Mehrere Fälle in Berlin - Bekämpfung von Femiziden: "Wir versagen jeden Tag als Gesellschaft"
Zwei Femizide innerhalb weniger Tage sorgten in Berlin für Entsetzen. Experten und eine Oppositionspolitikerin fordern Maßnahmen, die Senatorin Cansel Kiziltepe (SPD) wendet sich mit einem Brief an die Bundesregierung.
Was tun gegen Femizide? Also Gewalttaten gegen Frauen, verübt weil sie Frauen sind. Elf Fälle von Femiziden erfasste die Polizeistatistik im vergangenen Jahr in Berlin. Deutschlandweit waren es 331 - dazu zählen versuchte und tatsächliche Morde und Totschläge.
Dazu kommen viele Fälle von Gewalt. Laut den Vereinten Nationen, die sich auf Daten des Bundeskriminalamts berufen, waren im vergangenen Jahr deutschlandweit über 132.000 Frauen von Gewalt in einer Partnerschaft betroffen - und das sind nur die polizeilich erfassten Taten. Aufgrund einer Dunkelfeldstudie gehen die UN davon aus, dass jede dritte Frau in Deutschland mindestens ein Mal in ihrem Leben von Gewalt betroffen ist.
Die jüngsten Fälle von Femiziden in Berlin-Zehlendorf und -Lichtenberg Ende August haben das Thema Gewalt gegen Frauen einmal mehr in den öffentlichen Fokus gebracht.
Umsetzung von Schutzmaßnahmen verläuft schleppend
Bereits vor Jahren hat Deutschland sich mit der Ratifizierung der "Istanbul-Konvention", eines Übereinkommens zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, zu Maßnahmen verpflichtet. Mehr Schutzmechanismen in Form von Hilfsdiensten, strafrechtliche Normen und Sofortschutz von Opfern sollten verbessert werden. Das verläuft allerdings schleppend.
Die renommierte Familienrechtlerin und Autorin Asha Hedayati sagt dem rbb24 Inforadio: "Es gibt nicht ausreichend Frauenhausplätze in Deutschland, keine gute Finanzierung der Beratungsstellen, kaum Täterarbeit, kaum Präventionsmaßnahmen im Bereich der Bildung." Es fehle ein Plan, das zeige sich in den Zahlen, die seit Jahren steigen. Die Probleme sind vielfältig und in fast allen Bereichen bietet sich Verbesserungspotenzial. Der Opferschutzbeauftrage des Landes Berlin beispielsweise wünscht sich vor allem eine personelle und finanzielle Stärkung der Justiz, um Verfahren beschleunigen und Strafen schneller nach der Tat verhängen zu können.
In vier von elf Fällen waren Täter polizeibekannt
Hedayati fordert zudem eine bessere Vernetzung von Justiz, sozialen Diensten, Polizei, Jugendämtern und Gesundheitswesen. In einigen Fällen sind Femizide fast schon abzusehen, dennoch werden die Frauen nicht ausreichend geschützt. Das zeigte auch der Femizid in Friedrichsfelde in der vergangenen Woche. Dort soll bereits eine Anzeige des Opfers gegen den späteren mutmaßlichen Täter wegen Stalkings vorgelegen haben. Das hatte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft der "Bild" bestätigt.
Aus der Antwort des Senats auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Ines Schmidt geht hervor, dass bei vier der elf Femizide des vergangenen Jahres in Berlin die Täter bereits zuvor polizeibekannt waren. In einem Fall hatte es vorher bereits polizeiliche Wegweisungen gegeben.
Ein Mittel, um in solchen Fällen umfassender für den Schutz der betroffenen Frauen zu sorgen, könnten sogenannte Fallkonferenzen sein. Deren Einsatz fordert Ines Schmidt. Die relevanten Stellen, wie Polizei, Jugendamt oder Frauenhäuser tauschen sich in diesem Modell gemeinsam aus, um eine Lösung zum Schutz der Frauen zu finden. In Berlin erfolgt das bisher in Arbeitsgemeinschaften einzeln, ohne dass Partei C weiß, was die Stellen A und B miteinander besprochen haben - Grund sind mögliche Bedenken beim Datenschutz. Andere Bundesländer wenden die Fallkonferenzen bereits an.
Zuständige Senatorin stellt Maßnahmenpapier vor
Die zuständige Senatorin Cansel Kiziltepe (SPD) stellte am Donnerstagnachmittag im Fachausschuss des Abgeordnetenhauses einen Vier-Punkte-Plan vor. Das Maßnahmenpapier liegt dem rbb vor.
Darin greift die Senatorin zwei Punkte auf, die auch von Gewaltschutzorganisationen gefordert werden. Zum Einen will Kiziltepe künftig auf die bereits beschriebenen Fallkonferenzen setzen. Das diese bislang in Berlin häufig vom Datenschutz blockiert werden, könne sie "nicht verstehen". Der Schutz von Frauen müsse Vorrang haben, so Kiziltepe. Darüber hinaus sollten verurteilte Gewalttäter öfter und frühzeitig zum Besuch von Täterkursen verpflichtet werden. Dafür müssten allerdings mehr Kurse angeboten werden.
Zudem fordert Kiziltepe mehr Hilfe vom Bund. Sie habe sich am Mittwoch mit einem Brief an die Bundesregierung gewandt, konkret an Familienministerin Lisa Paus (Grüne), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), so Kiziltepe. Darin habe sie diese aufgefordert, das von der Regierung angekündigte Gewalthilfegesetz endlich umzusetzen. "Wir brauchen einen verbindlichen Rechtsrahmen, der auf Bundesebene geschaffen werden muss", sagte Kiziltepe.
Kiziltepe will mehr tun - auch Gelder freigeben?
Als vierten Punkt ihres Maßnahmenplans brachte sie den Einsatz elektronischer Fußfesseln bei potenziellen Gewalttätern ins Gespräch. Auch Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) hatte sich für die elektronische Fußfessel ausgesprochen, wenn eine Anzeige wegen häuslicher Gewalt vorliegt. Diese Maßnahme ist allerdings nicht unumstritten, wird unter anderem von der Gewerkschaft der Polizei wegen eines möglichen Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte kritisiert.
Kiziltepe gab im Ausschuss allerdings auch zu, dass Berlin sich beim Schutz von Frauen vor Gewalt noch verbessern müsse. "Wir tun vieles, es reicht aber nicht aus, also müssen wir noch mehr tun", sagte sie. Es brauche mehr Schutzräume, mehr Hilfsangebote, wirksame Prävention und Strafverfolgung. Auch wenn - so die zuständige Senatorin - in diesem Jahr bereits einiges in die Wege geleitet worden sei.
In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage hatte ihre Senatsbehörde erst kürzlich geschrieben, dass rund 1,7 Millionen Euro an Geldern, die eigentlich in diesem Kalenderjahr für soziale Einrichtungen im Bereich Frauen und Gleichstellung eingeplant waren, aus dem Haushalt gestrichen wurden - im Zuge der Haushaltseinsparungen. Die verbleibenden Gelder werden - so der Vorwurf der Grünen - zu langsam ausgegeben.
Auf die Frage der Grünen-Abgeordneten Bahar Haghanipour (die die Anfrage mitgestellt hatte), ob Kiziltepe zusagen könne, keine Gelder ungenutzt liegenzulassen, antwortete die Senatorin am Donnerstag: "Daran arbeiten wir".
"Wir müssen eine gesamtgesellschaftliche Strategie entwickeln"
Die Familienrechtlerin Hedayati sagte am Tag vor Kiziltepes Auftritt im Ausschuss zur derzeitigen Situation: "Ich glaube, wir versagen jeden Tag als Gesellschaft." Die zu langsame Umsetzung von Schutzmaßnahmen sei dabei nur ein Problem. Alleine mit mehr Befugnissen für die Polizei oder härteren Strafen sei dem Missstand nicht beizukommen, sagte Hedayati. "Wir müssen früher ansetzen, wir müssen dafür sorgen, dass wir eine Gesellschaft schaffen, in der es gar nicht erst zu Gewalt kommt", sagte sie. "Wir stoßen bei diesem Thema mit der Polizei und dem Rechtsstaat an Grenzen. Wir müssen deshalb eine gesamtgesellschaftliche Strategie entwickeln."
Es seien beispielsweise schon Bildungskampagnen in Kitas und Schulen wichtig, in denen es um Geschlechterrollen und um problematische Männlichkeitsbilder gehe. Frauenrechte sollten gestärkt werden, um die strukturelle Ungleichheit zu bekämpfen.
Und - auch das ist ein Problem: Es braucht mehr Daten. Die offiziellen Polizeistatistiken sind schon erschreckend genug, die Dunkelziffern dürften deutlich höher sein. Präzisieren lässt sich das nur schwer, die letzte Dunkelfeldstudie ist bereits 20 Jahre alt. An einer neuen wird immerhin schon gearbeitet.
Sendung: rbb24 Abendschau, 05.09.2024, 19:30 Uhr
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