Analyse der Niederlage gegen Stuttgart - Union Berlin hat seine Grundprinzipien verloren

Sa 21.10.23 | 20:43 Uhr | Von Till Oppermann
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Union-Trainer Urs Fischer ist enttäuscht (Quelle: imago images/Beautiful Sports)
Audio: rbb24 Inforadio | 21.10.2023 | Guido Ringel | Bild: imago images/Beautiful Sports

Das 0:3 gegen den VfB Stuttgart war auch in der Höhe verdient. Denn es zeigte erneut auf, wie schlecht die ehemals starke Union-Defensive in dieser Saison verteidigt. Der 1. FC Union Berlin sucht seine sportliche Identität. Von Till Oppermann

Nachdem im Heimspiel gegen den VfB Stuttgart das 0:1 gefallen war, setzte das Social Media-Team des 1. FC Union auf Galgenhumor. "16' Ihr wisst wer. | 0:1", posteten die Eisernen knapp auf ihrem X-Account. Der Stuttgarter Serhou Guirassy erzielte gegen Union bereits sein 14. Saisontor im achten Spiel.

"Was soll man da schon machen", werden sich manche gefragt haben. Doch das Tor allein mit der Qualität des "Unterschiedspielers", wie ihn Urs Fischer vor dem Spiel genannt hatte, zu erklären, greift zu kurz. Denn Guirassys Treffer war eine seiner leichtesten Übungen, die Union-Defensive half tatkräftig mit. "Ein Einzelner kann ihn nicht verteidigen", hatte Urs Fischer gewarnt. Seine Spieler versuchten es in der 16. Minute gegen Stuttgart noch nicht einmal.

Union verteidigt nicht mehr

In den letzten sechs Wochen hat der 1. FC Union auf so ziemlich jede denkbare Art und Weise verloren. Mal waren es späte Gegentreffer, mal waren es offene Spiele mit dem schlechteren Ende für die Eisernen und mal waren die Gegner einfach besser als Union. Was fast alle diese Spiele eint? Urs Fischers Team kassierte viele Gegentore. Das lag nicht nur an der Qualität der Gegner, sondern auch daran, dass Union vorher schlecht verteidigt oder unkonzentriert aufgebaut hatte.

Am Samstag setzte sich diese Serie gegen den VfB Stuttgart fort. Allen drei Gegentreffern ging mindestens ein eklatanter Fehler voraus. In der vergangenen Saison stellten die Berliner noch eine der beiden besten Defensiven der Bundesliga. Es wirkt, als hätte im Sommer jemand die Union-Festplatte formatiert.

Guirassys Tor legt Schwächen offen

Wer sich das Guirassy-Tor in der Wiederholung anschaut, sieht mindestens drei Dinge, die Union deutlich schlechter macht als in der letzten Saison. Obwohl sich im Moment der Flanke des VfB-Verteidigers Anthony Rouault gleich acht Unioner hinter dem Ball befanden, durfte der Stuttgarter den völlig unbedrängt in den Strafraum spielen. Die Aggressivität, die Union jahrelang gegen den Ball auszeichnete, geht der aktuellen Mannschaft völlig ab.

In dieser Szene wäre das allerdings noch kein großes Problem gewesen, wenn sich im Abwehrzentrum jemand für den erfolgreichsten Stürmer der Liga interessiert hätte. Rückkehrer Robin Knoche verlor Guirassy völlig aus den Augen, als der auf dem Weg zu seinem Kopfball schnurstracks und ungedeckt in den Strafraum lief. Raumaufteilung und Kommunikation? Nicht mit Union. Dass Torhüter Frederik Rönnow, der statistisch in der Vorsaison der beste Torwart der Liga war, zum wiederholten Male in dieser Saison planlos durch seinen Fünfmeterraum irrte, war nur das Ende einer langen Fehlerkette.

Viel Aufwand für Tore gegen Union? Nicht mehr nötig.

Die vielen Gegentore seien nicht "Union-like", kritisierte Kapitän Christopher Trimmel nach dem Spiel. Auch wenn Union mal einen schlechten Tag hatte, konnte man sich in den letzten Jahren stets darauf verlassen, dass die Spieler gewisse Grundlagen auf den Platz brachten. "Basics" nannte Urs Fischer das und meinte damit vor allem Laufbereitschaft, Zweikampfhärte, defensive Disziplin und Konzentration. Wer Tore gegen Union schießen wollte, musste Schmerzen in Kauf nehmen und viel Aufwand betreiben.

Davon ist nicht mehr viel geblieben. Gerade in der ersten Halbzeit konnten die Schwaben am Samstag im Mittelfeld schalten und walten, wie sie wollten. Anstatt das Kurzpassspiel von Enzo Millot und Angelo Stiller zu stören, zogen sich die Köpenicker nur zurück. "Gegen den Ball waren wir nicht aggressiv genug und hatten auch insgesamt kaum Zugriff", analysierte Fischer, der darauf zur Halbzeit mit einem dreifachen Wechsel reagierte.

Abwehr das Hauptproblem

Mit der Hereinnahme der flinken Flügelstürmer David Datro Fofana und Sheraldo Becker entlastete er seine Defensive, die den Ball nun immer wieder mit tiefen Pässen auf die Außen in die gegnerische Hälfte bringen konnte. Über die Tatsache, dass Union dann trotz insgesamt 24 Flanken und zwei Chancen frei vor dem Torwart nicht den Ausgleich erzielte, könnte man einen eigenen Text schreiben. Auch die Chancenverwertung unterscheidet die aktuelle Union-Saison von der vergangenen und ist ein Grund für die Niederlagenserie.

Für den Ausgang des Spiels am Samstag war die schlechte Defensive aber entscheidender. Denn mitten in einer Phase als Union gerade mit klaren Chancen auf den Ausgleich drängte, fiel in der 81. Minute die Vorentscheidung. Vor Silas Katompa Mvumpas 0:2 ließ sich Diogo Leite düpieren und Robin Gosens grätschte ins Leere. "Das zweite Gegentor darf uns dann so nicht passieren", wusste auch Trimmel.

Union muss sich stabilisieren

Glaubt man Knoche, wurzelt die Krise nicht in der Vorbereitung auf die Spiele: "Wenn wir das, was wir im Vorfeld analysieren, auf dem Platz falsch machen, können wir keine Spiele gewinnen." Sorgen mache er sich trotzdem keine, denn Resignation könnte er im Team nicht erkennen. Auch im Stadion war die Stimmung von Resignation weit entfernt. Nach der achten Niederlage hintereinander munterten die Fans ihre Mannschaft freundlich auf.

Trotzdem ist die Lage in Köpenick ernst. Union sucht im Herbst nicht nur vergeblich nach Punkten, sondern auch nach der eigenen sportlichen Identität. Für Christopher Trimmel ist deshalb klar, was sich bei Union zuerst ändern muss: "Wir müssen hinten wieder stabiler werden und weniger zulassen", sagte er. Am Dienstag wartet gegen die SSC Napoli die nächste Gelegenheit, damit endlich anzufangen.

Sendung: rbb24, 21.10.2023, 21:45 Uhr

Beitrag von Till Oppermann

21 Kommentare

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  1. 21.

    Das sind keine Grundprinzipien, dass hat jeder Fußballer der normal denkt, hat kommen sehen: Hochmut kommt vor dem Fall!

  2. 20.


    10 Standfußballer auf dem Feld und eine schlafende Katze im Tor. An Urs seiner Stelle würde ich in Rente gehen...

  3. 19.

    Liebe Unioner, seid nicht traurig über das was gerade mit eurem Club passiert, das gehört zu einer Erfolgsgeschichte dazu.

    Wenn man sich nach nichts mehr sehnen kann ist der Fussballfan unglücklich.

    Bayern Fans sind die unzufriedensten Fans der Liga....sie hatten fast alles gefeiert was es an Titeln gibt.

    Als Freiburg Fan möchte ich euch Mut machen.

    Das wichtigste ist die Identität nicht zu verlieren und die Liebe zum Verein.

    Alles andere kommt automatisch.

  4. 18.

    Pusten bei Flaute & Segeln im Wind, bei Brise ne Molle - Unioner wir sind!

  5. 17.

    Wie wahr . Meine Volke Zustimmung. Es gibt keine Mannschaft mehr. Die Topspieler müssen raus und Teamplayer rein.

  6. 16.

    Wenn man Champions League spielt holt man auch Rentner ins Team. Man kann auch renommierte Spieler sagen.
    Allerdings wenn man gegen Real Madrid 0:1 verliert bedeutet das nicht, dass man fast so gut wie Real ist. Aufwachen wäre gut in der Realität.

  7. 15.

    Dazu muss der BCC777 es erst einmal schaffen, auf einen Religationsplatz zu kommen.
    Aber, ich muss der Mehrheit der Kommentatoren hier Recht geben.
    Leider wird der Ausflug in die Champions League mit Neapel enden und dann hoffe ich auf die Besinnung auf die Stärken dieses Vereins. Wichtig ist der Verbleib in der 1.Liga, dass Andere ist Lehrzeit, aus denen hoffendlich noch rechtzeitig Lehren gezogen werden.

  8. 14.

    Ruhnert hat eine funktionierende Mannschaft mit teuren Rentnern zerstört

  9. 13.

    Union macht die gleichen Fehler wie der FCK nach der Meisterschaft 1998.
    Da wurden auch überteuerte Spieler gekauft die nicht in die Mannschaft und zum Verein passten.
    Man wollte zuviel und der Zerfall des Vereins begann.
    Dazu kam das für Lauterer Verhältnisse zu grosse und zu teure Stadion weil man unbedingt WM Spielort 2006 werden wollte.

  10. 12.

    Es ist leider eben nicht nur reine Kopfsache, das wurde bei Herthe auch immer wieder gesagt. Als eine Lehre aus den vergangenen vier Hertha Jahren...

    Haltet an dem Trainer fest, denn die Mannschaft ist das Problem. Wenn die neuen "Stars" nicht persönlich und nicht als Person greifen, dann raus damit und im Winter verkaufen.

    Konzentration aus die BL und 40 Punkte, alle europäischen Wettbewerbe sind nur Zubrot, bewahrt Euch die Bescheidenheit, nur so wird es was.

    Ha Ho He

  11. 11.

    Ich stimme Ihnen voll und ganz zu. Fischer vertraut den jungen Spielern nicht und gibt ihnen keine Chance. Die älteren Neuzugänge bringen die Mannschaft bis auf Gossens nicht weiter, ganz im Gegenteil. Aber Fischer traut sich nicht, sie aus dem Kader zu streichen. Übrig bleibt eine überalterte, einfallslose Mannschaft, die sich wundert, warum es nicht mehr so läuft, wie letzte Saison.

  12. 10.

    Ja, wahrscheinlich sollte Urs erst einmal wieder den Kern der Mannschaft ohne die Zugänge auf den Platz bringen. Denn die hatten den Teamgeist der Unioner inne. Anscheinend müssen einige wieder lernen, gemeinsam sich durchzubeissen, anstatt nur die Anderen machen zu lassen, weil man selber sich zu gut dafür ist!
    Bei der alten Dame haben wir ja gesehen, was bei rumkommt, wenn man u. a. diesen Aspekt zu lange aus den Augen verliert.
    Eisernes HaHoHe

  13. 9.

    Ich hatte Union vor der Saison gewünscht, dass sie nicht den Weg von Leicester City gehen sollen.
    Union ist - geblendet von den finanziellen Möglichkeiten der Champions-League - von seinem Weg abgekommen und hat durch die Zukäufe das - bis dahin über die Maßen gute - Mannschaftsgefüge nachhaltig zerstört.
    Es ist jetzt allerdings nur reine Kopfsache um wieder in die Spur zu kommen und hier zeigt sich, wie gut Fischer wirklich ist oder ob Union am Ende nicht doch den 'Gesetzen des Marktes' folgt.

  14. 8.

    Vielleicht war es doch ein Fehler, teure Spieler zu holen. Dies haben schon andere Teams durchgemacht, daß dann nicht mehr die Ergebnissen gestimmt haben?

  15. 7.

    Man kann (und soll auch nicht) eine Erfolgsserie stoppen aber man muss danach richtig handeln. Die Sache läuft meistens schief, wenn man nicht am Boden bleibt und die Philosophie bzw. Einkaufspolitik ändert. Nach dem Aufstieg oder CL - Quali riefen sicher tausende Vermittler beim Ruhnert. Die Verantwortlichen des Klubs haben sich für die "Verbesserung" des Kaders entschieden. Jetzt gilt: Hauptsache können Alle - die Alten und die Neuen Abstiegskampf ! Für mich sehr schwierig: du hörst die CL Hymne und muss gleichzeitig an die Sicherung der Existenz denken.

  16. 6.

    Leider zu viele Aufgaben

  17. 5.

    Ich muss an etwas denken was Kevin Behrens gesagt hat, nachdem er mit der Nationalmannschaft unterwegs war. Er meinte, dieses hohe Niveau im Training im im Spiel sei er nicht gewohnt. Für mich der vielleicht naive Umkehrschluss, dass neu Union nicht genug Druck vom Trainer kommt. Nur so ein Gedanke. Denn irgendetwas muss Kevin ja dazu veranlasst haben, es so zu formulieren.

  18. 4.

    Freu mich jetzt schon auf das Relegations Derby

  19. 3.

    Der Trainer ist mit den neuen Spielern und dem internationalen Spielen überfordert und die Mannschaft passt nicht gut zusammen.
    Die Fans sind spitze…

  20. 2.

    So steigt man ab. Diese Serie ist kein kurzes Schwächeln sondern offenbart tiefgreifende Probleme. Das Glück wurde in den letzten drei Jahren überstrapaziert und scheint jetzt aufgebraucht. Man trudelt kultig dem Abgrund entgegen. Macht aber nix, zweite Liga ist viel gehaltvoller, macht mehr Spaß. Ich als Herthaner weiß, wovon ich rede.

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