Interview | Brandenburger bei der Rallye Dakar - "Es ist nicht so, dass man genau weiß, wo es lang geht"
Timo Gottschalk aus Brandenburg legt als Beifahrer bei der Rallye Dakar tausende Kilometer zurück. Im Interview spricht der Rheinsberger über die Orientierung in der Wüste, Autoreparaturen im Nirgendwo und die Umweltverträglichkeit des Motorsports.
rbb|24: Herr Gottschalk, wo sind Sie denn jetzt gerade?
Timo Gottschalk: Wir sind gerade in Al-Ula im Nordosten von Saudi-Arabien. Wir sind hier im Biwak, wo der ganze Dakar-Tross übernachtet und die Mechaniker die Autos reparieren. Fahrer und Beifahrer schlafen dort mit auf dem Platz in Wohnmobilen. Der Tross fährt die etwas angenehmere Strecke über Asphalt und ist im Idealfall immer vor uns da und kann schon alles aufbauen. Unser Team hat acht Fahrerpaarungen und insgesamt sind wir bestimmt 115 Leute - inklusive eigenen Köchen, Physiotherapeuten, Ingenieuren und Mechanikern.
Wie sieht denn ein ganz normaler Tag während der Rallye Dakar aus?
Wir stehen morgens auf - manchmal auch recht früh. Die Tagesetappen unterteilen sich immer in eine Wertungsprüfung, wo auf Zeit gefahren wird, und in eine Verbindungsetappe, wo man im öffentlichen Straßenverkehr fährt. Heute Morgen sind wir 150 Kilometer Straße gefahren und dann 430 Kilometer auf Zeit und waren dann direkt im Biwak. Die Mechaniker reparieren dann direkt das Auto. Man selber duscht erstmal, isst etwas und geht zum Physiotherapeuten und lässt sich wieder geradebiegen. Und dann geht es recht früh ins Bett.
Sie sind der Navigator, sitzen also neben dem Fahrer und sind sozusagen das menschliche Navigationsgerät. Wie orientiert man sich denn in der Wüste?
Es gibt kein klassisches GPS. Wir haben vom Veranstalter eine Art Tablet mit dem sogenannten Roadbook. Das beschreibt den Streckenverlauf, hauptsächlich mit Distanzen und entsprechenden Zeichen wie Abzweigungen, Gefahrensituationen wie zum Beispiel Senken und Löcher. In der Wüste selber, wo es keine Wege mehr gibt, fahren wir ganz viel nach Kompassrichtung. Dazwischen gibt es noch einzelne Wegpunkte, die man erreichen muss, bei denen man aber nicht genau weiß, wo sie sind. Sie stehen zwar im Roadbook, aber man muss erstmal selber hinfinden und dann registriert das GPS, dass man den Wegpunkt erreicht hat. Wenn man einen mal nicht findet, bekommt man eine Strafe.
Wie findet man die perfekte Route durch die Wüste?
Das ist das Knifflige für den Beifahrer. Die Navigation ist bei der Rallye Dakar ein großer Punkt, der den Unterschied zwischen gewinnen oder nicht gewinnen macht. Es ist schon knifflig und teilweise im Roadbook bewusst ungenau beschrieben, so dass man wirklich gucken und seine Erfahrung miteinfließen lassen muss. Es gibt oft Probleme, dass die Leute ein Zeichen falsch interpretieren und sich dann verfahren. Es ist nicht so, dass man genau weiß, wo es lang geht.
Man muss immer die eigenen Kilometer auf dem Zähler mit dem Roadbook abgleichen. Wir haben keine Karte und auch sonst nichts. Wir haben wirklich nur unseren Kilometerzähler, unseren Kompass und die Angaben vom Veranstalter. Das kann man auch nur schwer trainieren. Das Training machen die Kilometer, die man fährt und wenn man an den Rallyes teilnimmt.
Haben Sie sich schon mal verfahren?
Ja, schon öfter. (lacht) Aber das ist ganz normal. Es gibt kaum einen Beifahrer, der sich nicht verfährt. Das gehört so dazu, wie der Fahrer die Reifen kaputtfährt. Die, die das Roadbook erstellen, fahren mit 30 oder 40 km/h lang und wir fahren da mit 140 oder 150 km/h lang. Dadurch ist es oft so, dass man etwas verpasst und dann suchen muss.
Zwei Etappen der Rallye Dakar liegen jetzt hinter Ihnen, Sie liegen mit Ihrem Fahrer Lucas Moraes auf Platz elf. Wie lief der Start aus Ihrer Sicht?
Ich muss dazusagen, dass mein Fahrer seine allererste Rallye Dakar fährt. Unsere Zielsetzung ist Durchfahren und für ihn viel lernen und Erfahrung sammeln. Das haben wir bis jetzt gut gemeistert. Wir sind auf einem guten Weg und haben gar nicht erwartet, schon nach dem zweiten Tag so weit vorne zu sein. Wir schauen natürlich, dass wir das weiter ausbauen können und sind super glücklich, wenn wir in die Top Ten kommen. Es ist eine sehr starke Konkurrenz.
Sie haben die Rallye vor zwölf Jahren schon mal gewonnen. Was braucht es denn, um den Gesamtsieg einzufahren?
Genau, 2011 habe ich damals mit Volkswagen gewonnen. Bei der Dakar gehört viel Erfahrung, viel Können aber auch eine gewisse Portion Glück dazu. Auch das Auto muss funktionieren und man darf kein technisches Problem haben. Das sind viele Faktoren, die gut ineinandergreifen müssen, damit es zum Sieg reicht.
Sie sind Diplom-Ingenieur für Fahrzeugtechnik. Greifen Sie auch selbst zum Werkzeug, wenn das Auto mal streikt?
Wir machen vor den Rallyes technische Trainings, wie man zum Beispiel einen Keilriemen wechselt oder gewisse elektrische Sachen repariert, weil wir uns auf den Prüfungen auch teilweise selbst helfen müssen. Wenn wir irgendwo im nirgendwo ein Problem mit dem Auto haben, müssen wir das selbst reparieren können. Das geht mir recht gut von der Hand, weil ich zu Hause eine Kfz-Werkstatt habe und gerne schraube. Aber es ist schon wichtig, dass man sich mit der Technik gut auskennt.
Die Rallye Dakar wurde vor einigen Jahren zwischenzeitlich nach Südamerika verlegt - unter anderem hatte es Sicherheitsbedenken in Afrika gegeben. Inzwischen findet die Rallye nur noch in Saudi-Arabien statt. Mit welchem Gefühl sind Sie dort unterwegs?
Saudi-Arabien ist eigentlich ein recht sicheres Land. Hier sind die Veranstalter und die Polizei sehr hinterher, alles abzusichern, damit alle ein sicheres Gefühl haben können. Die Veranstaltung ist schon einige Jahre hier und eigentlich fühlt man sich hier schon sehr sicher.
Kritiker werfen der Rallye vor, dass die Veranstaltung ökologisch nicht vertretbar ist. Wie stehen Sie dazu - auch vor dem Hintergrund des Klimawandels?
Na klar ist der Motorsport gerade sehr verschrien. Aber man muss auch schauen, welchen schlechten Fußbadruck andere Sportarten mit sich ziehen. Hier bei der Rallye Dakar ist von Audi auch schon ein Hybridauto dabei. Es gibt gewisse LKWs, die mit Wasserstoff fahren. Es gibt sehr gute Zukunftspläne, wie sich das Ganze mal in eine ökologisch vertretbare Richtung entwickeln soll. Ich glaube, Motorsport ist immer ein gutes Feld, um Sachen auch für den alltäglichen Gebrauch zu testen und weiterzuentwickeln, daher sehe ich das eigentlich recht unproblematisch.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Lisa Surkamp-Erler, rbb Sport.