Analyse zum BerlinTrend - Wie Berlin die AfD rechts liegen lässt
Die im Kern rechtsextreme AfD hat Konjunktur und wird zunehmend als normale Partei wahrgenommen. Der Berliner Regierende Bürgermeister Kai Wegner ignoriert sie - mit Erfolg. Eine Analyse von Olaf Sundermeyer
Beginnen wir in der Berliner Blase. Am Abend der Hessen-Wahl ist hier um exakt 19:24 Uhr hart die Erkenntnis eingeschlagen, dass die AfD nun auch im Westen von vielen Menschen als normale Partei verstanden wird. Unter dem Eindruck der ersten Hochrechnung, mit dem zweithöchsten Balken in Blau. Am Ende des Abends stehen 18,4 Prozent.
Bis dahin galt die AfD vielen im politischen Hauptstadtbetrieb als hartnäckiges Symptom eines ostdeutschen Demokratiedefizits, gegen dessen großflächigen Befall man den Westen immun wähnte. Wenige Tage später dann der nächste Einschlag: 23 Prozent als zweitstärkste Partei bei der Sonntagfrage zur Bundestagswahl. Der höchste im ARD-DeutschlandTrend gemessene Wert in der zehnjährigen AfD-Geschichte.
AfD bei 15 Prozent im BerlinTrend
Dagegen fällt das Umfragehoch der AfD aus dem aktuellen BerlinTrend von rbb24 Abendschau und "Berliner Morgenpost" deutlich ab: Auf 15 Prozent Zustimmung kommt die AfD in der Hauptstadt (13 West/17 Ost). Das ist bemerkenswert. Haben sich die Zustimmungswerte zur AfD in der ost-west-deutschen Metropole in den vergangenen Jahren schließlich über lange Phasen auf dem Deutschlandniveau bewegt.
Immerhin liegt die aktuelle Zustimmung etwas über dem Rekordwahlergebnis von 14,2 Prozent, mit dem die AfD vor sieben Jahren zum ersten Mal in das Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen war: Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise von 2015/2016, die den parlamentarischen Aufstieg der AfD zur ersten bundesweit erfolgreichen Rechtsaußen Partei beschleunigte: steigende Flüchtlingszahlen, staatlicher Kontrollverlust, gesellschaftliche Krise, Glücksfall für die AfD.
Danach sei bundesweit die Zahl der Menschen mit rechtsextremen Anschauungen unter der AfD-Anhängerschaft signifikant gewachsen, so die Analyse der Demoskopen von Infratest Dimap. Auch jetzt ist die Zuwanderung für die meisten Deutschen wieder das wichtigste politische Thema [tagesschau.de].
Der Berliner Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hat angesichts der Migrationskrise einen gesellschaftlichen "Kipppunkt" ausgemacht. Wohl auch aus der Erfahrung der vergangenen Flüchtlingskrise erkennt er eine Gefahr für die demokratischen Verhältnisse und den sozialen Frieden in seiner Stadt.
Populismuskonjunktur in der Polykrise
Das Land steckt in der Polykrise, und Berlin mittendrin. Nach Pandemie, Krieg und Inflation zahlt nun die nächste Krise auf die Populismuskonjunktur ein: Die gesellschaftliche Überforderung mit der ungeregelten Zuwanderung ist eine Migrationskrise. Wie aber lässt sich der Aufstieg einer im Kern rechtsextremen Partei in einem Zustand aufhalten, in dem ihr Rechtsextremismus nicht mehr skandalisiert oder problematisiert werden kann?
In Berlin ist das in diesem Wahljahr gelungen. Bei den Wiederholungswahlen sechs Wochen nach den schweren Ausschreitungen in der Silvesternacht konnte die AfD kaum profitieren: Von der folgenden Debatte um Sicherheit und Integration, sowie von Vertrauensverlust und Abwahl der rot-grün-roten Landesregierung. Die AfD kam auf 9,1 Prozent (Berlin-Wahl 2021: 8 Prozent) der Wählerstimmen und musste sich als kleinste Fraktion im Abgeordnetenhaus einfinden. Unterdessen hatte die CDU im Wahlkampf kalkulierte Populismuspunkte gesammelt und konsequent das Feld "Ordnung und Sicherheit" besetzt, auf dem die Wahl maßgeblich entschieden wurde.
Die CDU lässt die AfD rechts liegen
Der so ins Amt gewählte Regierende Bürgermeister Kai Wegner verzichtet seither auf populistische Rhetorik. Aber er bleibt konsequent in Sachen Sicherheit und Ordnung sowie gescheiterter Integration. Ohne dem Rassismus der AfD-Klientel das Wort zu reden. Die AfD ignoriert er nach außen, lässt sie rechts liegen, im öffentlichen Raum und im Abgeordnetenhaus. Er vermeidet es, sich - wie einige andere - auf der parlamentarischen Bühne lautstark mit der Nazikeule an der AfD abzuarbeiten.
Wohl auch, weil er weiß, dass es dieser eher nutzt als dass es ihr schadet. Dafür ist die öffentliche Normalisierung der AfD längst zu weit fortgeschritten. Zumal die parlamentarische Arbeit der AfD für die meisten ihrer Anhänger ohnehin unerheblich ist. Als CDU-Landesvorsitzender dichtet Wegner seine eigene Partei nach innen zur AfD hin ab. Sein Wort, dass es in Berlin mit ihm niemals eine Zusammenarbeit mit der AfD gebe, scheint in Stein gemeißelt. Die Sorge um Löcher in der Brandmauer zur AfD ist in der Berliner Landespolitik wohl unbegründet.
Die flüchtige Begegnung mit einem Scheinriesen
Damit erstickt der Regierende die einzige Hoffnung der Berliner AfD auf Machtteilhabe über eine Zusammenarbeit mit der CDU (die war groß, als die CDU noch in der Opposition war). Kurzum: Seine Regierung lässt sich nicht von der AfD treiben, beziehungsweise jagen, wie es deren Ehrenvorsitzender Alexander Gauland einst angekündigt hatte. Im Gegenteil: Durch eigenes politisches Agieren überlässt die CDU-geführte Landesregierung der AfD einzig den Raum, den ihre Wähler ihr eingerichtet haben.
Es ist der kleinste im Berliner Politikbetrieb, für jene, die sich durch keine der demokratischen Parteien vertreten fühlen. Die AfD darf sich dort, im politischen Vakuum, tummeln, ohne Entscheidungsgewalt, mit sehr eingeschränkter Wirkungsmacht.
Im Lichte des aktuellen BerlinTrends ist der Blick auf die AfD die flüchtige Begegnung mit einem Scheinriesen von 15 Prozent. Die Berliner Regierungspolitik hat einen Weg gefunden, die Ausdehnung der AfD auf ihre Stammwählerschaft zu begrenzen. Sie ist eine Minderheit. Die demokratische Mehrheit besitzt das Privileg, die Minderheit zu ignorieren. Als Ausdruck des Wählerwillens. Und die nächste Wahl ist hier erstmal weit weg.
Sendung: rbb24 Abendschau, 18.10.2023, 19:30 Uhr