Sicherheit vs. Meinungsfreiheit - Verbote von pro-palästinensischen Demos in Berlin - richtig oder falsch?
Seit dem Angriff auf Israel werden in Berlin immer wieder pro-palästinensische Demonstrationen angekündigt – und verboten. Die Polizei begründet das mit Sicherheitsbedenken. Manche sehen einen Eingriff in die Meinungsfreiheit.
Seit dem Hamas-Angriff auf Israel läuft es wieder und wieder so in Berlin: Erst werden pro-palästinensische Demonstrationen angekündigt, dann müssen sie kurz vorher wieder abgesagt werden - weil die Polizei sie verboten hat.
Zuletzt geschehen am Freitagnachmittag. Die Demo mit dem Thema "Frieden in Nahost" wurde von der Polizei verboten. Man sehe, basierend auf den Erfahrungen der Vergangenheit, die Gefahr, dass es bei der Veranstaltung zu volksverhetzenden und antisemitischen Ausrufen, Gewaltverherrlichungen, der Vermittlung von Gewaltbereitschaft und dadurch zu Einschüchterungen und zu Gewalttätigkeiten kommen könne, hieß es.
Am Donnerstagnachmittag das gleiche Prozedere: Die Demo mit dem Titel "Solidarität mit der Zivilbevölkerung im Gazastreifen" durfte nicht stattfinden. Die Begründung der Polizei fast wortwortlich identisch: Die Veranstaltung stelle eine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar.
Demo-Veranstalter kündigen rechtliche Schritte an
Ähnlich war es schon am Mittwoch gelaufen. Da wurden zwei pro-palästinensische Demonstration untersagt. Auch da hieß es von Seiten der Polizei: Die Durchführung der Demonstration stelle eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar. Das Verwaltungsgericht Berlin bestätigte das Verbot der Polizei im Eilverfahren.
Die Veranstalter wollen das jedoch nicht akzeptieren und kündigten juristische Schritte an. Die Initiative Palästina Kampagne schriebt im Internet: Die angemeldete Demonstration sei von der Polizei "mit rassistischer Begründung" untersagt worden. Die "angeblichen Aktionen einer Minderheit" würden benutzt, "um einer ganzen Gemeinschaft das Recht auf freie Meinungsäußerung zu verweigern", hieß es außerdem. Das Verbot der Polizei verstoße gegen das Grundgesetz. "Wir werden rechtliche Schritte einleiten, um unsere Rechte in Zukunft durchzusetzen."
Demo-Verbot darf nur das letzte Mittel sein
Tatsächlich sind die Voraussetzungen für ein Demonstrationsverbot in Deutschland sehr hoch [tagesschau.de]. Es darf nur das letzte Mittel sein. Vor einem Verbot muss die Polizei eine Gefahrenprognose machen und dabei Folgendes prüfen: Sind bei der Versammlung bestimmte Auflagen ausreichend, damit es nicht zu Straftaten kommt? Oder kann die Kundgebung erst einmal stattfinden und notfalls aufgelöst werden?
Bei der Prognose fließen auch Erfahrungen ein: Ist es in der Vergangenheit bei ähnlichen Demonstrationen schon zu Vorfällen gekommen, die ein Verbot rechtfertigen? Hat die Polizei bereits Erfahrungen mit bestimmten Organisationen?
Polizei nennt Sicherheitslage "herausfordernd"
Fakt ist: In den vergangenen Monaten und Jahren gab es in Berlin bei Pro-Palästina-Demos immer wieder antisemitische und volksverhetzende Parolen und daraus resultierende Verbote. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen hatte es am Donnerstagnachmittag geheißen, dass seit Samstag, dem Tag des Angriffs auf Israel, bislang mehr als 30 Straftaten wie verbotene Symbole, Plakate und Hetzreden vorgekommen seien. Hinzu kamen mehr als 30 Ordnungswidrigkeiten bei Demonstrationen, so die Polizei Berlin. Die Polizeipräsidentin Barbara Slowik bezeichnete die Sicherheitslage in Berlin derzeit als ausgesprochen herausfordernd.
Palästinenser haben Angst ihre Meinung zu äußern
Die Frage ist aber, inwieweit sich die Lage nicht ändern kann - und auch den Unterstützern der palästinensischen Position nicht auch Raum eingeräumt werden muss. Die Wissenschaftlerin Katharina Gabor, die ein Buch über das Zusammenleben von Israelis und Palästinensern in Berlin geschrieben hat, wies vor wenigen Tagen im Gespräch mit rbb|24 darauf hin, dass Palästinenser teilweise sogar Angst haben, ihre Meinung zu dem Konflikt zu äußern, weil dies immer wieder auch als Antisemitismus definiert werde.
Ähnlich äußert sich Uffa Jensen, stellvertretender Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin. Er erklärt auf Nachfrage von rbb|24: Abgesehen von der gegenwärtigen Lage sei es für Palästinenser durchaus schwierig, ihre Ansichten zu äußern, ohne sofort mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontiert zu werden. "Das halte ich für problematisch."
Antisemitismusforscher wirbt für Verständnis unter Palästinensern
Doch Jensen sagt auch: Zwar stehe er grundsätzlich Demonstrationsverboten skeptisch gegenüber, er halte ein Verbot nach den schrecklichen Massakern an Israelis für
gerechtfertigt. "Vor allem wenn es auf diesen Demos zur Unterstützung der Hamas
kommen kann. Das verletzt Juden und Jüdinnen; sie fühlen sich dadurch auch bedroht. Öffentliche Bekundungen von Freude über den Terror sind geschmacklos und ekelhaft."
Dennoch dürfe ein Verbot von pro-palästinensischen Demonstrationen nicht pauschal sein, es sei wichtig, jeden Einzelfall sorgfältig abzuwiegen. Denn ein Verbot schränke nicht nur die
Grundrechte ein, sondern auch die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, so Jensen. Allerdings ist er auch der Meinung: "Ich würde da im Moment für Verständnis auch unter Palästinenser:innen werben. Die Unterstützung der Hamas hilft auch ihnen nicht, wenn sie an einer Lösung im Nahost-Konflikt interessiert sind."
Zentralrat der Juden befürwortet Demonstrationsverbote
Der Zentralrat der Juden findet Verbote von pro-palästinensischen Demonstrationen angemessen. "Diese Demonstrationen waren bereits in der Vergangenheit höchst problematisch", lässt der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, auf Nachfrage von rbb|24 mitteilen. Jetzt würden die Demonstrationen konkret den Terror der Hamas verherrlichen und damit das wahllose Morden von bereits mehr als Tausend Israelis. Dies müsse untersagt werden. "Das Vorgehen der Behörden war genau richtig", so Schuster. "Sollten darüber hinaus trotzdem Versammlungen stattfinden, auf denen zum Tod von Juden und zur Vernichtung Israels aufgerufen wird, erwarte ich ein hartes Vorgehen."
Sendung: rbb24 Inforadio, 13.10.2023, 15:00 Uhr
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