Hertha-Niederlage in Dortmund - Es fehlt nicht viel
Hertha BSC verliert deutlich mit 1:4 in Dortmund, jedoch waren die Berliner alles andere als chancenlos. Die Gründe für die Niederlage sind schnell gefunden und sollten keine Panik aufkommen lassen – entscheidend wird der Umgang mit ihnen sein. Von Marc Schwitzky
15 zu zwölf Schüsse, acht zu fünf davon auf das Tor.
119,4 zu 111,8 gelaufene Kilometer.
238 zu 204 Sprints.
84 zu 86 gewonnene Zweikämpfe.
43 zu 57 Prozent Ballbesitz – viele der Spielwerte vom Sonntagabend lassen ein recht ausgeglichenes Spiel vermuten. Und doch verliert Hertha BSC durchaus deutlich mit 1:4 bei Borussia Dortmund.
Die eben genannten Zahlen lassen bereits erahnen: Es gibt eine klare Diskrepanz zwischen Leistung und Ergebnis. "Meines Erachtens war das kein 4:1-Spiel, es ist ein komisches Ergebnis für eine eigentlich gute Leistung von uns", findet auch Marco Richter nach dem Abpfiff. Die Gründe, weshalb die Berliner trotz eines lobenswerten Auswärtsspiels eine herbe Niederlage kassiert haben, sind schnell gefunden.
Hertha beginnt gut, das 3-5-2 funktioniert
Doch zunächst zu den Gründen, weshalb die Blau-Weißen überhaupt von einem guten Auftritt sprechen können. Erneut schickt Trainer Sandro Schwarz seine Mannschaft im noch neuen System aufs Feld. Im 3-5-2 nimmt er keinerlei personelle Veränderungen vor – der 4:1-Sieg über Borussia Mönchengladbach hat auch keinen Anlass dazu gegeben. Hertha schafft es, den Schwung aus dem Heimsieg mit nach Dortmund zu nehmen, von Beginn an spielen die Berliner mutig auf.
Das 3-5-2 hat der Mannschaft offensichtlich neue Sicherheit gegeben. Die Abläufe mit und gegen den Ball wirken deutlich souveräner und homogener als noch in den Wochen zuvor. Dazu trägt auch Tolga Cigerci sichtlich bei. Der Winterneuzugang ist auf Anhieb zur zentralen Figur des Berliner Spiels geworden, auf der Sechs dirigiert er durchgehend, bestimmt Tempo und Abstände seines Teams. Seine Passsicherheit, Präsenz und Laufstärke verleihen Hertha neue Balance.
Zwar hat der BVB von Anfang an mehr Ballbesitz, doch beherrscht Hertha die Begegnung in den ersten 20 Minuten durch hervorragendes Verhalten gegen den Ball, hohe Ballgewinne und schnelles Spiel in die Tiefe. Hertha wirkt insgesamt agiler und körperlich robuster. Die von Schwarz geforderte Intensität ist in jeder Aktion zu sehen. In der 21. Minute hätte der Hauptstadtklub in Führung gehen können, Florian Niederlechner und Marco Richter ließen die aussichtsreiche Doppelchance jedoch ungenutzt.
Der entscheidende Unterschied
Die mangelnde Effizienz, sie begleitet Hertha während des kompletten Spiels – sowohl im eigenen Angriff als auch im Verteidigen. Nachdem die Berliner ihre ersten Chancen liegen lassen und somit ihr Momentum nicht in eine Führung ummünzen, zeigt der BVB, wie es gehen kann. In der 25. Minute erzielen die Schwarz-Gelben aus dem Nichts das 1:0. Das erste Mal steht Hertha gegen den Ball nicht perfekt gestaffelt, was sofort bestraft wird. Ein Ballverlust im Mittelfeld landet bei Marco Reus, der den gebotenen Platz gut nutzt, bis zum Strafraum marschiert und schießt. Sein Schuss wäre allerdings deutlich am Tor vorbei gegangen, doch steht Karim Adeyemi zufällig goldrichtig. Der so formstarke Angreifer verwandelt eiskalt per Hacke zum 1:0.
Nur zwei Minuten später erhöht Donyell Malen auf 2:0. Erneut findet Hertha in der Rückwärtsbewegung keinen Zugriff, erneut ist es Adeyemi, der durch seine individuelle Klasse – dieses Mal spielt er sein unwiderstehliches Tempo aus – das Tor ermöglicht. Er setzt sich im Sprint gegen den bemitleidenswerten Filip Uremovic durch, flankt und findet den perfekt eingelaufenen Malen, der einnetzt.
Es sind die zwei Minuten, die symbolisch für den entscheidenden Unterschied am Sonntagabend stehen: Form und individuelle Klasse. Während Hertha momentan für jeden gewonnen Zweikampf und jede Torchance hart arbeiten muss, fliegen dem BVB, der bislang jedes Spiel im neuen Jahr gewonnen hat, die Dinge regelrecht zu. Hinzu kommen geniale Einzelaktionen von Ausnahmespielern wie Adeyemi oder Reus, die Hertha trotz gutem Auftritt vor unlösbare Momente stellen.
Hertha beweist Widerstandsfähigkeit
Rückstände haben in den ersten Partien des neuen Jahres dazu geführt, dass Hertha dramatisch in sich zusammengebrochen ist. Doch wie schon vergangene Woche gegen Gladbach beweist die „alte Dame“ auch in Dortmund Moral. In der 47. Minute führt das Engagement zum verdienten Anschlusstreffer. Ein energischer Ballgewinn im Mittelfeld wird schnell wie präzise in den Dortmunder Strafraum getragen, wo letztendlich Lucas Tousart zum Abschluss kommt und sehenswert zum 1:2 einnetzt.
Die Gäste kommen regelrecht aufgepeitscht in die zweite Halbzeit und kreieren aus der eigenen Stärke heraus ein Momentum. Wie Jagdhunde stürzen sich Tousart, Serdar, Richter und Co. auf den Dortmunder Ballbesitz, der BVB kommt zunächst nicht zum Durchatmen. Als Dortmund Herthas Angriffswelle um die Stundenmarke überstanden hat, wiederholen sich die Ereignisse aus dem ersten Durchgang. Ein Handspiel des eingewechselten Agustin Rogel lädt Reus zum direkten Freistoß ein, den er gekonnt zum 3:1 verwandelt - erneut schlägt die Dortmunder Effizienz den eigentlich ausgeglichenen Spielverlauf.
Hertha läuft infolgedessen unermüdlich an, doch wie schon davor fehlt es bei jedem Angriff an der entscheidenden Kaltschnäuzigkeit. Stattdessen darf der BVB nochmal. Jamie Bynoe-Gittens setzt zu einem wunderbaren, unaufhaltsamen Dribbling an, steckt auf Julian Brandt durch, der allein vor Torhüter Oliver Christensen zum 4:1 einschiebt. Erneut ist es die individuelle Klasse des BVB, gepaart mit einer beflügelnden Formkurve, der Hertha einfach nicht gewachsen ist.
Gegen Augsburg kommt es darauf an
Am Ende steht mit dem 1:4 die zwölfte Niederlage der laufenden Saison. Sie ist jedoch keine, die beispielsweise mit den Auftritten im neuen Jahr gegen den VfL Bochum, VfL Wolfsburg und Eintracht Frankfurt zu vergleichen ist. Gegen Dortmund hat Hertha sogar eine der besseren Saisonleistungen gezeigt. "Effizienz war der ausschlaggebende Punkt. Wir haben viel investiert, können viel in Sachen Arbeit gegen den Ball, Intensität und schnelles Umschalten mitnehmen. Wir waren heute extrem widerstandsfähig, ich habe riesigen Respekt vor meiner Mannschaft. Das ist der Weg", hält Trainer Schwarz fest.
Die Leistung gegen den BVB ist nicht weit von der gegen Gladbach entfernt, nur stand am Sonntag ein aktuell über den Dingen schwebender Gegner auf dem Feld, dem die Berliner nicht gewachsen waren. Hertha begegnete Dortmund über weite Teile der Begegnung auf Augenhöhe und bereitete der Champions-League-Mannschaft immer wieder große Probleme. "Wenn wir so auftreten, haben wir eine Chance. Deshalb bin ich positiv gestimmt", so Florian Niederlechner.
Aufgrund der Kräfteverhältnisse konnte Dortmund nur ein Bonusspiel für Hertha sein. Der Auftrag war, die Leistung vom 4:1 über Gladbach einigermaßen zu konservieren, weitere Sicherheit in die Abläufe des neuen Systems zu gewinnen und dadurch mit brauchbarem Selbstvertrauen in die so wichtige Partie am kommenden Samstag gegen den FC Augsburg zu gehen. Trotz des 1:4 sind all diese Punkte erfüllt worden.
Nun gilt es, die goldene Mitte zwischen kritischer Aufarbeitung des Ergebnisses und lobender Einordnung der eigentlich ordentlichen Leistung zu finden. Klar ist: Für das Duell gegen einen direkten Konkurrenten im Abstiegskampf wird eine gute B-Note nicht ausreichen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 19.02.2023, 19:30 Uhr