Serie: Parlamentswahl in Polen - Doppelstadt Guben-Gubin hält wenig von geschlossenen Grenzen
Vor der polnischen Parlamentswahl am Sonntag ist das deutsch-polnische Verhältnis wieder Wahlkampfthema. Die Doppelstadt Guben-Gubin an der Neiße zeigt, wie enge Zusammenarbeit geht - und was stationäre Grenzkontrollen bedeuten könnten.
Etwa die Hälfte der Einwohner der deutsch-polnischen Doppelstadt Guben-Gubin hat am Sonntag die Wahl: Im polnischen Gubin entscheiden sie am 15. Oktober mit, ob die nationalkonservative PiS das Nachbarland Polen weiter regiert oder doch die Opposition, angeführt von der Bürger-Koalition KO, die Macht erlangt. In der Doppelstadt an der Neiße wird die polnische Parlamentswahl am Sonntag deswegen besonders aufmerksam beobachtet.
Der polnische Wahlkampf war bisher geprägt von antideutschen Tönen, während in Deutschland immer lauter über die Wiedereinführung von stationären Grenzkontrollen diskutiert wird. Die polnische Regierung macht die Deutschen mitverantwortlich für die hohe Zahl der Geflüchteten, die nach Europa wollen.
Gemeinsame Polizeieinheit in der Doppelstadt
Das deutsche Guben (Spree-Neiße) und das polnische Gubin rücken trotz der Spannungen der internationalen Politik immer enger zusammen und kooperieren in gemeinsamen Projekten. So entstand vor vier Jahren eine besondere Polizeieinheit: Brandenburgische und polnische Polizisten schieben zusammen Revierdienst. Sie versuchen beispielsweise auf polnischer Seite Schadstoffe zu finden, die illegal nach Deutschland transportiert werden, oder überprüfen verlassene Autos auf deutscher Seite.
Mitten im scharfen Wahlkampf steht die Grenzregion wieder im Fokus. Ungeachtet dessen, wer in Warschau oder Berlin regierte, haben beide Städte in den vergangenen Jahren ihre Zusammenarbeit verstärkt. Inzwischen sei die Wirtschaftsregion Guben-Gubin so stabil und souverän, dass man in den Hauptstädten einiges vorgeben und verändern könne, sagt Gubens Bürgermeister Fred Mahro (CDU). "Aber an dem Zusammenwachsen der Grenzregion wird es – egal, wer an der Macht ist – keinen Abbruch mehr geben, solange die EU zusammenhält."
Bürgermeister tun sich mit stationären Grenzkontrollen schwer
Einer der Grundpfeiler der Europäischen Union sind das Schengen-System und die damit einhergehenden offenen Binnengrenzen. Politiker wie der Brandenburger Innenminister Michael Stübgen (CDU) fordern stationäre Kontrollen an der Grenze zu Polen - um die Zahl der illegallen Grenzübertritte zu reduzieren, so die Idee.
Sein Parteikollege Fred Mahro tut sich damit schwer: "Es ist definitiv ein Rückschritt. Aber das ist sicherlich in Anbetracht der Situation, die wir hier auf der Seite haben, auch ein notwendiger Schritt, Binnengrenzen punktuell anders zu sichern", so Gubens Bürgermeister. Während der Corona-Pandemie habe man erfahren, was geschlossene Grenzen bedeuten. "Wir hätten wieder Autoschlangen in der Stadt, mit allen Problemen, die da entstehen."
Ähnlich betrachtet die Lage sein Amtskollege Bartłomiej Bartczak, parteiloser Bürgermeister von Gubin. "Man sollte solche Lösungen jetzt finden, die den Grenzverkehr nicht beeinträchtigen." Bartczak habe nichts dagegen, wenn beispielsweise jedes fünfte Auto kontrolliert wird, vor allem mit Kennzeichen von außerhalb der Region.
Deutsches Guben hat viele Einwohner verloren
Bartczak ist seit 17 Jahren Bürgermeister von Gubin und unterstützt bei der Wahl seinen Bruder Jakob, der als Parteiloser für den Sjem, das polnische Parlament kandidiert. "Der aggressive Wahlkampf dient den beiden großen Parteien. Kleine und neue Parteien wie zum Beispiel die parteilosen Kommunalpolitiker leiden darunter", sagt der polnische Bürgermeister. "Obwohl wir eigentlich viel zu sagen haben."
Gubin war bis Kriegsende Teil des deutschen Gubens. In DDR-Zeiten boomte die Stadt durch die Eröffnung des Chemiefaserkombinats Guben. Doch nach der Wende verlor das deutsche Guben etwa die Hälfte seiner Bevölkerung, nun haben die deutsche und die polnische Stadt jeweils etwa 16.000 Einwohner.
Bürgermeister Bartczak erinnert sich an die Wendezeit, als die Grenze dann plötzlich leichter passierbar war. "Die wirtschaftlichen Unterschiede waren so groß. Und es gab damals viel Kriminalität in Polen", sagt er. "Zum Glück liegt das alles schon hinter uns." Nun könne er sich auf die deutsch-polnische Zusammenarbeit konzentrieren.
Beide Städte teilen sich ein Klärwerk
Die Kooperation zeigt sich manchmal in sehr praktischer Form: So entstand vor 25 Jahren ein gemeinsames Klärwerk. Aus wirtschaftlicher Sicht sei das sinnvoll, sagt Carsten Jacob, Leiter des Informationszentrums der Euroregion Spree-Neiße-Bober in Guben. "Wer in einer Grenzregion nur national denkt, hat einen Wirkungskreis von nur 180 Grad." Sein Verein fördere aktuell zehn Projekte auf beiden Seiten der Grenze. Unter anderem forschen Wissenschaftler der BTU Cottbus und der Universität Zielona Góra zur gemeinsamen Energieeffizienz und -speicherung.
Trotz politischer Spannungen sei das Vertrauensverhältnis beiderseits der Neiße "sehr hoch", so Jacob. Nach der Wahl werde sich daran wenig ändern. Ihm sei wichtig, dass man weiterhin die "vermeintlichen Randregionen" stärkt und zusammenführt.
Städte sollen auch bei der Energiewende kooperieren
Auch am Montag nach der Wahl in Polen werden die zwei Bürgermeister der Doppelstadt weiter kooperieren, wie sie selbst sagen. Im Raum stehen Projekte wie eine große Industrieanlage auf polnischer Seite, die mit erneuerbaren Energien – auch aus Deutschland – betrieben werden könnte, so Gubins Bürgermeister Bartczak.
Sein deutscher Amtskollege ist mit seiner Wahlprognose vorsichtig: "Mein großer Sympathieträger ist Bürgermeister Bartczak, und er unterstützt ja die Partei der kommunalen Bürgermeister in Polen", sagt der CDU-Politiker Fred Mahro. Sein Herz schlage deshalb für die Idee hinter dieser Partei, obwohl sie laut Umfragen wahrscheinlich an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern wird. "Vielleicht wäre das eine Blaupause für die deutsche Seite, schauen wir mal."
Sendung: rbb24 Inforadio, 09.10.2023, 14:10 Uhr