Berlin - Landeseigene Wohnungsunternehmen zahlen zum Teil deutlich unter Flächentarifvertrag

Di 06.12.22 | 06:06 Uhr | Von Sabine Müller
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Symbolbild: Heckenschnitt mit elektrischer Heckenschere (Quelle: imago/Alfred Hofer)
Video: rbb24 Abendschau | 06.12.2022 | D. Knieling | Bild: imago/Alfred Hofer

Bei den landeseigenen Wohnungsgesellschaften in Berlin ist es mit der Tarifbindung teilweise nicht weit her. Mehr als ein Drittel der insgesamt gut 4.900 Mitarbeitenden werden nicht nach Flächentarifvertrag bezahlt. Nur ein Unternehmen ist komplett tariftreu. Von Sabine Müller

Die sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen in Berlin bezahlen hunderte Beschäftigte nicht nach dem geltenden Flächentarifvertrag der Wohnungswirtschaft. Das zeigen aktuelle Zahlen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Wohnen und Bauen, die dem rbb exklusiv vorliegen.

Die Senatsverwaltung teilte auf eine Anfrage der Linksfraktion mit, dass nur die Wohnungsbaugesellschaft Mitte komplett nach Flächentarifvertrag vergütet. Bei der Gesobau dagegen kommt der Flächentarifvertrag der Wohnungswirtschaft überhaupt nicht zur Anwendung - für die 501 Beschäftigten gilt entweder ein Haustarifvertrag oder die Bezahlung ist gar nicht tarifgebunden.

Mutter hui, Töchter pfui

Die Zahlen für die anderen landeseigenen Gesellschaften zeigen, dass meist gilt: Bei der Muttergesellschaft ist die Tarifbindung gut, bei den Tochtergesellschaften oft nicht – besonders, wenn es um Serviceleistungen wie etwa Hausmeisterdienste geht.

Die Stadt und Land Facilty etwa beschäftigt knapp 220 Mitarbeitende mit Haustarif, die Howoge Servicegesellschaft knapp 260, bei den Degewo-Tochterfirmen Gebäudeservice sowie Technische Dienste gilt für zusammen etwa 520 Beschäftigte der Haustarif.

Die Unternehmen verweisen zum Teil darauf, ihre Haustarifverträge orientierten sich "eng am Flächentarifvertrag der Wohnungswirtschaft", ein Haustarifvertrag bedeute nicht automatisch schlechtere Entlohnung. Dagegen rechnet die Gewerkschaft Verdi vor, Haustarifverträge lägen im Schnitt 10 bis 30 Prozent unter der Entlohnung des Flächentarifvertrags. Aktuell streiken etwa Hausmeister und Gärtner der Degewo Gebäudeservice, weil sie bis zu 28 Prozent weniger Lohn bekommen, als es der Flächentarifvertrag vorsieht.

Mehr Einsatz des Senats gefordert

Der Linken-Abgeordnete Niklas Schenker, der die Zahlen abgefragt hatte, fordert Konsequenzen: "Die landeseigenen Wohnungsunternehmen sollen nicht nur für bezahlbare Mieten, sondern auch gute Arbeitsbedingungen sorgen." Der Flächentarifvertrag der Wohnungswirtschaft müsse zwingend angewendet werden. Für alle Beschäftigten müssten dieselben guten Arbeitsbedingungen gelten, meint Schenker.

Der Berliner Abgeordnete betont, er erwarte mehr Engagement von der Stadtentwicklungs- und Finanzverwaltung, die für die sechs Landesunternehmen zuständig sind. Die beiden Verwaltungen werden von den Koalitionspartnerinnen der Linken geführt – für Stadtentwicklung/Bauen/Wohnen ist die SPD zuständig, für Finanzen die Grünen.

Wütende Beschäftigte streiken

Die Gewerkschaft Verdi hat für Dienstag wieder Beschäftigte der Degewo Gebäudeservice zum Streik aufgerufen. Seit Juli wird über einen neuen Vergütungstarifvertrag für die Bereiche Hausmeister, Hausbetreuer, Concierge und Grünpflege verhandelt.

Das bisherige Angebot der Degewo bezeichnet Vedi als ungenügend, weil es nur eine Entgeltsteigerung von drei Prozent bringe, und fordert, die Beschäftigten müssten in den Flächentarifvertrag der Wohnungswirtschaft eingegliedert werden.

Sendung: rbb24 Inforadio, 06.12.2022, 08:10 Uhr

Beitrag von Sabine Müller

25 Kommentare

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  1. 25.

    Richtig, aber es geht natürlich um beides.

    Denn auch über die Kaltmieten werden Löhne/Gehälter s. Bilanzen abgeführt, diese sind natürlich im Verbund ebenfalls von der Gewerkschaft angeprangert.

    Teilweise sind auch Kosten für Handwerker oder Nebenkosten laut Mietverträgen nicht umlagefähig, da schlicht im MV nicht aufgeführt.

    Der Handwerker/Angestellte muss aber trotzdem bezahlt werden, das geschieht dann natürlich über die Kaltmiete/Überschüssen.

  2. 24.

    Aber sind die beschriebenen Dienstleistungen in dem Artikel nicht eigentlich Wohn-Neben-Kosten, die der Mieter zusätzlich zur Miete zu zahlen hat? Nur so fürs Verständnis...

  3. 23.

    Das ist so nicht richtig. Für die meisten Minijobber ist der 520 Euro-Job eine gute Möglichkeit noch einmal brutto=netto dazuverdienen, wenn dieser Job wie meistens vom Arbeitgeber pauschal versteuert wird. Für die meisten ist es ein Hinzuverdienst und nicht die einzige Einnahmequelle. Es lohnt sich, Statistiken zu hinterfragen.

  4. 22.

    Das es rechtlich überhaupt möglich ist, dass Genossenschaften öffentliche Gelder bekommen und dann prekäre Beschäftigung fördern... Es gibt für die Wirtschaft Lieferkettengesetze, Pro-Baum-EU-Richtlinien etc. und die Genossenschaften wurden hier vergessen? Das sollte man unbedingt in den Förderrichtlinien der Bundesländer schnellstmögliche ändern.

  5. 21.

    Sie nennen zwei grundlegend verschiedene Eigentumsformen synonym. Es gibt keine „LandeswohnungsbauGENOSSENSCHAFT“. Die Genossenschaft gehört ihren Mitgliedern, die Teileigentümer und Nutzer der Wohnungen sind.

  6. 20.

    Genau: Gehälter rauf, Mieten runter und die Preise am Markt rauf. Am besten, die Mieter übernehmen die Häuser selber, und übernehmen auch selbst die Instandhaltung. Schauen wir mal in 30 Jahren, wie es dann aussiehr. Und wer dann politisch verantwortlich ist.

  7. 19.

    Sie wollen wirklich behaupten, dass die Innensenatorin die Polizeikräfte nicht für gewisse Aufgaben steuern kann? Und nun zu der Bezahlung oder besser gesagt Unterbezahlung der Angestellten. Natürlich kann ein Senatsbeschluss an die landeseigenen Wohnungsgesellschaften eine Bezahlung nach Flächentarif durchgesetzt werden. Das nun gerade vor den Wahlen die Linksfraktion die Anfrage stellt ist schon problematisch, denn wie lange ist diese Partei mit in der Berliner Regierung?

  8. 18.

    Ich mache keine Opfer zu Tätern. Ich habe beschrieben, was die vermeintlichen Opfer jetzt teilweise selbst tun: Sie übernehmen Verantwortung für sich selbst, organisieren sich - und streiken. Klar wäre es schön, wenn bei quasi-öffentlichen Arbeitgebern sowas nicht nötig wäre und selbige von sich aus zumindest Flächentarif zahlen würden. Aber da sind wir eben mal wieder bei der "Fahrradkette"-Thematik: Tatsächlich sind auch einige konfessionelle Arbeitgeber berüchtigt für ihre schlechten Arbeitsbedingungen - und insofern wundert es nicht, wenn öffentliche da nicht besser sind. Als erwachsener Mensch muss man leider vielfach selber für seine Rechte eintreten. Und die Bedingungen in Deutschland sind hierfür nicht so schlecht.

  9. 17.

    Richtig, und bei der Vergesellschaftung geht es auch genau darum.

    Das Geld in private Taschen lenken, z. B. Diese eG zahlt natürlich auch Gehälter.

    Derzeit arbeiten dort aber viele ohne Gehalt! Ist das eigentlich rechtlich zulässig? Unter Bundesanzeiger sind die Zahlen veröffentlicht.

    Mit Lohn/Gehaltszahlungen wäre die Diese eG wohl schon pleite.

  10. 16.

    Deutschland ist ein Selbstbedienungsladen der Entscheidungsträger. Das ist das Problem das durch die SPD eingeleitet wurde. Immer mehr Armut ist das Ergebnis. In Deutschland gab es noch nie soviel Einkommensbezieher die von Armutslöhnen leben mussten. 13,5 Mio. Und die CDU/CSU ist froh, dass die SPD das eingeführt hat.

  11. 15.

    Ob die immer gleichen Ideologen oder auch Gewerkschaften und Kirchen, wenn sie selbst AG sind erkennt man schnell, was unter Zuteilung zu verstehen ist und wem es eigentlich nur gutgehen darf: Den „Zuteiler*innen“ selbst.
    Nur eine Leistung kommt nicht bei raus. Die Geschichte hat die schon mehrmals abwählen müssen.

  12. 14.

    Ob die immer gleichen Ideologen oder auch Gewerkschaften und Kirchen, wenn sie selbst AG sind erkennt man schnell, was unter Zuteilung zu verstehen ist und wem es eigentlich nur gutgehen darf: Den „Zuteiler*innen“ selbst.
    Nur eine Leistung kommt nicht bei raus. Die Geschichte hat die schon mehrmals abwählen müssen.

  13. 13.

    Wer es genauer wissen will, sieht sich die Geschäftsberichte der Unternehmen an. Da diese Unternehmen alle ihren Beitrag zum Berliner Haushalt leisten, kann man sehen welche wirtschaftlichen Möglichkeiten diese Unternehmen haben. Die Vorstandsgehälter sind oft ähnlich wie beim RBB Selbstbedienungsladen.

  14. 12.

    Machen Sie doch nicht die Opfer zu den Tätern.

    Wir reden hier nicht von verhassten Immospekulanten als Arbeitgeber, wir reden von städtischen, sozialen Einrichtungen mit wirtschaftlichem Charakter als Arbeitgeber - also sprechen wir fast von einer Kirche !

    Links wird nicht mehr gebraucht - Schlafmützen sind das, Sarah Wagenknecht hat recht, sie bestätigen das mit Ihrem Text.

    Die Linke ist nicht mehr für die wirkliche Urklientel da, nur für Woke-People.

  15. 11.

    In diesem Fall ist es nicht der Staat sondern das Land Berlin, von Rot . Grün - tief Rot regiert!

  16. 10.

    Die Mieten der Sozialwohnungen sind zu billig.

  17. 9.

    Vielleicht, weil es vor allem die Aufgabe von Betroffenen selbst ist, auf ihre Probleme aufmerksam zu machen? Klar erfordert es viel Mut, einen Betriebsrat zu gründen und sich ggf gewerkschaftlich zu organisieren. Aber das ist erstmal der vorgesehene Weg. Sicherlich funktioniert das leider sehr oft nicht und ergo wird in zig privaten und z.B. auch konfessionellen Firmen und Institutionen miserabel bezahlt. Deshalb ist es gut, dass es es endlich den gesetzlichen Mindestlohn gibt. Aber dennoch müssen mündige Bürger auch selbst aufstehen, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. Im heutigen Deutschland geht man dafür weder in den Knast noch wird man beschossen.

  18. 8.

    Doch pure Heuchelei!! In den Aufsichtsräten sitzen Senatsvertreter! Wer den Gesellschaft die Mieten diktieren kann, der kann auch dafür sorgen, dass nach Tarif bezahlt wird! Aber wen interessieren schon die Angestellten, höchstens die Populismus-Fahne hochhalten für (zu) niedrige Mieten!!

  19. 7.

    Super!! Rot/Grün zahlt keine Tarifgehälter!! Aber wenn die, die Mieten drücken bzw, keine Mieterhöhungen zulassen, dann fehlt das Geld überall, auch für die Löhne der Angestellten!

  20. 6.

    „Und es ist ein linker Abgeordneter, der auf das Problem aufmerksam macht. „

    Warum erst jetzt? War wohl während den vielen Jahren mit Regierungsbeteiligung der Linken nicht so sonderlich wichtig.

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