Weniger Ärzte, mehr Nachfrage - Auf der Suche nach einem Facharzttermin

Mo 22.07.24 | 07:31 Uhr | Von Anja Herr, Birgit Raddatz
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Wartebereich beim Arzt (Quelle: imago-images.de)
Video: rbb24 Abendschau | 22.07.2024 | Anja Herr | Bild: www.imago-images.de

Ob Orthopädin, Augenarzt oder Gynäkologin: Facharzttermine sind für die Patientinnen und Patienten manchmal mit monatelangen Wartezeiten verbunden. Das liegt nicht nur am Fachkräftemangel. Von Anja Herr und Birgit Raddatz

Seit 13 Jahren lebt Jacqueline Klinger mittlerweile in Schöneiche bei Berlin. Trotzdem fährt die 51-Jährige immer noch nach Friedrichshain zu ihrem Hausarzt. Wenn es um dringende Facharzttermine geht, nehme sie ebenfalls weitere Strecken in Kauf, erzählt Klinger. "Ich musste für ein MRT nach Zehlendorf, dafür hatte ich am übernächsten Tag auch schon einen Termin."

Bei ihrem Vater ging es allerdings nicht so schnell. Für eine dringende Behandlung sollte er zunächst vier Monate auf einen Termin warten. Sie habe die Suche dann schließlich für ihn übernommen, erzählt Tochter Jacqueline Klinger.

Mehr Optionen, einen Termin auszumachen

Seit zehn Jahren verlange es Patientinnen und Patienten mehr ab, einen Facharzttermin zu bekommen, bestätigt Thomas Georgi. Er ist Allgemeinmediziner, hinter ihm stapelt sich ein Berg Akten. Es gebe zwar mittlerweile mehr Möglichkeiten, einen Termin zu buchen, sagt er. Etwa online auf Webseiten privater Anbieter oder über die Terminservicestellen der 116117.

Auch der Hausarzt kann einen Termin beim Facharzt für den Patienten ausmachen. Andere Kommunikationsmittel seien jedoch weggefallen. "Es ist zum Beispiel mittlerweile schwer, jemanden ans Telefon zu bekommen bei den Praxen."

Fachkräftemangel führt zu weniger Terminen

Besonders schwer sei es aber sowieso für Zugezogene ohne Hausarzt, weiß Georgi. Sie wüssten meist nicht, wo sie sich hinwenden sollen. Er schätzt, dass es in den kommenden Jahren zunächst noch herausfordernder werde, einen Facharzttermin zu finden - mehr Ärzte werden in Rente gehen, als zunächst neue dazukommen.

Laut Bundesärztekammer waren Ende 2022 fast 30 Prozent aller Fachärztinnen und Fachärzte 60 Jahre alt und älter. Die Zahl der neu erteilten Facharztanerkennungen sank hingegen sogar.

Versorgungslage in Berlin nach Bezirk unterschiedlich

Die Versorgungslage mit Fachärzten in Berlin ist laut Kassenärztlicher Vereinigung Berlin insgesamt gut. Doch die Menschen bekommen nicht immer schnell einen Termin. In Neukölln fehlen Hautärzte, in Treptow-Köpenick sind es HNO-Spezialisten. Und In Marzahn-Hellersdorf bräuchte es mehr Gynäkologinnen, Urologen und Augenärztinnen.

Fünf Stunden in der Woche müssen Fachärzte in sogenannten offenen Sprechstunden kurzfristige Termine anbieten. Die gute Nachricht: Sie sind manchmal schnell zu bekommen. Oft allerdings ohne eine entsprechende Langzeitbehandlung, denn der Patientenstamm des Arztes ist meist voll.

In manchen Fachrichtungen sehe es besonders düster aus, weil die Nachfrage das Angebot schon seit Jahren übersteige, etwa bei Psychologischen Psychotherapeuten, sagt die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin, Christiane Wessel. "Wir haben Probleme bei spezialisierten Fachärzten wie Psychiatern, Gastroenterologen, Pneumologen, Rheumatologen…"

Neupatientenregelung Anfang 2023 ersatzlos gestrichen

Für Wessel liegt das Problem auch am politischen Handeln. Anfang 2023 fiel die sogenannte Neupatientenregelung weg. Seitdem gilt für Fachärzte: Nehmen sie einen Neupatienten auf, bekommen sie nicht mehr alle Untersuchungen bezahlt. "Gerade in Berlin ist es so, dass bis zu 20 Prozent der Leistungen innerhalb des Budgets nicht bezahlt werden." Laut Wessel sei es deshalb unattraktiv für Fachärzte, neue Patientinnen und Patienten aufzunehmen.

Mit der Streichung der 2019 eingeführten Neupatientenregelung wollte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) das Finanzierungsloch bei den Gesetzlichen Krankenkassen stopfen. Ärzte und Kassenärztliche Vereinigungen wehrten sich damals heftig dagegen. Allerdings bekommen sie im Gegenzug für besonders schnell vermittelte Termine einen Zuschlag. Wer Termine vermittelt, wie Hausarzt Thomas Georgi, profitiert von der neuen Regelung: Pro Patient und Termin bekommt er 15 statt wie bisher zehn Euro.

Auch Fachärzte bekommen übrigens diesen Zuschlag, wenn sie einen Termin für ihre Patienten bei einer Kollegin oder einem Kollegen ausmachen.

Sendung: rbb24 Abendschau, 22.07.2024, 19:30 Uhr

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Beitrag von Anja Herr, Birgit Raddatz

99 Kommentare

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  1. 99.

    Der HAusarztvermittlungsfall vom Hausarzt zum FAcharzt soll wirklich dringenden Fragestellungen/PAtienten vorbehalten sein.
    Darüberhinaus müßte der Hausarzt eigentlich den termin auch selbst mit der FAcharztpraxis vereinbaren. Auch dazu braucht man Zeit.

    Und wenn alle den dringenden Hausarztvermittlugnsfall haben ist nichts gewonne.


  2. 98.

    Nein, nix mit Pech.
    Sondern längerfristige Erfahrungswerte bei mir und in meinem Umfeld.
    Ich erlebe es als Ausnahme, dass Private bevorzugt werden.
    Sicher auch abhängig vom Spezialgebiet des Arztes.
    Zb Augenärzte in meiner Umgebung nehmen keine neuen Patienten mehr auf, auch keine Privaten.
    Könnte man fortsetzen

  3. 97.

    Ich möchte einmal einen Unterschied zwischen GKV und PKV Patienten zum Besten geben.
    Wir hatten eine Nachbarfamilie mit 6 Kinder Ehefrau verständnishalber Hausfrau. Er Alleinverdiener in der GKV, alle 8 Personen auf einen Kassenbeitrag.
    Die andere Familie, 2 Kinder, Eltern im Beamtenverhältnis, also alle 4 Mitglieder zwangsweise in der PKV. Wer hält das Kassensystem finanziell am Laufen?
    Jede Leistung wird i.d.R. mit 2,5 bis 3.2 fachen Satz abgerechnet, für den GKV Patienten bekommt der Arzt einmal pro Quartal sein Geld, egal ob 1 oder 8 Praxisbesuche. Wer bekommt wohl den roten Teppich ausgerollt?

  4. 96.

    "Als gesetzlich Versicherter schwillt mir beim direkten Vergleich schon manchmal der Kamm". Ihre Feststellung?
    Listen Sie doch vergleichbar auf, warum der Kamm anschwillt über KK- gesetzlich und Privat.
    Aber bitte mit Beweise, die man nachvollziehen kann.

  5. 95.

    Der HAusarztvermittlungsfall vom Hausarzt zum FAcharzt soll wirklich dringenden Fragestellungen/PAtienten vorbehalten sein.
    Darüberhinaus müßte der Hausarzt eigentlich den termin auch selbst mit der FAcharztpraxis vereinbaren. Auch dazu braucht man Zeit.

    Und wenn alle den dringenden Hausarztvermittlugnsfall haben ist nichts gewonne.


  6. 92.

    Fehler meinerseits. Danke für den Hinweis. Lt. Merkblatt werden bei Bürgergeldbezug bis zu 50% des Basistarifes der PKV bezuschusst.

  7. 91.

    Die KV Hatte die Möglichkeit 19 neue Zulassungen für Kinderarztpraxen zum 1.1.24 auszuschreiben.
    4 Zulassungen sollten nach Lichtenberg-Hohenschönhausen gehen,
    4 nach Marzahn-Köpenick,
    weitere nach Treptow-Köpenik,.Reinickendorf, Spandau.
    Für Lichtenberg-HSH und MArzahn-Hellersdorf gab es NULL Bewerbungen.
    Und das gibt es genug zu tun, arbeite ich ja selbst dort.
    Es gibt auch in Berlin genug Ecken wo Arzt/Ärztin nicht mehr tätig sein will.


  8. 90.

    dem muss ich widersprechen oder Sie hatten einfach mal Pech. In unserer Familie gibt es Privatversicherte und gesetzlich Versicherte. Als gesetzlich Versicherter schwillt mir beim direkten Vergleich schon manchmal der Kamm.

  9. 89.

    Das ist ein weit verbreitetes Klischee.
    Sofort-Termine gibt es für Private nur noch selten.
    Wartezeiten über wochen und Monate sind Normalität.
    Weiß ich als privat Versicherter aus erster Hand.

  10. 88.

    Das ist nicht nur der Fachkräfte Mangel wie man uns glauben machen will.
    Das sind auch die Massen an Menschen die man in der Stadt unterbringt zu Lasten von Allen.

  11. 87.

    Das glaube ich nicht.
    Den Privaten werden doch die Termine sofort gegeben.

  12. 86.

    Dann seien Sie froh und fragen Sie mal die MFA's in den Praxen, wie sich deren Arbeitsalltag seit 2015 verkompliziert hat. Gerade am Anfang, als alles ungeregelt ohne Krankenkassenkarte ablief.

  13. 85.

    Natürlich ist das rechtsorthodoxes Geschwafel!
    Allein die Behauptung "Ein Arzt kann nicht wissen, ob die Identität des Patienten überhaupt echt ist." ist falsch. Zum Schutz gegen Missbrauch enthält die eGKK ein Lichtbild des Versicherten und eine einheitliche Versichertennummer, die auch bei einem Kassenwechsel beibehalten wird.
    Und ein Fall in AT, wo einem Arzt zu recht die Zulassung entzogen wurde, ist hier vollkommen irrelevant.

  14. 84.

    Gerechter? Ihrer Meinung nach sollen also die, die mehr Geld haben, bessere Leistungen erhalten? Ihre Einstellung macht mich sprachlos. Und das will etwas heißen.

  15. 83.

    Oh doch! Glasklarer Whataboutismus! Das ist mal wieder der Versuch, auf ein anderes Thema (Flüchtlinge)zu lenken. Ist doch zu sehen, lesen!

  16. 82.

    Und als Facharzt bekommt man keinen KV Sitz

  17. 81.

    Ich schon. Berliner Innenstadtbereich is ja auch was anderes als ländlicher Raum in Brandenburg.
    Aber selbst wenn die Geflüchteten mit ihre ganzen Familie oder mit Dolmetcher kommen, würd ich nicht behaupten, "... die zahlreichen Flüchtlinge, die ebenfalls in die Praxen drängen."

  18. 80.
    Antwort auf [Saskia] vom 22.07.2024 um 13:33

    Das ist kein AfD Gewäsch sondern gehört mit zur Realität. Sowas wieder als rechts abzutun ist nicht hilfreich.

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