Nach Cannabis-Legalisierung - Autofahrer sollen mehr THC im Körper haben dürfen
Mehr als eine winzige Menge THC im Körper kann im Straßenverkehr zu Punkten, Bußgeldern und Fahrverboten führen. Das Problem für Gelegenheitskiffer: Der Körper speichert THC lange. Darauf will der Bund nun reagieren.
- Cannabis-Konsumenten können noch Tage nach einem Rausch THC im Körper haben
- Die Bundesregierung will deshalb einen höheren THC-Grenzwert im Straßenverkehr einführen
- Mischkonsum mit Alkohol soll dafür strenger geregelt werden
- Unfallforscherin fordert THC-Schnelltests für Autofahrer
Seit dem 1. April dürfen Erwachsene legal kiffen - für Autofahrer ist der Cannabis-Konsum aber selbst im nüchternen Zustand mit Risiken verbunden. Wer mit kleinsten Mengen THC im Blut in eine Kontrolle fährt, muss mit hohen Bußgeldern, Punkten in Flensburg und einem Fahrverbot rechnen. Dass das Autofahren kurz nach dem Kiffen verboten ist, dürfte allen klar sein. Weil der Cannabis-Wirkstoff THC aber noch lange nach dem Rausch im Blut nachweisbar ist, macht ein Joint Kiffende aus rechtlicher Sicht tagelang fahruntüchtig.
In der Rechtsprechung hat sich ein niedriger Wert von 1 Nanogramm je Milliliter Blut etabliert. Nun will die Bundesregierung per Gesetz einen höheren Grenzwert festlegen: Nur wer mit 3,5 Nanogramm oder mehr unterwegs ist, riskiert demnach in der Regel 500 Euro und einen Monat Fahrverbot. Über das Vorhaben könnte der Bundestag am Donnerstag bereits abstimmen.
"Verkehrssicherheitsrelevante Wirkung nicht fernliegend"
Die Bundesregierung hatte im Rahmen einer Expertenkommission zuvor wochenlang über den Grenzwert beraten. Die Empfehlung der wissenschaftlichen Experten [pdf] klingt ein wenig umständlich: Bei 3,5 Nanogramm THC sei "eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung" beim Autofahren "nicht fernliegend" - jedoch "deutlich unterhalb der Schwelle, ab der ein allgemeines Unfallrisiko beginnt". Die Beeinträchtigung entspreche in etwa der von 0,2 Promille Alkohol. Für die Kontrolle seien Speicheltests mit hoher Empfindlichkeit erforderlich.
Klar ist für die drogenpolitische Sprecherin der FDP im Bundestag, Kristine Lütke, dass eine Teilnahme am Straßenverkehr im aktiven Rauschzustand "nicht passieren sollte". Sie befürwortet eine 3,5er-Grenze, bestätigt aber den Einwand von Kritikern, dass der Abbau von Cannabis anders stattfinde als der Abbau von Alkohol.
Laut Lütke sind die Abbauprodukte von Cannabis noch lange nachweisbar. Sie verweist darauf, dass "Gelegenheitskonsumenten" etwa mehrere Tage nach einem Konsum bei einer Verkehrskontrolle in die Bredouille kommen könnte, sollte der 1-Nanogramm-Wert weiter gelten. Lütke würde sich gar noch einen Grenzwert etwas über 3,5 wünschen.
Kiffen mit unklarer "Dosis-Wirkungs-Beziehung"
Der ADAC hält den 3,5er-Grenzwert ebenfalls für plausibel. "Es gibt bisher keine Anhaltspunkte, dass die Interessen der Verkehrssicherheit dadurch beeinträchtigt werden", heißt es in der Stellungnahme. Wichtig sei aber, keinen falschen Eindruck zu vermitteln. Knackpunkt ist die sogenannte Dosis-Wirkungs-Beziehung, die es beim Alkoholtrinken, nicht aber beim Kiffen gibt.
Mit anderen Worten, Trinkende können nachvollziehen, wie stark ihr Getränk ist und welche Menge davon sie voraussichtlich fahruntüchtig machen wird. Beim Kiffen lässt sich das im Voraus schlechter abschätzen, auch weil der genaue THC-Gehalt in Cannabis-Produkten oft nicht ersichtlich ist und von Konsumierenden unterschiedlich schnell abgebaut wird. "Es besteht nicht die Möglichkeit, sich an einen Grenzwert 'heranzukiffen'", schreibt der ADAC. Daher gelte unmissverständlich: "Wer fährt, kifft nicht!"
Die Deutsche Polizeigewerkschaft warnte, der vorgesehene THC-Grenzwert sei ein Schritt in die falsche Richtung. Der aktuelle Grenzwert von 1 Nanogramm sei maßvoll und hoch valide. "Zur Erhöhung der Verkehrssicherheit wäre vielmehr eine Anpassung der Alkoholgrenzwerte erforderlich gewesen."
Verkehrspolizei-Votum: Legalisierung kann zu Anstieg der Getöteten führen
Um riskanten "Mischkonsum" strenger zu ahnden, soll bei Cannabiskonsum ein Alkoholverbot kommen - und ein höheres Bußgeld von 1.000 Euro. Außerdem soll in der Probezeit nach dem Führerscheinerwerb und für unter 21-Jährige wie bei Alkohol ein Cannabis-Verbot gelten. Sanktion: in der Regel ein Punkt und 250 Euro.
In einem verkehrspolizeilichen Votum [pdf] für die Expertengruppe der Bundesregierung zum THC-Grenzwert heißt es, es bleibe zu erwarten, "dass neben einer zukünftig generell erhöhten Anzahl an cannabisbeeinflussten Verkehrsteilnehmer auch die Anzahl an mischintoxikierten Verkehrsteilnehmern steigen wird". Der sogenannte Mischkonsum sei auch in kleinen Mengen in der Wechselwirkung unberechenbar. "Daher wird ausdrücklich begrüßt, dass ein bedingungsloses Verbot für Mischkonsum von Cannabis und Alkohol empfohlen wird." Gleichzeitig plädieren die Autor:innen für ein grundsätzliches THC-Verbot im Straßenverkehr: "Eine Legalisierung kann [...] wie in Auswertungen aus Colorado Oregon, Alaska und Washington konstatiert, gleichwohl zu einem Anstieg der Getöteten bei einem Verkehrsunfall führen."
GDV fordert Anpassung in Puncto Mischkonsum
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) mahnt mit Blick auf möglichen Mischkonsum eine Planänderung an. Denn der derzeitige Entwurf der Regierung ermöglichte es, weiter bis zu 0,5 Promille Alkohol und bis zu 3,5 Nanogramm THC im Blut zu haben. Sobald Alkohol getrunken werde, müsse aber eine Null-Toleranz-Grenze für Cannabis gelten - und umgekehrt.
Kristin Zeidler, Leiterin Unfallforschung der Versicherer (UDV), erklärte im Gespräch mit rbb|24, es sei erwiesen, dass Mischkonsum auch in kleinen Mengen dann noch eine verkehrsbeeinträchtigende Wirkung haben könne, wenn der THC-Rausch vorüber sei. Deshalb sie es wichtig, den Passus im Gesetzentwurf noch einmal anzupassen.
Zeidler sprach sich dafür aus, die Einhaltung des THC-Grenzwerts bei Verkehrsteilnehmern auch tatsächlich gut zu kontrollieren. Kontrollmöglichkeiten seien allerdings nicht nur für die Sicherheitsbehörden sinnvoll, sondern auch für Konsumierende. "Es muss hochsensitive Speicheltests geben, an denen die Konsumierenden erkennen können, ob sie sich hinters Steuer setzen dürfen." Zudem sei eine breitere Aufklärung der Bevölkerung über mögliche Risiken des Cannabis-Konsums vor dem Führen von Fahrzeugen notwendig. "Viele wissen nicht, welche Auswirkungen THC auch längere Zeit nach dem Konsum noch immer auf die Fahrtüchtigkeit haben kann", sagte Zeidler. "Da muss die Politik dringend für mehr Aufklärung sorgen."
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 06.06.2024, 19:40 Uhr
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