine Lebendfallen waren effektiver, ich konnte die eine oder andere Ratte fangen und habe diese dann mehr als 30 km weiter weg im Wald ausgesetzt - da sollen sie lieber in der Natur sein und möglicherweise Beutegreifern zur Nahrung dienen.
    Glücklicherweise haben Essigessenz und auch Chlorreiniger in die Löcher erfolgreich vergrämt. Seit her ist Ruhe......

  13. 6.

    Es gibt in Berlin viel zu viele Menschen die Essensreste in die Toilette geben.
    Genauso schlimm ist es Lebensmittel auf der Straße fallen zu lassen.
    Kein Wunder wenn es so viele Ratten gibt.
    Auch Vogelfutter einfach in den Park zu werfen ist unmöglich.

  14. 5.

    Habe meine Nachbarin von gegenüber mal freundlich angesprochen ob sie wüsste das in ihrer Hofeinfahrt die Ratten hin und her laufen.Ja,sagte sie,die Tierchen würden von ihr gefüttert weil sie möchte das alle Tiere leben sollen. Sowas gibt's wirklich

  15. 4.

    WEnn ich auf meinen Wegen zur und von der Arbeit die Orte des menschlichen Miteinanders anschaue, weiß ich, dass gut 90% der dort sich aufhaltenden Leute kein Bewusstsein dafür haben oder hatten. Die wahren Widerlinge und Dreckschleudern sind die Menschen, die den schlauen Ratten das Leben erst so lebenswert machen.

  16. 3.

    In den Müll? Bei uns stehen die Müllcontainer offen im Hof! Die Wohnungsbaugesellschaft bekommt es nicht hin die Müllboxen aus den 70er zu renovieren. Ein Hausmeister der sich drum kümmert hat keine Zeit mehr für son Pillepalle. Rattenparadies hoch10. Die machen eine Feuerleiter zum Müllcontainer hoch, kein Witz!

  17. 2.

    Einfach keine Essenreste im Klo runterspülen und nicht im Öffentlichen Raum entsorgen, sondern schön in die Mülltonne schmeißen...... und schon wäre das Problem gelöst aber es gibt immerwieder Menschen die es einfach nicht kapieren.

  18. 1.

    Die Kulturfolger sind nun mal hausgemacht, in unseren Slumgebieten gehören sie zum Alltag und werden sich somit nicht einfach vertreiben lassen. Die Gleichgültigkeit dieser Gesellschaft fördert derartige Vorkommnisse. Berlin ist, war und bleibt ein Rattenparadies. Die Plage sind nun mal die Menschen.

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