Interview | Apotheker-Protest gegen Lauterbach - "Dass jemand sowas auf seinen Kassenbon druckt, können wir gut nachvollziehen"
Alle 17 Stunden macht eine Apotheke in Deutschland dicht. Den Apothekern und ihren Verbänden nach liegt das auch an der Politik von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Eine Apotheke in Brandenburg protestiert sogar auf dem Kassenbon.
Die Zahl der Apotheken in Deutschland schrumpft stetig. Laut Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e.V. (ABDA) wird im Schnitt etwa täglich eine geschlossen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will mithilfe einer Strukturreform unter anderem Neueröffnungen erleichtern und größere Flexibilität ermöglichen. Doch die Apotheker gehen auf die Barrikaden. Auch ABDA-Pressesprecher Benjamin Rohrer übt scharfe Kritik.
rbb|24: Herr Rohrer, Apotheken protestieren derzeit auf viele Arten gegen Gesundheitsminister Lauterbach. Vergangenes Jahr hat eine Apothekerin "Was soll das" gesungen. Jetzt gibt es Plakate und auch subversivere Beschwerden wie der Hinweis auf dem Kassenzettel einer Apotheke in Hennigsdorf ("Im Übrigen halten wir Karl Lauterbach als Minister für untragbar"). Ist das nötig - und inwieweit stehen Sie dahinter?
Benjamin Rohrer: Ehrlich gesagt kenne ich den Protest dieser einzelnen Apotheke nur aus den Medien. Doch wir als Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände stehen insofern hinter der Aussage, als dass Minister Lauterbach der Apothekerschaft in den vergangenen Monaten und Jahren sehr wenig Wertschätzung entgegengebracht hat. In der Pandemie haben die Apotheken zahlreiche Zusatzaufgaben für die Gesellschaft übernommen. Die Stichworte sind Masken, Tests und Impfzertifikate. Und sie haben ja auch Impfungen selbst übernommen. Das musste alles sehr schnell gehen, damit die Politik schnelle Effekte in der Bevölkerung erzielte.
Danach kam dann gleich die Lieferengpass-Krise. Laut Umfragen ist fast jedes zweite Rezept, mit dem ein Kunde in die Apotheke kommt, nicht mehr lieferbar. Um die Patientinnen und Patienten überhaupt noch versorgen zu können, suchen die Apotheken dann nach Lösungen. Das Problem ist, dass man den Apotheken immer mehr abverlangt, ihnen aber nicht zuhören will bei dem, was sie brauchen, um überhaupt weiter auf diesem hohen Niveau agieren zu können.
Deswegen haben wir im Juni schon einen Protesttag veranstaltet und dem Minister sechs Gesprächstermine angeboten, die er alle ausgeschlagen hat. Auch zum Deutschen Apothekertag vergangene Woche kam er nicht, obwohl er ursprünglich zugesagt hatte. Bei den Ärzten war er persönlich, die Apotheker bekamen eine digitale Rede über einen Bildschirm. Das also nochmal zum Thema Wertschätzung.
Auch inhaltlich haben wir derzeit große Probleme mit Herrn Lauterbachs Politik. Trotzdem haben wir als ABDA bisher nicht den Rücktritt Lauterbachs gefordert. Die Aussage auf dem Kassenzettel ist auch nicht mit uns abgestimmt. Den Argwohn und die Gefühlslage des Apothekers oder der Apothekerin, der sowas auf seinen Kassenbon druckt, können wir aber sehr gut nachvollziehen.
Es geht also um die politischen Inhalte und auch um die Art und Weise des Ministers?
Ja, richtig. Ein weiteres Beispiel: Vor seiner digitalen Zuschaltung zum Apothekertag hatten wir ihm mit etwa einem Monat Vorlauf sechs Fragen geschickt, die er zu oder auf diesem Termin beantworten sollte. Was er stattdessen tat war, seine Pläne für eine Umstrukturierung der Apothekenlandschaft einen Tag vorher über die "FAZ" zu verkünden. Statt mit uns direkt zu sprechen. Und diese Pläne haben es in sich. Herr Lauterbach will es Filialapotheken freistellen, ob diese noch Nachtdienste machen und selbst Arzneimittel herstellen. Auch Apotheken ganz ohne Apothekerinnen und Apotheker soll es geben. Insbesondere für Menschen, die in der Nähe solcher, verstümmelter Apotheken wohnen, würde sich die Versorgung erheblich verschlechtern.
Um was geht es bei Ihren Protesten derzeit denn vor allen Dingen? Um die Lieferengpässe für bestimmte Medikamente, die über ein Lieferengpassgesetz reguliert werden sollen?
Unter anderem um die Lieferengpässe gingen unsere ersten Proteste im Juni. Wir meinen immer noch, dass das Gesetz – und das weiß auch Herr Lauterbach – erst in mehreren Jahren wirken wird. Deshalb wird es auch in diesem Herbst und Winter wieder zahlreiche Lieferengpässe geben. Denn bis sich die Pharmaindustrie hier in Europa wieder aufbaut, vergehen Jahre. Deshalb haben wir damals schon mehr Unterstützung verlangt für die Ausgleichsarbeit, die die Apotheken da leisten. Denn jedes Mal, wenn ein Arzneimittel fehlt, muss er Apotheker auf teilweise stundenlange Recherche gehen, um überhaupt ein Medikament aufzutreiben, dass er dem Patienten mitgeben kann.
Unsere jetzigen Proteste haben mit dieser Lieferengpassgeschichte nur noch bedingt zu tun, denn da ist ja das Gesetz schon durch den Bundestag. Bei den jetzigen Protesten geht es darum, dass Herr Lauterbach das Apothekensystem als solches reformieren will. Die Apothekenzahl in Deutschland ist in den letzten Jahren um rund 17 Prozent gesunken. Es gab einmal 21.000 Apotheken, jetzt gibt es nur noch 17.800. Wir mahnen die Politik schon seit Jahren, die Apotheken zu stützen und zu stabilisieren, damit die Schließungswelle gestoppt wird.
Ihren Angaben zufolge schließt im Schnitt jeden Tag eine deutsche Apotheke. Was genau raubt den Apotheken-Teams die Kraft? Haben sie nicht genügend Personal?
Das ist einer der Gründe. Es gibt tatsächlich durch den Fachkräftemangel eine riesige Personalkrise. Es liegt aber auch daran, dass die Politik 2004 in Deutschland den Arzneimittelversandhandel auch für verschreibungspflichtige Mittel erlaubt hat. Das waren damals insbesondere die Ministerin Ulla Schmidt, die damals übrigens schon von Herrn Lauterbach beraten wurde – also die SPD.
Doch ein weiterer Faktor ist, dass das regulierte Apothekenhonorar für verschreibungspflichtige Arzneimittel – woraus Apotheken etwa 90 Prozent ihres Umsatzes stemmen – seit 2013 nicht mehr angepasst wurde. Konkret heißt das, dass die Honorare, die die Apotheken für Beratung und Abgabe von Arzneimitteln bekommen, seit zehn Jahren die gleichen sind. Im gleichen Zeitraum ist allein die Inflation um 38 Prozent geklettert, Personalkosten um über 50 Prozent. Der Vergütungsstand ist auf dem Jahr 2013 – der Kostenstand ist aber weiter vorangeschritten. Das versuchen wir der Politik zu vermitteln.
Wenn die Inhaberinnen und Inhaber der Apotheken aber an den Punkt kommen, wo sie ihr Personal nicht mehr bezahlen können, dann müssen sie schließen. Noch hinzu kommt, dass Apotheken oft sehr eng an das Schicksal der Arztpraxen gebunden sind. Wenn es dann in einer Gemeinde beispielsweise keine Arztpraxis mehr gibt, dann ist das auch der mögliche Tod einer eventuell vorhandenen Apotheke.
Minister Lauterbach sprach im ARD-Morgenmagazin kürzlich davon, dass Apotheken Panikmache betrieben, um mehr Honorare durchsetzen zu können. Was sagen Sie dazu?
Das ist nicht nur populistisch, das ist anmaßend und ein Affront. Die Apotheken sorgen jeden Tag – im Auftrag des Ministers – dafür, dass Kinder überhaupt noch mit Fiebersaft versorgt werden können. Zwei Stunden nach dem besagten TV-Interview, in dem er von Panikmache sprach, saß er dann mit unserer Präsidentin zusammen, um Pläne zu schmieden, wie man die schwierige Lage mit der Fiebersaft-Versorgung für Kinder verbessern kann.
Wir weisen auf die Situation hin, dass die Apotheken ihre Kosten so nicht mehr selbst stemmen können. Die Apothekenstruktur ist in Gefahr. Was noch viel wichtiger ist, ist dass die Apothekengründung für junge Apothekerinnen und Apotheker immer unattraktiver wird. Wir schauen ja nicht nur über die Versorgung von heute, sondern wollen auch schauen, wie in einigen Jahren die Versorgung mit Apotheken aussieht.
Wir brauchen mindestens einen Inflationsausgleich für die Apotheken. Diese – wir haben das ausgerechnet – 38 Prozent wären ungefähr drei Euro Plus in unserem Honorar.
Jetzt mal ketzerisch gefragt: Warum sollten nicht einfach alle Menschen im Internet bestellen? Bequem und komfortabel ist das ja.
Die Apotheken stehen für Gesundheitsschutz. Wenn jemand mit einer Parkinson-Erkrankung Augentropfen benötigt, kann er das online bestellen. Doch dann merkt er bei der Anwendung möglicherweise, dass er so sehr zittert, dass er den Wirkstoff nicht in die Augen bekommt. Geht derjenige in die Apotheke, sieht das Apothekenteam im besten Fall, dass die Tropfen für diesen Menschen nicht die richtige Darreichungsform sind. Das Team empfiehlt dann zur richtigen Anwendung eventuell Tabletten.
Ein weiteres Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie sind neu diagnostizierte Asthmatikerin. Ihr Arzt verschreibt Ihnen ein Dosier-Aerosol. Das ist nicht ganz leicht handhabbar. Der Internet-Versender schickt Ihnen das und wünscht Ihnen viel Spaß mit dem Medikament. Der Apotheker baut Ihnen das auf und zeigt Ihnen, wie es funktioniert.
Fragen sollte man sich auch, ob man wirklich bereit ist, die Innenstädte zugunsten des Internethandels aufzugeben. Ist es nicht gut zu wissen, dass ich mit akuten Beschwerden auch kurz in die Apotheke gehen kann und einen Heilberufler wohnortnah und niedrigschwellig um Hilfe bitten kann? Und noch ein letzter Grund: An den Apotheken hängen 160.000 Arbeitsplätze. Die gingen dann verloren.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24
Sendung: rbb24 Inforadio, 06.10.2023, 15:30 Uhr