Interview | Kriegsgefahr im Libanon - "Alle haben Angst"
Shahed Naji lebt seit gut neun Jahren in Berlin. Die angespannte Lage in Nahost belasten ihn und seine Familie im Libanon. Im Interview spricht der 43-Jährige über die Gefahr des Krieges und das Trauma des Bürgerkriegs.
rbb|24: Herr Naji, was war der Hintergrund für Ihren Umzug nach Berlin?
Shahed Naji: Ich wollte weiter studieren. Ich habe einen Bachelor in Freier Kunst absolviert und ich bin nach Berlin gekommen für ein Masterstudium im Bereich Bühnenbild und szenischer Raum. Davor war fast zwei Jahre lang Kunstlehrer in Katar. Dort habe ich an einer internationalen Schule gearbeitet. 2014 habe ich mich entschieden, dass ich nicht länger in der arabischen Welt leben möchte. Das gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Umfeld ist nicht mehr schön für mich. Ich wollte was anderes erleben.
Sie haben noch Familie im Libanon, Sie haben dort Freunde.
Ja genau. Also ich bin der Jüngste in meiner Familie, fast alle meine Geschwister sind im Libanon und sie leben dort und arbeiten dort, sind verheiratet, haben Kinder. Das ist eine große Familie. Wir haben engen Kontakt, Gott sei Dank. Wir haben WhatsApp und Instagram und man kann so täglich kommunizieren.
Sind Sie dann auch selbst oft noch im Libanon? Fahren Sie noch hin?
Seit 2015 bin ich nur zwei Mal im Libanon gewesen. Ich war nicht so enthusiastisch, weil ich wusste, dass die Lage dort allgemein nicht gut ist. Außerdem sind auch meine Eltern gestorben. Also ich hatte keinen Grund mehr, in der Libanon zu reisen. Aber ich habe täglich Kontakt mit meiner Familie und meinen Geschwistern. Wir schreiben jeden Tag und machen auch Videoanrufe.
Jetzt hat sich die Lage zuletzt verschärft. Wie beobachten Sie das hier aus Berlin?
Ich bin fast alle 15 Minuten am Handy und gucke, ob was Neues passiert ist. Man hat immer Angst vor einem großen Krieg. Viele Menschen versuchen, den Süden des Libanon zu verlassen. Die wirtschaftliche und ökonomische Situation ist auch nicht so gut, also man hat immer Angst. Ich schreibe mit meinen Geschwistern jeden Tag: Wie war Eure Nacht, habt Ihr was gehört? Es ist eine angespannte Situation.
Wie berichten Ihnen Ihre Geschwister und die Leute, die Sie im Libanon kennen, über ihren Alltag?
Es gibt natürlich Angst, aber man sieht auch: Die Leute haben keine Lust mehr. Es gab einen Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 und seitdem es gibt keine Ruhe im Libanon. Noch ein Krieg … also die Leute können nicht mehr.
Alle haben Angst. Aber sie wissen auch, dass sie nichts dagegen tun können. Zum Beispiel im Süden des Landes: Es ist eine Entscheidung, die die Hisbollah und Israel fällen. Ob es einen Krieg gibt oder nicht. Die Leute können nichts tun, außer beobachten und abwarten. Und das ist natürlich sehr schlecht.
Können Sie denn aus Berlin irgendetwas tun, was den Leuten dort vor Ort hilft?
Ich und andere Freunde, die aus dem Libanon stammen, unterstützen unsere Familien mit Geld. Aber abseits davon können wir gar nichts tun, leider. Kommt es zu einem Krieg zwischen dem Libanon und Israel, dann wird alles teuer. Es herrscht dann Mangel an alltäglichen Dingen wie Brot, Käse, Fleisch, aber auch Benzin. Das ist richtig schwer.
Was hören Sie von ihren Geschwistern, wie die Situation ihren Alltag beeinflusst?
Sie versuchen beispielsweise, keine langen Reisen mehr zu unternehmen. Meine Familie lebt im Norden des Landes. Sie fahren derzeit nicht nach Beirut oder in den Süden des Landes, weil sie befürchten, dass Israel anfängt, Beirut zu bombardieren. Deswegen bleiben alle zurzeit zu Hause und versuchen, nicht weit weg zu fahren.
Würden Sie sich dafür einsetzen, dass Ihre Familie eventuell sogar das Land verlässt?
Verlassen wahrscheinlich nicht – also sollte es zum Krieg mit Israel kommen. Sollte es aber einen Bürgerkrieg geben, dann würden wir das nicht ausschließen. Meine Familie lebt im Norden des Libanon und wäre nicht direkt betroffen von den israelischen Drohen und Kampfjets.
Wie sehen Sie die nahe Zukunft? Sie haben zuvor gesagt, Sie sehen die Gefahr eines Bürgerkrieges eher als eines Krieges mit Israel.
Die Gefahr ist immer da. Das Problem im Libanon ist, es gibt so viele Parteien, so viele Sekten. Deswegen hat man immer Angst, dass sich ein Krieg zwischen der Hisbollah und dem Libanon verlängert. Und dass die libanesische Gesellschaft sowie zahlreiche Sekten mit reingezogen werden. Außerdem gibt es seit dem Krieg im Irak 2003 einen großen Kampf zwischen Sunniten und Schiiten. Ich habe zum Beispiel Angst, dass jemand kommt und dann radikale sunnitische Milizen unterstützt. Die würden im Endeffekt gegen die Hisbollah kämpfen.
Es ist keine einfache Situation, das ist sehr komplex. Es scheint aber, als ob die internationale Gesellschaft, die USA und Europa, ihr Bestes geben, um einem Krieg zwischen Libanon und Israel beziehungsweise innerhalb des Libanon vorzubeugen.
Aber Sie haben Angst vor der allgemeinen Destabilisierung der Lage im Libanon.
Ja, auf jeden Fall. Derzeit gibt es Krieg in Irak, Syrien, Libanon. Die Beziehungen zwischen Israel und Ägypten sind so schlecht. Die Krise im Jemen. Man hat immer Angst, dass immer mehr mit reingezogen werden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Oda Tischewski, rbb24-Inforadio.
Sendung: rbb24 Inforadio, 08.08.2024, 08:30 Uhr