Händler in Berlin und Brandenburg - Läden sterben einen leisen Tod
In Pausin im Havelland gibt es ihn noch: den kleinen Dorfladen. Bis zur ihrer Rente wird die 58-jährige Heike Witt ihn noch offen halten. Und dann? Eine Reportage über das Ladensterben in Berlin und Brandenburg. Von Jan Pallokat
Konsumflaute? Im Dorf Pausin (Havelland) westlich von Berlin stellt sie sich so dar: "Früher haben sie ein ganzes Brot gekauft und die Hälfte den Hühnern gegeben. Das ist auch schon weniger, und da fängt es schon an", berichtet Heike Witt, Inhaberin des örtlichen Supermarkts "Ihre Kette". "Und bei der Wurst", ergänzt sie. Da verlangten die Kunden weniger Scheiben als früher.
Dabei genießt "Ihre Kette" in Pausin eigentlich eine regionale Monopolstellung. "Der Laden ist Gold wert", sagt eine Anwohnerin. In den Dörfern ringsum, die teils einige Kilometer voneinander entfernt liegen, gibt es keinen "Konsum" mehr, wie Ältere noch immer sagen.
Im Nachbardorf Perwenitz etwa: "Perwenitzer kommen vor allem am Wochenende sogar mit dem Fahrrad durch den Wald zum Einkaufen", hat eine ältere Frau beobachtet. Auch in Paaren und Wansdorf machten vor vier Jahren die letzten Läden zu, wissen sie im Dorf. Die habe "der Martin" betrieben. Aber Martin ging in Rente.
Ein ähnliches Schicksal dürfe in einigen Jahren auch dem Markt in Pausin blühen. Denn die 58-jährige Heike Witt wird nicht ewig weitermachen. Mangels Personals macht sie alles selbst, wie sie sagt: Verkauf, Einkauf, Inventur, Auspreisen, Saubermachen, Saisonware erstellen.
Zehn bis zwölf Stunden dauert ihr Arbeitstag, wie sie erzählt. Samstags sei besonders viel los, und selbst am Sonntag komme sie nachmittags ins Geschäft, um Gebäck einzupacken. Anders sei das nicht zu schaffen, sagt sie. "Ein normaler Mensch macht das nicht."
Zahl der Geschäfte schrumpft seit Jahren
Seit Jahren schrumpft die Zahl der Einzelhandelsgeschäfte in Deutschland, Tendenz steigend. Kein massenhafter Tod, sondern ein langsames Auszehren: Dieses Jahr werden es deutschlandweit wieder 9.000 Geschäfte weniger sein, so die Schätzung des Einzelhandelsverbands.
In Berlin allein dieses Jahr etwa 400, in Brandenburg über 200, schätzt Philip Haverkamp, Geschäftsführer des Handelsverbands Berlin Brandenburg. "Insbesondere im kleinen Einzelhandel sterben die Läden leise", sagt Haverkamp, ohne Zeitungsschlagzeilen und spektakuläres Insolvenzverfahren. "Aber mit Konsequenzen für unsere Innenstädte. Das alles wird uns zunehmend beschäftigen."
Tegel verändert sich
Beispiel Berlin-Tegel, Berliner Straße, eine klassische Einkaufsstraße mit einer Reihe von Traditionsgeschäften: Das Schuhgeschäft Leiser, die Konditorei Röttgen, der Goldschmied Wingerath mit eigener Werkstatt. 1969 gründete Rolf Wingerath das Geschäft, mit 77 Jahren arbeitet er immer noch dort, flankiert von seinen beiden Söhnen. "Er ist der kreative Kopf, er der Finanzchef, und ich bin der Vorstandsvorsitzende", ulkt er.
Junior Pascale Wingerath blickt sorgenvoll nach draußen, wo ein Bauzaun wegen Kabelarbeiten zu sehen ist. Das Äußere der Berliner Straße ändere sich, und zwar nicht zum Guten, sagt er. "Die Geschäfte werden nicht mehr gepflegt. Viele sind ganz weggebrochen. An ihre Stelle treten preiswerte Alles-Verkäufer, und immer wieder ploppt ein Laden auf, der Glücksspiel macht", so Wingerath. "Das ist alles nicht zielführend für eine Einkaufsstraße."
Aktuell befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft der Goldschmiede: eine Imbissbude, ein Friseur "Cutman", das "Nagelstudio Milano".
Grundsätzlich sei nichts gegen einen guten Mix aus Kultur, Dienstleistungen und Handel zu sagen. Im Gegenteil, sagt Handelsverbands-Mann Haverkamp. "Es ist gerade die Lehre aus der Corona-Zeit, dass der Einzelhandel da gut funktioniert, wo auch seine natürlichen Partner gut funktionieren." Es komme aber wie beim Handelsangebot selbst auf diverse, breit gemischte Angebote an.
Wider die Monotonie in der Einkaufstraße
Genau das treibt Felix Schönebeck, alteingesessener Reinickendorfer und Vorsitzender des Vereins "I love Tegel" [instagram.com]", um: dass sich eine Monotonie immer gleicher, wenig spezialisierter Geschäfte ohne lange Lebenszeit breit mache. "Meine Großeltern sagten immer: 'Die Residenzstraße von Reinickendorf in den Wedding war früher der Ku'damm des Nordens. Da gab es Pelzgeschäfte.'" Heute sei die Straße davon weit entfernt.
Sein Verein stemmt sich gegen solche Entwicklungen. Sammelte, letztlich erfolgreich, Unterschriften zur Revitalisierung der alten Markthalle. Doch vieles andere scheitert, an mangelndem Engagement aus dem örtlichen Handel, oft auch an der Bürokratie, wie "I love Tegel"-Chef Schönebeck und Mitstreiter klagen. Die Tegeler Händler-AG hat sich schon vor Jahren aufgelöst; Weihnachtsbeleuchtung fällt ebenfalls seit vielen Jahren aus verschiedenen Gründen aus.
Nicht nur in Tegel ein Problem, heißt es vom Handelsverband. Unternehmerstammtische, die zwei Jahren wegen Corona hätten pausieren müssen, hätten sich auch danach oft nicht wieder gefunden. "Viele Händler können einfach nicht mehr", berichtet Verbands-Geschäftsführer Haverkamp. Die Pandemie und die darauffolgende allgemeine Konsumflaute habe viele so viel Kraft und Geld gekostet, dass an Engagement außerhalb des Kerngeschäfts nicht mehr zu denken sei.
Alle Bereiche des Handels sind von der Krise betroffen, bis in die Shopping Malls hinein, die allerdings auch immer ein Spiegelbild des Handels insgesamt seien, wie Haverkamp betont. Sie formten sich derzeit vielfach um und entstünden neu, mit mehr Büro, Dienstleistungen, Fitnesscentern unter einem Dach. Stets in der Hoffnung, Frequenz zu schaffen und dann auch das Kerngeschäft mit dem Handel zu reanimieren.
"Krank werden darf ich nicht"
In Pausin hat Heike Witt ihre eigenen Strategien, um der Malaise im Handel zu entkommen. Weil nur geprüfte Metzger Frischfleisch verkaufen dürfen, das Vegetarische in West-Brandenburg aber nicht so populär ist, startete sie den vakuum-verpackten Verkauf von Tiefkühlfleisch. "Das wird super angenommen", sagt sie.
Auch wenn "Ihre Kette" kein Amazon ist und auch keine Webseite hat, so gibt es doch fast alles: Wenn sie etwas nicht hat, besorge sie es, schwärmen sie im Dorf. Fährt Heike Witt mal in den Urlaub, wird das vorher im Dorf bekannt gegeben, dann können sich die Leute schon mal eindecken. Ansonsten sei auf sie Verlass. "Krank werden darf ich nicht", sagt sie.
Heike Witt wird wohl noch ein paar Jahre durch- und die Grundversorgung im Dorf am Laufen halten. Wieso drumherum alle Läden verschwunden sind? "Da sind die Kunden selber schuld", sagt sie. Wer "nach Falkensee oder sonst wohin zum Aldi" fahre und nur noch den Rest hole, der mache die kleinen Läden kaputt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 02.12.2023, 11:25 Uhr