Parlamentswahlen und Referendum - Polen im Ausland bangen um ihre Stimmen
Am Sonntag finden in Polen zugleich Parlamentswahlen und ein Referendum statt. Polen im Ausland können auch in Berlin abstimmen. Da die Stimmen aber schnell ausgezählt sein müssen, befürchten viele Auslandspolen Probleme. Von Agnieszka Hreczuk
Andrzej weiß genau, was er am Sonntag macht: "Einen kleinen Ausflug nach Słubice", sagt der 35-Jährige und lächelt. Für viele Berliner und Brandenburger ist eine Fahrt in die Kleinstadt direkt an der Grenze, nur 80 Kilometer von Berlin entfernt, nichts Ungewöhnliches. Doch statt dort einzukaufen und zu tanken, werden Andrzej und sein Kumpel in Słubice ihre Stimmzettel abgeben. "Nur so kann ich sicher sein, dass meine Stimme zählt", sagt Andrzej.
Viele Wähler, wenig Zeit, neue Hürden
Andrzej lebt seit zehn Jahren in Berlin und hat hier eine Familie gegründet. Er ist einer von 54.000 Polen, die in Berlin leben. Hinzu kommen über 57.000 Menschen mit polnischen Wurzeln. Viele von ihnen besitzen die doppelte Staatsbürgerschaft und sind in Polen wahlberechtigt. Über 28.000 Polinnen und Polen leben in Brandenburg. Sie alle sind aufgerufen, am Sonntag das polnische Parlament, also Sejm und Senat neu zu wählen.
Gleichzeitig mit den Parlamentswahlen findet ein Referendum statt. Die Bürger werden gefragt, ob sie die Rente mit 67 wieder einführen wollen, ob sie den Zaun an der Ostgrenze abbauen wollen, ob sie zulassen wollen, dass Polen das Migrationspaket der "EU-Bürokratie" aufgezwungen wird und ob sie für den Ausverkauf des Staatsvermögens an ausländische Unternehmen sind. Die Fragen klingen absurd, aber das Referendum kann die Stimmen der Auslandspolen - auch in Deutschland - gefährden.
Zusätzlicher Aufwand durch Referendum
Denn die staatliche Wahlkommission interpretiert die Wahlverordnung aktuell so, dass alle im Ausland abgegebenen Stimmen - sowohl Wahl- als auch Referendumsstimmen - innerhalb von 24 Stunden ausgezählt und nach Warschau übermittelt werden müssen. Andernfalls sind sie ungültig. Die 24 Stunden-Regelung ist nicht neu. Aber bisher mussten in dieser Zeit nicht auch noch die Stimmen eines Referendums ausgezählt werden. Dazu kommt eine Regelung, die die Regierungspartei PiS Anfang des Jahres durchgesetzt hat: jeder Stimmzettel muss von jedem Wahlhelfer eigenhändig geprüft werden. Bisher durften die Wahlhelfer die Stimmzettel bei der Auszählung unter sich in Gruppen aufteilen. Die Auszählung wird dadurch aufwendiger und die Zeit noch knapper.
"Es war alles so durcheinander in diesem Jahr", erzählt Ziemek, der Donuts in einem polnischen Lebensmittelladen in Moabit holt. "Erst wussten wir lange nicht, wann die Wahlen stattfinden. Dann wussten wir nicht, ob wir überhaupt im Ausland wählen dürfen, ob man dafür einen Pass braucht. Und dann haben wir erfahren, dass unsere Stimmen verfallen, wenn sie nicht schnell genug ausgezählt werden - das war mir zu viel.“ Also holte er sich eine Wahlzulassung in der Botschaft und kaufte ein Ticket nach Wrocław. In Polen gilt die 24-Stunden-Regel nicht. "Es ist wohl die wichtigste Wahl seit langem. Sie können uns nicht ausschalten", betont er.
Berliner Polen denken links-liberal
Viele Polen sehen die neuen Regeln als Schikane der Regierungspartei PiS. Denn wenn die Auslandspolen in Europa allein das Parlament wählen würden, hätte die PiS keine Chance. 2019 gewann die Bürgerkoalition (KO) von Donald Tusk in Deutschland mit 42,98 Prozent, die PiS kam mit 24,11 Prozent auf den zweiten Platz. In Berlin fielen die Ergebnisse noch deutlicher aus: Die KO gewann mit 44,27 Prozent, gefolgt von der Linkspartei mit 30,81 Prozent. Die PiS landete mit 15 Prozent nur auf dem dritten Platz.
Allerdings ist der Einfluss der Auslandspolen auf das Wahlergebnis beschränkt. Denn ihre Stimmen werden alle zum Warschauer Wahlbezirk 19 hinzugezählt. Obwohl immer mehr Polen und Polinnen im Ausland leben, bleibt die Zahl der Mandate in diesem Wahlbezirk aber seit Jahren gleich. Kandidaten in anderen Wahlbezirken können mit viel weniger Stimmen ein Parlamentsmandat bekommen.
Für Andrzej und andere polnische Berliner ein Grund mehr, am 15. Oktober zum Wählen nach Polen zu fahren. "In Warschau bekommt die Opposition sowieso genug Stimmen. Ich will, dass ich mit meiner Stimme die Opposition woanders stärke", erklärt Andrzej.
Die meisten Berlinerpolen werden hier wählen. Monika hat sich vor zwei Wochen in Pankow registrieren lassen. Sie kennt niemanden, der diesmal nicht wählen geht: "Es gibt eine große Mobilisierung unter den Auslandspolen. Es gab zu viele Probleme. Die Leute wollen zur Wahl gehen, um etwas zu verändern".
Stundenlangen Warteschlangen zu erwarten
Auf Druck der Auslandspolen wurden in diesem Jahr fast doppelt so viele Wahllokale in Deutschland eingerichtet wie vor vier Jahren. In Berlin sind es sieben, in ganz Deutschland 42 (2019 waren es insgesamt 23, davon 4 in Berlin). Trotzdem bekommen Wähler bei der Registrierung in allen Berliner Wahllokalen einen automatischen Hinweis, dass sich zu viele Wähler registriert hätten und man mit stundenlangen Wartezeiten rechnen müsse. Momentan sind in Berlin bereits rund 35 Prozent mehr Wähler registriert als vor vier Jahren. In Berlin wählen auch Polen aus Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern.
Ewa ist zu Solidarność-Zeiten als politischer Flüchtling nach Berlin gekommen Seit Jahren ist sie als Wahlhelferin in Berlin dabei. Demokratie zu leben und sie zu schützen ist ihr sehr wichtig. Sie wirkt gelassen, "auch wenn es diesmal schwieriger wird als sonst", wie sie meint.
"Wir werden es rechtzeitig schaffen die Stimmen auszuzählen. Unsere Stimmen werden nicht verloren gehen", da ist sie sich sicher. Weniger sicher ist sie, "dass die Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen weiter oben genauso gut laufen wird."
Sendung: team Kowalski, Polen Update, 6.10.2023