Dreitägiger Besuch in Senftenberg - Steinmeier zwischen Theater, Kaffetafel und Protest
Für drei Tage hat Bundespräsident Steinmeier seinen Amtssitz nach Senftenberg verlegt. Er wollte mit den Bürgern ins Gespräch kommen, sich Sorgen anhören. Hat das geklappt? Eine Bilanz. Von J. Jahn, A. Kabisch, F. Ludwig und P. Manske
Das deutsche Staatsoberhaupt residiert in der Lausitz. Bundespräsident Frank Walter Steinmeier hat für drei Tage seinen Amtssitz nach Senftenberg (Oberspreewald-Lausitz) verlegt. Bei der "Ortszeit", so der offizielle Name des Außentermins, will Steinmeier mit Menschen vor Ort ins Gespräch kommen. Die Stadt, so Steinmeier bei seiner Ankunft am Dienstag, habe er sich bewusst ausgesucht. Senftenberg stehe wie kaum eine andere Stadt für Wandel - von der Braunkohleindustrie und dem anschließenden Strukturbruch bis hin zum heutigen Zentrum des Tourismus im Lausitzer Seenland.
Zahlreiche offizielle Termine hat der Bundespräsident absolviert, kam aber auch mit Einwohnern ins Gespräch, besuchte das örtliche Theater und die Universität. War das echte Bürgernähe oder doch nur eine Inszenierung?
Ankunft zwischen Steigerlied, Goldenem Buch und Buh-Rufen
Einen ersten Eindruck davon, dass er nicht bei allen willkommen ist, bekommt Steinmeier schon bei seiner Ankunft am Dienstag. Ein gutes Dutzend Demonstranten versammelt sich auf dem Marktplatz vor dem Rathaus, angeführt von der AfD. Steinmeiers erster offizieller Termin nach seiner Ankunft: der Eintrag ins Goldene Buch der Stadt.
Steinmeier gibt sich von Beginn an bürgernah, reist mit dem Zug an. Sein Amtssitz, das "Parkhotel" in Senftenberg ist bodenständig. "Wir konnten es nicht so richtig glauben, weil es hier in der Region, speziell in der Stadt, Häuser gibt, die von der Kategorie deutlich höher liegen als wir", sagt Hotelier Marino Lubrich. Doch der Bundespräsident wolle keine Extrawurst, die Karte sei völlig ausreichend, habe es auf Nachfrage des Hotels geheißen.
Vor allem in den Sozialen Netzwerken schreiben sich Nutzer vor dem Besuch in Rage. "Den will hier niemand haben", heißt es etwa. Doch der Protest hält sich, gemessen an den Vorabreaktionen im Netz, dann doch in Grenzen.
So ist der Empfang des Bundespräsidenten in Senftenberg herzlich. Der Chor der Bergarbeiter singt das Steigerlied, der Eintrag ins Goldene Buch ist eine Formalie.
Spontane Gespräche und geplante Termine
In der Mittagspause geht Steinmeier über den Markt, begleitet von "Kriegstreiber"-Rufen und Trillerpfeifen der Demonstranten. Die Reaktionen der Passanten sind derweil überwiegend positiv. Steinmeier schüttelt Hände, schreibt Autogramme, lässt Selfies mit sich machen und hört sich die Sorgen der Senftenberger an. Ein Mann spricht den Bundespräsidenten spontan an und berichtet vom Wegzug der Jugend aus der Stadt. Steinmeier zeigt sich informiert und hält die Lehrerausbildung in der Stadt für einen richtigen Weg. Dutzende aufgemuskelte Sicherheitsleute oder gar Hundertschaften der Polizei sucht man währenddessen vergeblich.
Auch ein Gespräch mit Kommunalpolitikern gibt es. Von einer angenehmen, aber auch kritischen Atmosphäre spricht anschließend die stellvertretende Stadtverordnetenvorsitzende Kerstin Weidner. "Er hat sich auch unsere Sorgen angehört und wollte nicht nur das Schöngewaschene, was immer unterstellt wird, hören", so Weidner. Sie habe ihn auf das Thema bezahlbare Mieten angesprochen.
Der Bundespräsident hört zu, fragt nach, wirkt interessiert. Am Ende seines Besuchs bleibt der Eindruck, Steinmeier hat sich wirklich mit seinem vorübergehenden Amtssitz beschäftigt.
Gerüchte, Inszenierung, Choreografie
Ganz ohne Inszenierung geht es aber nicht. So gerät die offizielle Aufnahme der Amtsgeschäfte im temporären Amtssitz im Parkhotel zum Schauspiel für die Fotografen. Minutenlang herrscht gespenstische Stille, Steinmeier studiert augenscheinlich wichtige Akten. Im Hintergrund hängen Bilder von Braunkohlebaggern und dem Senftenberger See - es soll sichtbar sein, dass der Bundespräsident auswärts residiert und nicht im Schloss Bellevue.
Sämtliche Auftritte wirken durchchoreografiert, egal ob der Theaterbesuch in der "Neuen Bühne", dem ehemaligen Theater der Bergarbeiter, oder die Besichtigung einer Grundschule. Gesprächspartner stehen bereit, Steinmeier wird mit Chören begrüßt, Schulkinder stellen sich wie zum Fahnenapell auf, dem Theaterensemble ist nach Angaben des Intendanten sehr bewusst, wer da im Publikum sitzt.
Echte Gespräche über die große Politik
Unternehmer aus der Stadt dürfen am Mittwoch mit Steinmeier sprechen. Die Chefin eines Truck Service will beispielsweise mehr Solarplatten auf ihr Dach bauen. Das geht aber nicht, weil sie nicht so viel Strom ins Netz einspeisen kann. Ein Trafohäuschen würde helfen, dafür wünscht sie sich eine bessere Förderung von der Politik. Ein Gastronom beklagt, dass ausländische Arbeitskräfte zu hohe Hürden nehmen müssen, um in Deutschland zu arbeiten. Er wünscht sich, dass das erleichtert wird.
Auch eine Kaffetafel hält Steinmeier ab, die soll aber immerhin "kontrovers" sein, so der Titel der Veranstaltung. Der Bundespräsident betont erneut, er wolle zuhören, die Sorgen ernst nehmen. Doch das Kaffekränzchen ist ebenfalls inszeniert und vor allem kuratiert. Heißt: die Teilnehmer sind zuvor vorgeschlagen, ausgewählt und eingeladen worden. Immerhin ist die Runde gut gemischt, mit Arbeitern, Unternehmern und Akademikern. Die Sorgen hier: Nachwuchsprobleme im Handwerk, der Kohleausstieg, Krieg und Inflation. Die Bundespolitik hat auch in der Lausitz Auswirkungen. Die Gesprächsgäste sind skeptisch, "eine Lausitzer Eigenart", wie eine teilnehmende Friseurmeisterin im Anschluss meint.
Der Austausch ist eigentlich für 90 Minuten angesetzt - am Ende dauert er mehr als zwei Stunden. Steinmeier nimmt sich die Zeit, widerspricht bei deutlichen Meinungsverschiedenheiten - und hört zu. Am Ende ist er zufrieden, wie er sagt. "Nicht, weil wir alle einer Meinung sind", betont er, sondern weil es doch noch möglich sei an einem Tisch zu sitzen und unterschiedliche Meinungen vernünftig zu diskutieren.
Welcher Eindruck bleibt zurück?
Frank Walter Steinmeier zeigt sich in drei Tagen in Senftenberg authentisch interessiert. Er spricht mit vielen Einwohnern, inszeniert, aber auch spontan. Er hat sich mit der Region auseinandergesetzt: So erzählt er in einem rbb-Interview, dass ihn die Meldungen über rechtsextreme Vorfälle an Schulen in Brandenburg besorgen und bestätigt die Senftenberger in ihrer Meinung, der Kohleausstieg dürfe nicht vor 2038 passieren. Der Theaterbesuch in der "Neuen Bühne" hat offenbar einen tiefen Eindruck hinterlassen, zu mehreren Gelegenheiten äußert er sich beeindruckt über das Haus, das Ensemble und das Stück, das er sich angesehen hat. Am Ende seines Besuchs spricht Steinmeier von "drei intensiven Tagen" in Senftenberg.
Dass es nicht irgendein Politiker ist, der zu Besuch ist, sondern das deutsche Staatsoberhaupt, merken vor allem die Journalisten. Schier endlose Akkreditierungs-Arien müssen sie über sich ergehen lassen, vor jedem Termin gibt es Kontrollen, ständig schnüffelt ein Hund am Equipment, ob nicht doch ein Sprengsatz in der Kamera versteckt ist.
Die Stimmung der Einwohner ist gemischt. Viele freuen sich, dass sich der Bundespräsident die Zeit für sie nimmt, andere lehnen den Besuch komplett ab. Manche wundern sich über "den großen Aufriss", viele dürften sich aber auch fragen, was er am Ende gebracht hat. Denn in die aktuelle Politik mischt sich der Bundespräsident nicht ein, kann die Sorgen und Nöte der Senftenberger nicht einfach selbst lösen.
Das Problem bringt das Amt mit sich, Steinmeier repräsentiert in erster Linie. Aber dass er das zumindest für drei Tage in Senftenberg tut, hinterlässt bei den meisten einen guten Eindruck.
Sendung: Brandenburg aktuell, 11.05.2023, 19:30 Uhr