Jahresbericht - Ostdeutschland-Beauftragter sieht kaum "Wir-Gefühl", aber auch Chancen
Der Ostdeutschland-Beauftragte der Bundesregierung hat einen Bericht zum Stand der deutschen Einheit veröffentlicht. Ostdeutsche sind in Eliten immer noch unterrepräsentiert, insbesondere neue Technologien könnten aber Aufschwung bringen.
- Ostdeutsche in Führungspositionen noch unterrepräsentiert
- Ansiedlung von Technologieunternehmen und Industrie bietet Chancen
- Fachkräfte dringend benötigt
- Viele Menschen sehen keinen Zusammenhalt in der deutschen Gesellschaft
Auch 35 Jahre nach dem Mauerfall gibt es weiter große Unterschiede in den beiden Teilen Deutschlands. So sind Menschen aus Ostdeutschland weiterhin unterrepräsentiert in den Eliten - in Führungspositionen großer Unternehmen und auch in Bundesbehörden an vielen Stellen. Auch fehlen im Osten besonders viele Fachkräfte in den Betrieben. Positiv gesehen kann man aber auch sagen: Hier gibt es Jobs - und noch dazu in Zukunftsbranchen, denn die neuen Industriebranchen investieren im Osten.
Das alles sind Erkenntnisse eines Berichts zum Stand der deutschen Einheit, die der Ostdeutschland-Beauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), am Mittwoch vorstellte. "Noch immer fließen ostdeutsche Perspektiven zu selten in die öffentliche Debatte ein", schreibt Schneider unter anderem in seinem Bericht. Das liege auch an der Unterrepräsentanz in wichtigen Führungspositionen - in der Wirtschaft, den Medien oder der Rechtsprechung.
Ostdeutsche in Führungspositionen unterrepräsentiert
Auch in Bundesbehörden ist das so. Dort sei zwar im Vergleich zu früheren Erhebungen ein leichter Anstieg der Ostdeutschen in Führungspositionen erkennbar, mit rund 15 Prozent liegt dieser allerdings immer noch unter dem Anteil an der deutschen Gesamtbevölkerung (knapp unter 20 Prozent). In diese Statistik fließt auch die Hauptstadt Berlin ein. Rechnet man sie heraus, sind nur 7,8 Prozent der Führungspositionen mit Ostdeutschen besetzt. Ein wesentlicher Grund für diese noch immer vorhandene Ungleichgewicht sei, dass viele Bundesbehörden immer noch ihren Hauptsitz in Westdeutschland haben.
Im Rahmen des Jahresberichts wurde auch eine Eliten-Befragung veröffentlicht. Ostdeutsche in wichtigen Entscheidungspositionen vermuteten dabei, dass die Unterrepräsentanz unter anderem an einer Benachteiligung aufgrund ihrer ostdeutschen Herkunft liege. Einig waren sich west- und ostdeutsche Eliten darin, dass die Gesellschaft von ostdeutschen Erfahrungen profitieren würde. Die These, dass Ostdeutsche das Gefühl hätten, Bürger zweiter Klasse zu sein, teilten immerhin 68 Prozent der westdeutschen Eliten.
Neue Industriezweige bieten Chancen - auch in Brandenburg
Allerdings: Die Wirtschaft in Ostdeutschland bietet durchaus Potenziale. Die Attraktivität des Standorts sei gestiegen, heißt es im Bericht. Das zeige sich vor allem in Investitionsvorhaben in der Industrie - auch in Brandenburg. Großinvestitionen wie die Ansiedlung von Tesla in Grünheide, die künftige "grüne" Stahlproduktion in Eisenhüttenstadt oder die Produktion von wertvoller Mikroelektronik wie von BASF in Schwarzheide sind Beispiele. Bei Tesla hätte das Arbeitsamt Frankfurt (Oder) nach eigenen Angaben etwa 1.500 Menschen in unbefristete Jobs gebracht, heißt es im Bericht.
Allerdings wird es ohne Zuwanderung wohl auf Dauer nicht gehen. Denn in Ostdeutschland fehlen besonders viele Fachkräfte. Die Schere zum Westen hat sich in den vergangenen Jahren sogar noch vergrößert. Verantwortlich ist dafür auch die wachsende Wirtschaft, denn durch die Ansiedlung der neuen, teils technologisch speziellen Industriebetriebe, werden mehr Fachkräfte benötigt, so der Jahresbericht.
Gleichzeitig gehen hier noch mehr Menschen in Rente als im Westen. Der "Altenquotient" in den ostdeutschen Flächenländern, zu denen insbesondere Brandenburg zählt, ist deutlich höher als im Westen. Die Bundesregierung will deshalb eigentlich einen Schwerpunkt auf die Gewinnung ausländischer Fachkräfte für die Region legen. Ob die jüngsten Wahlergebnisse im Osten und die Resonanz darauf in internationalen Medien dabei helfen, darf zumindest infrage gestellt werden. Schneider sagte der DPA, die Wahlergebnisse seien "erschreckend, ernüchternd und auch alarmierend".
Alarmierende Befragung zu Zusammenhalt in der Gesellschaft
Bedenkliches fördert zudem eine Befragung im Schlussteil des Berichts zutage. In einer Studie ging es um die große Frage "In welcher Gesellschaft wollen wir leben?". Für den Blick in die Zukunft braucht es die Gegenwart und der ist für viele Menschen getrübt. Fast 4.000 Personen wurden befragt.
Ein großer Teil von ihnen (46 Prozent) gab an, dass es für sie derzeit keinen großen Zusammenhalt in der Gesellschaft gebe. Im Osten war der Wert mit 55 Prozent sogar noch höher. Nur zwölf Prozent der Deutschen sehen diesen Zusammenhalt.
Besonders Menschen, die angaben, sich mit der AfD und dem BSW zu identifizieren, gaben an, dass sie ein geringes "Wir-Gefühl" empfinden würden, ebenso wie Menschen, die persönlich in einer schlechten wirtschaftlichen Lage sind. Deutlich größer scheint das gegenseitige Vertrauen - im Westen wie im Osten gleichermaßen - in ihrem lokalen Umfeld zu sein. Hier gaben deutlich mehr Menschen an, sich gegenseitig zu vertrauen und zu helfen.
Zusammenfassend sagte Schneider der Presseagentur EPD: "Im Innern wie auch in den Beziehungen nach außen musste sich Deutschland gewissermaßen neu erfinden." Das bedeute nicht, dass man nun "in vollständiger Homogenität" lebe.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 25.09.2024, 19:40 Uhr
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