Analyse | Herthas Kantersieg gegen Fürth - Wachgeküsst
Hertha BSC hat sich durch einen 5:0-Sieg gegen Greuther Fürth freigeschwommen. An einem Nachmittag, an dem fast alles gelang bei den Berlinern, zollte Trainer Pal Dardai seinem Team größten Respekt - blieb aber auch dessen größter Kritiker. Von Fabian Friedmann
Mit einem fulminanten 5:0 gegen die SpVgg Greuther Fürth hat sich Hertha BSC aus der Krise geschossen und damit die rote Laterne in der 2. Fußball-Bundesliga abgegeben. Dass dieser Befreiungsschlag gelingen musste, war der Mannschaft bereits vor dem Anpfiff klar ins Aufgabenheft diktiert worden. Denn nach zuvor drei Niederlagen in der Liga hätte eine weitere Pleite den Druck auf die "alte Dame" wohl ins Unermessliche erhöht.
Dass dieser "Worst-Case" zu keiner Zeit greifbar war, lag auch daran, dass die Herthaner vom Anpfiff weg äußerst beherzt und konzentriert in die Partie gegen Greuther Fürth gegangen waren. Sie ließen nur wenig Zweifel aufkommen, wer an diesem Samstagnachmittag den Platz als Sieger verlassen würde.
Dementsprechend war Trainer Pal Dardai zunächst voll des Lobes für seine Mannschaft: "Respekt, in so einem schwierigen Moment so rauszukommen. Das ist ein seelischer Befreiungsschlag für die Spieler. Dafür haben wir hart gearbeitet", sagte ein strahlender Hertha-Coach nach Spielschluss am Sportschau-Mikrofon.
Hohes Pressing, effiziente Abschlüsse, spielerischer Glanz
Man kann dem Hertha-Urgestein in diesem Punkt nur beipflichten. Die Art und Weise wie Hertha den ersten Saisonsieg in der Liga einfuhr, überraschte und beeindruckte Fans und Beobachter gleichermaßen: Hohes Pressing, effiziente Abschlüsse, spielerischer Glanz. Das, was in den letzten Wochen, gar in den letzten Monaten der Hertha völlig abhandengekommen war, präsentierte sie in diesen 90 Minuten, als wären solche positiven Attribute für den Verein eine reine Selbstverständlichkeit.
Angesichts der Überlegenheit konnte selbst Gästetrainer Alex Zorniger dem Gegner nur gratulieren, auch wenn der Sieg ein bis zwei Tore zu hoch ausfiel: "Hertha hat von Beginn an die wichtigen Zweikämpfe gewonnen. Dieses Zusetzen hat uns völlig aus unserem Spiel rausgebracht", konstatierte Zorniger, der seinen Frust über eine Schiedsrichter-Entscheidung, aber vielleicht auch über die schwache Defensiv-Leistung seines Teams, mit einer Gelb-Roten Karte zu Beginn der zweiten Hälfte bezahlte.
Dardai: "Die letzte Konsequenz war wieder nicht da"
Bei all der Euphorie und den positiven spielerischen Ansätzen wusste Pal Dardai aber auch um die kleinen Unzulänglichkeiten seiner Schützlinge. Denn Hertha war auch gegen die Franken beileibe nicht so stabil, wie es das Ergebnis vermuten lassen würde. "Wir haben sehr gut angefangen, viele Balleroberungen, viele Spielzüge, aber die letzte Konsequenz war wieder nicht da. Das war ärgerlich. Aber dann läuft Tabakovic an und hat alle befreit", so Dardai.
Die Führung von Tabakovic war in der Tat der Dosenöffner für die Hertha, als er gegen tief stehende Fürther anlief und den Klärungsversuch von Fürths Keeper Jonas Urbig in der 23. Minute zur 1:0-Führung ins Tor blockte. Auf einmal war das Selbstvertrauen wieder da, auf einmal gelangen Dinge, die zuvor gegen Düsseldorf (0:1), Wehen Wiesbaden (0:1) und den HSV (0:3) nicht gelangen – allen voran die Chancenverwertung.
Tabakovic als Spieler des Spiels
Die Tore fielen an diesem Nachmittag auf Berliner Seite wie reife Früchte: Nach Tabakovics Führung feierte Eigengewächs Marten Winkler sein Tor-Debüt für die Blau-Weißen. Kurz nach der Pause traf Palko Dardai in einer wichtigen Phase überlegt zum 3:0. Und die eingewechselten Neuzugänge Gustav Christensen und Smail Prevljak kürten ihr perfektes Zusammenspiel mit dem 4:0 – der Vorentscheidung.
Spieler des Spiels war aber Stürmer Haris Tabakovic. Der Schweizer machte in der 77. Minute seinen Doppelpack zum 5:0 perfekt, verdiente sich darüber hinaus seine Tore mit unermüdlichem Einsatz. Für Dardai die komplett richtige Entscheidung an seinem Neuzugang festzuhalten. "Er ist ein guter Junge, mit gutem Charakter", so Dardai über den 29-Jährigen, dem er unter der Woche noch eine Startelfgarantie ausgestellt hatte. Tabakovic zahlte dieses Vertrauen mit zwei Toren und einer engagierten Leistung zurück.
Brutale Effizienz statt komplette Dominanz
Drei Punkte gewonnen, zwei Neuzugänge als Torschützen und Platz 18 verlassen: Man ist geneigt von einem perfekten Tag für die Hertha zu sprechen, doch das würde dem Spielverlauf nicht ganz gerecht werden. Denn trotz des zutiefst positiven Ausgangs war es beileibe nicht die komplette Dominanz der Blau-Weißen, die für den Sieg verantwortlich war, sondern eher die brutale Effizienz. Die Spieldaten untermauern dies: Fürth hatte satte 20 Torschüsse, sechs mehr als die Hertha, dazu die deutlich höhere Laufleistung und auch mehr Ballbesitz.
In zwei Phasen des Spiels, kurz vor der Pause und zwischen der 50. und 60. Spielminute war Hertha drauf und dran, die Partie aus der Hand zu geben. Die Berliner ließen sich weit in die eigene Häfte fallen, Dudziak und Marton Dardai hatten im defensiven Mittelfeld keinen Zugriff mehr. Eine gute Torhüterleistung durch Tjark Ernst und ineffiziente Gäste, die ihre guten Chancen, etwa durch Hrgota und Green, nicht nutzen konnten, verhinderten ein Gäste-Comeback schließlich. Und wer weiß, wie das Spiel verlaufen wäre, hätte Fürth für den Anschluss sorgen können.
Dardai im Stile eines Rumpelstilzchens
Diese Druckphase der Gäste ging auch an Pal Dardai nicht spurlos vorüber: Im Stile eines Rumpelstilzchens tigerte der Hertha-Coach lautstark in der Coaching-Zone herum, gestikulierte wild und stauchte seine Mannschaft so manches Mal zusammen, ob des zu sorglosen Abwehrverhaltens. "Ich hatte nach dem 2:0 das Gefühl gehabt, dass wir nachlässig wurden", erklärte Dardai später seine emotionalen Ausbrüche an der Seitenlinie.
Das Abstellen dieser Nachlässigkeiten und das Finden der defensiven Stabilität wird Dardais Aufgabe in den nächsten Wochen sein. Dazu könnten den Trainer weitere Abgänge treffen, was einen erneuten Umbau seiner Mannschaft zur Folge hätte. Das Grundgerüst der Mannschaft hat sich zwar mittlerweile deutlich herauskristallisiert, doch steht es trotz dieses wichtigen Sieges weiterhin auf eher wackligen Füßen.
Hertha sollte also so schnell wie möglich weitere Siege einfahren, damit keine weiteren Befreiungsschläge nötig sein werden wie jener an diesem perfekten Samstagnachmittag gegen die SpVgg Greuther Fürth.
Sendung: rbb24, 26.08.2023, 21:45 Uhr