Jahresbericht - Ostdeutschland-Beauftragter sieht kaum "Wir-Gefühl", aber auch Chancen

Mi 25.09.24 | 16:05 Uhr
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Symbolbild: Besucher stehen auf der Dachterrasse des anlässlich der zentralen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit für Besucher geöffneten Landtages von Brandenburg. (Quelle: dpa/Soeder)
Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 25.09.2024 | Carsten Krippahl | Bild: dpa/Soeder

Der Ostdeutschland-Beauftragte der Bundesregierung hat einen Bericht zum Stand der deutschen Einheit veröffentlicht. Ostdeutsche sind in Eliten immer noch unterrepräsentiert, insbesondere neue Technologien könnten aber Aufschwung bringen.

  • Ostdeutsche in Führungspositionen noch unterrepräsentiert
  • Ansiedlung von Technologieunternehmen und Industrie bietet Chancen
  • Fachkräfte dringend benötigt
  • Viele Menschen sehen keinen Zusammenhalt in der deutschen Gesellschaft

Auch 35 Jahre nach dem Mauerfall gibt es weiter große Unterschiede in den beiden Teilen Deutschlands. So sind Menschen aus Ostdeutschland weiterhin unterrepräsentiert in den Eliten - in Führungspositionen großer Unternehmen und auch in Bundesbehörden an vielen Stellen. Auch fehlen im Osten besonders viele Fachkräfte in den Betrieben. Positiv gesehen kann man aber auch sagen: Hier gibt es Jobs - und noch dazu in Zukunftsbranchen, denn die neuen Industriebranchen investieren im Osten.

Das alles sind Erkenntnisse eines Berichts zum Stand der deutschen Einheit, die der Ostdeutschland-Beauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), am Mittwoch vorstellte. "Noch immer fließen ostdeutsche Perspektiven zu selten in die öffentliche Debatte ein", schreibt Schneider unter anderem in seinem Bericht. Das liege auch an der Unterrepräsentanz in wichtigen Führungspositionen - in der Wirtschaft, den Medien oder der Rechtsprechung.

Ostdeutsche in Führungspositionen unterrepräsentiert

Auch in Bundesbehörden ist das so. Dort sei zwar im Vergleich zu früheren Erhebungen ein leichter Anstieg der Ostdeutschen in Führungspositionen erkennbar, mit rund 15 Prozent liegt dieser allerdings immer noch unter dem Anteil an der deutschen Gesamtbevölkerung (knapp unter 20 Prozent). In diese Statistik fließt auch die Hauptstadt Berlin ein. Rechnet man sie heraus, sind nur 7,8 Prozent der Führungspositionen mit Ostdeutschen besetzt. Ein wesentlicher Grund für diese noch immer vorhandene Ungleichgewicht sei, dass viele Bundesbehörden immer noch ihren Hauptsitz in Westdeutschland haben.

Im Rahmen des Jahresberichts wurde auch eine Eliten-Befragung veröffentlicht. Ostdeutsche in wichtigen Entscheidungspositionen vermuteten dabei, dass die Unterrepräsentanz unter anderem an einer Benachteiligung aufgrund ihrer ostdeutschen Herkunft liege. Einig waren sich west- und ostdeutsche Eliten darin, dass die Gesellschaft von ostdeutschen Erfahrungen profitieren würde. Die These, dass Ostdeutsche das Gefühl hätten, Bürger zweiter Klasse zu sein, teilten immerhin 68 Prozent der westdeutschen Eliten.

Neue Industriezweige bieten Chancen - auch in Brandenburg

Allerdings: Die Wirtschaft in Ostdeutschland bietet durchaus Potenziale. Die Attraktivität des Standorts sei gestiegen, heißt es im Bericht. Das zeige sich vor allem in Investitionsvorhaben in der Industrie - auch in Brandenburg. Großinvestitionen wie die Ansiedlung von Tesla in Grünheide, die künftige "grüne" Stahlproduktion in Eisenhüttenstadt oder die Produktion von wertvoller Mikroelektronik wie von BASF in Schwarzheide sind Beispiele. Bei Tesla hätte das Arbeitsamt Frankfurt (Oder) nach eigenen Angaben etwa 1.500 Menschen in unbefristete Jobs gebracht, heißt es im Bericht.

Allerdings wird es ohne Zuwanderung wohl auf Dauer nicht gehen. Denn in Ostdeutschland fehlen besonders viele Fachkräfte. Die Schere zum Westen hat sich in den vergangenen Jahren sogar noch vergrößert. Verantwortlich ist dafür auch die wachsende Wirtschaft, denn durch die Ansiedlung der neuen, teils technologisch speziellen Industriebetriebe, werden mehr Fachkräfte benötigt, so der Jahresbericht.

Gleichzeitig gehen hier noch mehr Menschen in Rente als im Westen. Der "Altenquotient" in den ostdeutschen Flächenländern, zu denen insbesondere Brandenburg zählt, ist deutlich höher als im Westen. Die Bundesregierung will deshalb eigentlich einen Schwerpunkt auf die Gewinnung ausländischer Fachkräfte für die Region legen. Ob die jüngsten Wahlergebnisse im Osten und die Resonanz darauf in internationalen Medien dabei helfen, darf zumindest infrage gestellt werden. Schneider sagte der DPA, die Wahlergebnisse seien "erschreckend, ernüchternd und auch alarmierend".

Alarmierende Befragung zu Zusammenhalt in der Gesellschaft

Bedenkliches fördert zudem eine Befragung im Schlussteil des Berichts zutage. In einer Studie ging es um die große Frage "In welcher Gesellschaft wollen wir leben?". Für den Blick in die Zukunft braucht es die Gegenwart und der ist für viele Menschen getrübt. Fast 4.000 Personen wurden befragt.

Ein großer Teil von ihnen (46 Prozent) gab an, dass es für sie derzeit keinen großen Zusammenhalt in der Gesellschaft gebe. Im Osten war der Wert mit 55 Prozent sogar noch höher. Nur zwölf Prozent der Deutschen sehen diesen Zusammenhalt.

Besonders Menschen, die angaben, sich mit der AfD und dem BSW zu identifizieren, gaben an, dass sie ein geringes "Wir-Gefühl" empfinden würden, ebenso wie Menschen, die persönlich in einer schlechten wirtschaftlichen Lage sind. Deutlich größer scheint das gegenseitige Vertrauen - im Westen wie im Osten gleichermaßen - in ihrem lokalen Umfeld zu sein. Hier gaben deutlich mehr Menschen an, sich gegenseitig zu vertrauen und zu helfen.

Zusammenfassend sagte Schneider der Presseagentur EPD: "Im Innern wie auch in den Beziehungen nach außen musste sich Deutschland gewissermaßen neu erfinden." Das bedeute nicht, dass man nun "in vollständiger Homogenität" lebe.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 25.09.2024, 19:40 Uhr

 

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118 Kommentare

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  1. 118.

    Ich sprach - im ausgehenden zweiten Absatz - nicht vom Definitiven, sondern vom Tendenziellen. Auf diesem Tendenziellen beruhen dann die beschriebenen Tatsachen. Diesen tendenziellen Unterschied gibt es. In der Tat. und Immer noch. Das hat Platzeck - für ihn bei den bewerbenden Beamten - gut herausgestellt.

  2. 117.

    "...die TATSACHE einer zur zweiten Haut gewordenen Hochstapelei, von der sich viele Menschen in Ostdeutschland abwenden." ===> Bei allem Respekt: Klischees werden nicht dadurch zur TATSACHE, dass sie immer wieder kolportiert werden.

  3. 115.

    Zu 90 %haben Sie recht, aber es gibt heute noch ehemalige Betriebe der DDR,die nach Modernisierung und Umstrukturierung erfolgreich am Markt sind. Natürlich war dazu westliches Know-how notwendig. Aber sie können mir glauben unser Betrieb sollte vom Markt verschwinden.

  4. 114.

    Gegebenenfalls fällt auch die Art der Darstellung, der Selbstdarstellung auseinander, um mal diesen "Aspekt" aufzumachen.

    Matthias Platzeck wurde einmal gefragt, ob er einen tendenziellen Unterschied sieht zwischen der Bewerbung von Ostdeutschen und Westdeutschen. Da hat der rein anschaulich geantwortet, diesen Unterschied gäbe es schon.

    Wenn der West- /der vorherig Bundesdeutsche sich bewerbe, so stünde in der Mappe indirekt drin, ´dass ich ja das Zeug zum Minister hätte, aber notfalls würde ich auch den Sachbearbeiter machen." Und der Ostdeutsche? ´Der und der bin ich, das und das kann ich.´

    Es ist auch die Tatsache einer zur zweiten Haut gewordenen Hochstapelei, von der sich viele Menschen in Ostdeutschland abwenden. Die 0,83 % der am Lautstärksten Hochstapelnden sind daher kein Wunder.

  5. 111.

    Familienministerin. Bleibt trotzdem eine Führungsposition. Geschenkt.

  6. 110.

    Echt? Mit welcher denn? Der 1Mbit-Chip mit 99% Ausschuß, den es im Westen schon 20 Jahre vorher in Serie gab? Selbst der Maschinen- und Anlagenbau war ab den 80ern auf dem Weltmark nicht mehr konkurrenzfähig, da die Mikroelektronik Einzug hielt.

  7. 109.

    Für mich persönlich zählt im Job nur die Leistung und nicht die Herkunft. Ich habe Mitarbeiter aus allen Himmelsrichtungen versagen sehen.

  8. 108.

    Sie schrieben explizit: " und neue Abschlüsse in Brandenburg werden „belächelt“

    Daraufhin gab ich ihnen zwei kleine Beispiele mit Brandenburger Unis. "Neue" Abschlüsse, also ab dem 04.10.1990, wurden mit Sicherheit nicht belächelt. Generell gilt: zu DDR-Zeiten erworbene akademische Grade dürfen unter der verliehenen Bezeichnung weiter geführt werden. Hochschulabschlüsse werden auf formlosen Antrag (Gleichwertigkeitsantrag) anerkannt. Zweijährige Fachschulabschlüsse werden auf Antrag und dreijähriger Berufserfahrung in Dipl.-Ing(FH) umgeschrieben, nennt sich Nachdiplomierung. Ist jedoch nur wichtig, wenn man im ÖD arbeiten will. In der privatwirtschaft zählt primär die Berufserfahrung und nicht der Abschluß.

    Ihre restlichen Behauptungen, wie die "Notenabwertungen bei Personalprofis", bleiben für mich Kokolores, solange sie ihre Behauptungen nicht valide bequellen können.

  9. 107.

    Und es gibt nach meiner Wahrnehmung gravierende Unterschiede zwischen vormaligen Ostdeutschen und bereits vormaligen Bundesdeutschen im Verstehen von Meinungsbildung und Meinungsäußerung - nicht auf jeden einzelnen Menschen "heruntergebrochen" und zurückgeschlossen, vielmehr tendenziell.

    Nach meiner Beobachtung ist es ein weiter höherer Prozentsatz Ostdeutscher, der von DEM Wähler, DEM Volk spricht. Wo nicht zu Unrecht eine Art Sehnsucht vermutet werden kann, herrscht zugleich doch auch die Phantasie einer Einschmelzung vor: Bevölkerung als ´Volk wie aus einem Guss´. Psychologen - wobei ich keiner bin - würden das wohl als rigides Verhalten bezeichnen.

    Die überproportionale Neigung sehr junger Wähler zur AfD führe ich auf die versimpelte Computer-Logik eines Schwarz/Weiß-, 0 und 1-, Definitiv Richtig und Falsch-Musters zurück.

    Da passt rein TECHNIFIZIERT zusammen, was "zusammengehört".

    ;-

  10. 105.

    Die DDR war wirtschaftlich am Ende, ohne Strauß' Milliardenkredite wäre es noch früher eng für Honni geworden. Die Mär, der Westen habe die blühende, international konkurrenzfähige Wirtschaft plattgemacht um die gefährlichen Konkurrenten loszuwerden ist doch wirklich arg geschönt. Dem Respekt vor der Arbeits- und Lebensleistung der Beschäftigten tut das keinen Abbruch, man kann doch beides konstatieren. Und dass sich nach der Wende so mancher Glücksritter aus dem Westen gesundgestoßen hat, auch.

  11. 104.

    Es ist kein „Kokolores“...
    Das sehr gute Bildungsabschlüsse (siehe damalige internationale DDR Bildungseinordnung)in Teilen nur mit Zusatzstudien anerkannt wurden.. Die Arbeit wurde „genossen“ die gleichwertige Bezahlung verweigert.
    (Schul)Abschlüsse in Brandenburg werden heute 1-2 Noten abgewertet, von den Personalprofis, und benachteiligt dann damit die Guten. Brandenburg ist Bildungsvorletzter!
    Bezahleinstufungen von Landesbediensteten ist 1-2 Lohngruppen unter den Anderen im Bundesvergleich.
    Arbeitszeiten sind länger, 2-5 Stunden pro Woche, macht 2-5 Jahre mehr Lebensarbeitszeit?
    Beförderungen finden so gut wie nicht statt, bei Lehrern, Polizisten usw. usf.
    Pensionen sind geringer und Renten(punkte) auch, weil die Löhne geringer sind, seit Jahrzehnten.
    Formulierungen von Stellenausschreibungen für Spitzenjobs haben sogar strukturelle Bedeutung.
    Das sind keine Kleinigkeiten.

  12. 103.

    Sie wollen ernsthaft behaupten, dass es hier kein Missverhältnis gibt? Trotz der vorliegenden Zahlen ? Hart !

  13. 102.

    Also mit der Hälfte unseres Materials waren wir durchaus Konkurrenzfähig. Und Neubeschaffung war ja dann kein Problem mehr.

  14. 101.

    so wäre wie Sie beschreiben, der einzige, der eine Partei aus dem politischen Diskurs nehmen darf, ist der Wähler, wie der Ossi es gerade mit den Grünen gemacht hat.

  15. 100.

    Zum Teil ist das Zutreffende, was Sie anführen, Teil einer immer noch grassierenden Siegermentalität, die für den Zusammenhalt eines Landes niemals gut sein kann. So unzureichend es ist, die DDR als kleinen, kuscheligen Staat zu verniedlichen, in dem so ganz nebenbei auch noch eine SED existierte, so unzureichend ist es zweifellos, die DDR auf Mauer, Stasi und Stacheldraht zu reduzieren.

    Es sind nach meiner Empfindung diese beiden Verkürzungen, die den Gegensatz erst zur Spitze auflaufen lassen. Es sollte m. E. zwischen der kleinen DDR der alltäglichen Beziehungen und der großen DDR der hoch aufgehängten Parolen unterschieden werden.

    Neben der Siegermentalität der vorher. Bundesdeutschen war es (leider!) die Mehrheit der DDR-Bürger selbst, die ihren Staat förmlicih abgab und sich für den simplen Beitritt entschied, einer wirklichen Vereinigung eine Absage erteilte. Beitritt = Übernahme aller Regelungen des anderen. Die dies heute nicht wahrnehmen wollen, sind die AfD-Wähler.

  16. 99.

    Damit dürfte das Ende der Aufzählung wohl erreicht sein. Der erste MP Sachsens war ein im Westen geschasster Politiker. Nur im Osten ging für ihn überhaupt noch was.
    Welche Frau hat Brandenburg regiert? Weiss ich da was nicht? Stolpe, Platzeck, Woidke sind und waren Männer.

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