Bilanz der Brandenburger Landesregierung - Vernunftehe statt Liebesheirat
Gut 100 Tage vor der Landtagswahl zieht die Brandenburger Landesregierung Bilanz ihrer Arbeit. Die Legislatur fiel in eine Krisenzeit. Dennoch stehe Brandenburg besser da, als es wahrgenommen werde, so die Spitzen der Koalition. Von Thomas Bittner
- Corona, Krieg und Krise als Herausforderung
- "Brandenburg-Paket" mit 1,6 Milliarden Euro Schulden
- Stabilität beim PCK und Sicherheit für die Lausitz
"Wir haben mehr Probleme gelöst, als wir selbst geschaffen haben", fasst Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) die Bilanz von fast fünf Jahren Kenia-Regierung an diesem Dienstag zusammen. Ein klassischer Woidke-Satz. Märkisches Understatement. Mehr Handwerk, weniger Mundwerk.
Ausgerechnet zwei Tage nach dem Wahlsonntag wollen die Spitzen der Regierung aus SPD, CDU und Bündnis-Grünen ihre Bilanz ziehen. Obwohl die letzte Landtagssitzung erst eine Woche später noch Projekte auf den Weg bringen kann. Und obwohl noch mehr als 100 Tage bis zur Landtagswahl vergehen. Offensichtlich wollte die Landesregierung als Erste das Bild der Legislatur zeichnen, bevor es andere tun.
Mehr als eine Stunde referieren SPD-Regierungschef Dietmar Woidke und seine Stellvertreter, die grüne Sozialministerin Ursula Nonnemacher und CDU-Innenminister Michael Stübgen über die Herausforderungen der letzten Jahre, während im Hintergrund eine Diashow Spatenstiche, Jubiläumsfeste, Werkseröffnungen und Händeschütteln abspult.
"Würde heute vieles anders machen"
Das Wenigste von dem, was die drei Koalitionsspitzen an Leistungen auflisten, stand vor fünf Jahren, Ende 2019, im Koalitionsvertrag. Denn vieles kam ganz anders als erwartet. Die frischgebackene grüne Verbraucherschutzministerin Ursula Nonnemacher musste sich anfangs mit den ersten Fällen der Afrikanischen Schweinepest beschäftigen. Brandenburg habe es geschafft, die Ausbreitung dieser Tierkrankheit Richtung Westen zu stoppen. Sie spricht von einem "Bollwerk für ganz Westeuropa“"
Und das war längst nicht die schwerste Herausforderung. Drei Jahre lang hatte Corona das Land fest im Griff. Nonnemacher erinnert an 92 Corona-Verordnungen, an die größte Impfkampagne mit mittlerweile 5,1 Millionen Impfungen. Dietmar Woidke sagt, man habe die Pandemie "aus heutiger Sicht im Großen und Ganzen gut bewältigt". Anfangs habe es riesengroße Unsicherheiten gegeben, Menschenleben sollten geschützt werden. Er spricht von der Sorge, dass Beatmungsgeräte nicht ausreichen.
Aber er sagt auch: "Ich würde heute vieles anders machen, wenn ich das Wissen von heute damals gehabt hätte." Innenminister Michael Stübgen (CDU) sieht heute noch eine nachhaltige Verunsicherung. Denn das, was Regierungen und Parlamente in der Covid-Zeit verfügten, war für die meisten jenseits aller Vorstellungen. Es gab Verbote, das eigene Haus zu verlassen. Verbote, Verwandte zu besuchen. Verbote, Kranke in Heimen und Krankenhäusern zu begleiten.
Der verordnete Zwang, allein zu bleiben, habe Spuren hinterlassen, sagt Woidke. Der Zusammenhalt würde erst wieder wachsen.
Gasmangel, Ölsanktionen und Inflation
Kaum rückte Corona in den Hintergrund, führte der Überfall Russlands auf die Ukraine zu einer Kette von Krisen. Mehr als eine Million Flüchtlinge kamen in kürzester Zeit nach Deutschland. Gasmangel und Ölsanktionen sorgten für Energiekrise, Preissteigerungen, letztlich Inflation.
Woidke schreibt sich auf seine Fahnen, "Stabilität in die Ölversorgung für das PCK gebracht zu haben." Das habe Sicherheit für die Beschäftigten geschaffen. Dass weniger das Land als vielmehr die Bundesregierung mit alternativen Ölbestellungen, der Aktivierung neuer Anlieferwege und der treuhänderischen Übernahme der Rosneft-Anteile dafür gesorgt hat, dass die Auslastung der Schwedter Raffinerie heute bei 80 Prozent liegt, wird von Woidke nicht unterschlagen, aber auch nicht sonderlich hervorgehoben.
Mit eigenem Geld wäre die Kenia-Koalition in dieser Wahlperiode nicht weit gekommen, 1,6 Milliarden Euro zusätzliche Schulden hat Brandenburg gemacht, um ökonomische und soziale Strukturen in Krisenzeiten zu erhalten. Die Kreditaufnahme wurde vollmundig "Brandenburg-Paket" genannt. Das Paket war zunächst mit zwei Milliarden Euro gefüllt, fiel dann aber vorsichtshalber kleiner aus.
Ausgegeben wurde das Geld für klamme Kommunen, den Wegfall von Kitabeiträgen für Eltern, aber auch für Ehrenamtler und Sportvereine. Ob das alles mit akuter Krisenbewältigung begründbar ist, wird gerade vom Landesverfassungsgericht geprüft. Das Urteil steht aus.
Strukturstärkung in der Lausitz am weitesten vorangekommen
Woidke beschreibt seine Landesregierung als Treiber und Möglich-Macher. Dass der Bund 10,3 Milliarden Euro für die Strukturstärkung in der Lausitz im Kohleausstiegsgesetz festgeschrieben habe, sei auch auf den Druck aus Potsdam zurückzuführen, macht er klar.
Brandenburg sei im Vergleich zu den anderen drei Kohleländern - Sachsen, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen - am weitesten bei der Umsetzung vorangekommen: Mit der Eröffnung des Bahnwerks in Cottbus, der geplanten Produktion hybrid-elektrischer Systeme, dem Lausitz-Science-Park und der bald startenden Uni-Medizin in der Lausitz gehe es voran. Das Gros wird vom Bund finanziert.
Als der Ministerpräsident gefragt wird, was er nicht geschafft habe und gern noch auf den Weg gebracht hätte, fällt ihm auch gleich wieder der Bund ein. Man habe es noch nicht ausreichend geschafft, die Bundesregierung dahin zu bringen, Schienenwege auszubauen. Konkret fordert er den Ausbau der Ostbahn von Berlin bis zur polnischen Grenze. Man wünsche sich keine Sonderbehandlung. "Aber wir werden uns gegen die Schlechterstellung stellen".
Brandenburg habe als einziges ostdeutsches Bundesland heute genau so viele Einwohner wie 1989, sagt Woidke. Doch die Infrastruktur hinkt an einigen Stellen hinterher. Deshalb der Druck auf den Bund.
Vizeministerpräsident Stübgen ergänzt die Bilanz aus CDU-Sicht: Das Verkehrsressort habe dafür gesorgt, dass das Land mobiler und erreichbarer sei. Der Flughafen BER sei endlich eröffnet und jüngst zum besten Flughafen Europas gekürt worden. 96 Prozent aller Haushalte seien ans Glasfasernetz angeschlossen. Und mit Mobilfunk könne man 98 Prozent per LTE erreichen.
Alle 54 Krankenhäuser erhalten
Die Justiz habe mit neuem Personal und neuen Strukturen den Berg an offenen Verfahren an den Sozialgerichten halbiert und an Verwaltungsgerichten um 60 Prozent reduziert. Die Polizei sei inzwischen mit 8.500 Stellen ausgestattet, der Altersdurchschnitt märkischer Polizisten sei auf dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren.
Sozialministerin Nonnemacher erinnert daran, dass alle 54 Krankenhäuser im Land erhalten wurden. 200 Millionen Euro Förderung sei an die Hospitäler gegangen. Schon der Erhalt des Bestehenden ist in diesen Zeiten ein Erfolg.
Das grün geführte Umweltressort habe einen ambitionierten Klimaplan erstellt, der als Fahrplan für Klimaneutralität bis 2045 gilt "Er wird von allen Häusern mitgetragen", so Nonnemacher.
Doch so verbindlich wie im Koalitionsvertrag verabredet und von den Grünen gewünscht, ist die Klimastrategie längst nicht. Was in der eigenen Bilanz herunterfällt, sind die Projekte, die im Koalitionsvertrag standen und in den letzten fünf Jahren nicht umgesetzt werden konnten: von A wie Agrarstrukturgesetz bis Z wie Zukunftsfonds.
"Haben uns auf das konzentriert, was notwendig und umsetzbar ist"
In der Dreierkoalition aus den schon Jahrzehnte regierenden Sozialdemokraten, den neu in die Koalition gekommen Grünen und Christdemokraten, lief vieles nicht so glatt wie bei der Pressekonferenz präsentiert. "Die Schnittmengen mit einem der Koalitionspartner waren nicht übermäßig groß", sagt CDU-Mann Michael Stübgen und die Grüne Ursula Nonnemacher grinst gequält neben ihm.
Für die CDU sei in manchen Bereichen zu wenig passiert, so Stübgen, ohne konkreter zu werden. "Aber wir haben es geschafft, uns darauf zu konzentrieren, was notwendig und umsetzbar ist." Es seien keine verlorenen Jahre. Da pflichten ihm die anderen beiden Koalitionspartner bei. Brandenburg stehe so gut da wie nie zuvor, so Nonnemacher. "Aber die Diskrepanz zwischen dem, was empfunden wird, und der objektiven Lage ist eklatant", ergänzt sie mit Blick auf den Wahlsonntag.
Man habe sich zusammengerauft. Es sei eben eine "Vernunftehe", beschreibt Nonnemacher die Dreierkoalition und greift ein Bild von Ministerpräsident Woidke auf. Der hatte sich an den Anfang der Koalition im Jahr 2019 erinnert. "Das war nie eine Liebesheirat, das war eher eine Zweckehe." Aber Zweckehen würden manchmal bessere Ergebnisse als Liebesehen bringen. "Und sie halten im Übrigen auch länger".
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 11.06.2024, 19:30 Uhr