Landesparteitag - Brandenburgs Grüne wollen Image der Verbotspartei abschütteln
Brandenburgs Grüne stellen sich auf ihrer Landesdelegiertenversammlung in Frankfurt (Oder) für die Kommunalwahl auf. Die Partei sieht sich vor einem Wahljahr im Gegenwind, vor allem im Süden und Osten Brandenburgs. Von Michael Schon
- Schwierige Kandidatensuche im Süden und Osten Brandenburgs
- Image der Verbotspartei verselbständigt sich
- Landesspitze setzt vor Parteitag auf defensive Kommunikation
Drei Worte brauchte Brandenburgs bündnisgrüne Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher kürzlich in einem Zeitungsinterview, um die Lage ihrer Partei zusammenzufassen. Sie sei derzeit “Lieblingsgegner von allen".
Was in den "Potsdamer Neuesten Nachrichten" ein bisschen nach "viel Feind, viel Ehr" klang, wird sich im nahenden Kommunalwahlkampf wohl als Bürde herausstellen. Vor allem in berlinfernen Gegenden fällt es den Grünen derzeit schwer, überhaupt Kandidaten für eine Gemeindevertretung oder Stadtverordnetenversammlung zu finden.
Allein in der Gemeindevertretung
Die gesellschaftliche Stimmung in Landkreisen wie Spree-Neiße oder Elbe-Elster lasse dort keinen Ansturm auf die Wahllisten erwarten, sorgt sich die Grünen-Landesvorsitzende Alexandra Pichl. Auch, weil sich herumgesprochen habe, dass ein kommunales Ehrenamt gerade für Mitglieder ihrer Partei kein Zuckerschlecken sei. Pichl beschreibt es so: "Wenn eine grüne Person allein in einer Gemeindevertretung sitzt, ist das eine Herausforderung, wenn der andere Teil rechtskonservativ ist und es keine Mitte mehr gibt." Verloren in der Gemeindevertretung. Dieses Gefühl macht sich offenbar an der Parteibasis breit.
Ungebetene Ratschläge vom Koalitionspartner
Den Grünen fliegt derzeit vieles um die Ohren, was sie anpacken: Jüngstes Beispiel auf Landesebene ist die Ernährungsstrategie, die statt einer Debatte über gesunde und klimafreundliche Lebensmittel einen öffentlichkeitswirksamen Streit mit SPD-Finanzministerin Katrin Lange entfacht hat, an dessen Ende das Bild von der Currywurst als "gesundem" Kraftriegel im Speiseplan von Verwaltungskantinen hängen blieb.
Das im Bund vermurkste Gebäudeenergiegesetz hat auch bei Brandenburgs Grünen Kollateralschäden hinterlassen, in Form von wachsendem Misstrauen gegenüber grüner Regierungskunst.
In der Migrationsdebatte stehen die Grünen als Verhinderer da. Es kommt nicht oft vor, dass sich ein Koalitionspartner vor einem Parteitag mit ungebetenen Ratschlägen zu Wort meldet. Diesmal ist es der Fall. CDU-Landeschef Jan Redmann erklärt, er "würde es sehr begrüßen, wenn die Grünen ihren Parteitag nutzen, um ihren Kurs in der Migrationspolitik zu korrigieren" und beispielsweise den Widerstand gegen die Einführung einer Bezahlkarte aufgäben. Er wirft den Grünen mangelnde Selbstreflexion vor mit Blick darauf, welchen Anteil sie an der Polarisierung der Gesellschaft hätten. Dass er sich nach der Landtagswahl lieber eine Koalition ohne Bündnis 90 / Die Grünen wünscht, hat er bereits mehrfach wissen lassen.
Selbst BVB/Freie Wähler haben das populistische Potenzial entdeckt, das in der Benennung vermeintlich grüner Vorschrifts- und Verbotspolitik liegt. Die Stichworte sind: Verbrenner-Auto, Gendern, Fleischkonsum und Heizen.
In der Kommunikation ist Luft nach oben
Wie sind die Grünen in diese Lage geraten? Und wie kommen sie wieder raus?
Die Standardantwort abgedroschen zu nennen, klingt nach Untertreibung. Grünen-Chefin Pichl, die sich auf dem Parteitag zusammen mit ihrer Co-Vorsitzenden Hanna Große Holtrup wieder an die Landesspitze wählen lassen möchte, gibt sie trotzdem: "Wir müssen Vertrauen mit guter Sachpolitik zurückgewinnen." Die Ursache für den Vertrauensverlust in die grüne Sache sieht sie nicht in handwerklichen, sondern eher in kommunikativen Problemen. Regierungsarbeit führe zur mehr Erklärungsbedarf. Da scheint aus ihrer Sicht noch Luft nach oben. Dem gegenüber stünden verkürzte Aufnahmespannen in der Öffentlichkeit und gezielte Kampagnen von rechts, bei denen bewusst auch mit Fake News Verunsicherung geschürt würde. Die Krisen der Zeit, von Ukraine-Krieg bis Inflation, seien ein Einfallstor für einfache Lösungen, die Halt versprächen – auch wenn diese Versprechen nicht haltbar seien.
Diese Analyse ist nicht neu. Die Grünen scheinen sich darin einzugrooven. Dabei entsteht in letzter Zeit der Eindruck, als sollten in der Verteidigungsstrategie verbale Vergeltungsschläge unbedingt vermieden werden. Der Diskussionsstil ähnelt bislang eher einer Art gewaltfreiem Widerstand. Nonnemacher nannte den Currywurst-Streit einen "Pseudokulturkampf" – was wohl heißen sollte, dass sie nicht gedenke, in den Ring zu steigen. Landeschefin Pichl weist darauf hin, ihre Partei habe zum Beispiel "nie auf’s Gendern bestanden." Jeder solle so kommunizieren, wie er will. Die Grünen hätten sich für eine Sprache entschieden, die alle mitnähme. Aber: "Von uns ist noch nie ein Verbot ausgegangen."
Ob dieser Satz so stimmt, sei dahingestellt. Er führt jedenfalls zur Frage: Ist das Resignation oder Strategie?
Wahlbausteine ohne Vorschriften
In den Wahlbausteinen, die der Parteivorstand zur Abstimmung vorgelegt hat, schimmert die Verbots-Abstinenz zumindest als Taktik durch. Offenbar soll sich möglichst aus keinem der zehn Punkte ohne Umwege eine Pflicht ableiten lassen. Zur Klimapolitik heißt es zum Beispiel: "Alle Kommunen sollen mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbare und verbindliche Klimakonzepte formulieren." Von müssen ist keine Rede. Es geht um Fördern (das gute Miteinander zwischen Einheimischen und Zugewanderten etwa) und Achtsamkeit (auf einheitliche Standards bei der Verwaltungsdigitalisierung). Einzige Ausnahme: Eine Zusammenarbeit mit der AfD wird grundsätzlich und entschieden abgelehnt.
Kern des Parteitags ist die Kommunalwahl – trotzdem wirft auch die Landtagswahl Schatten voraus. In dieser Woche hat die grüne Verbraucherschutz-Staatssekretärin Antje Töpfer erklärt, dass sie für das Spitzenduo zur Landtagswahl zur Verfügung stehe. Sie stellt sich den Delegierten vor, gewählt wird die Landesliste erst im Frühjahr. Von ihrem potenziellen Co-Spitzenkandidaten, Landtagsfraktionschef Benjamin Raschke, gibt es aber schon Lorbeeren: "Ich schätze Antje Töpfer für ihre ruhige, zuhörende, enorm konstruktive Art, Politik zu machen und die Teamarbeit auf Augenhöhe."
Ruhig, konstruktiv, zuhörend, auf Augenhöhe. Es klingt wie die Beschreibung des grünen Idealbilds, mit dem die Partei ins Wahljahr ziehen soll. Der Kampfmodus ist aus.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 14.10.23, 19:30 Uhr
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