Weniger Stress für Fahrer - BVG-Personalrat schlägt Abkehr vom minutengenauen Fahrplan vor
Angesichts von Personalmangel und hohem Stresslevel bei der BVG schlägt der Personalrat vor, dass manche Linien nicht mehr an feste Uhrzeiten im Fahrplan gebunden sein sollen. Stattdessen würde der Takt ausschlaggebend sein.
Busse und Bahnen könnten in Berlin nicht mehr in einem minutengenauen Fahrplan unterwegs sein, sondern dynamisch in einem festgelegten Takt. Dies schlägt Lothar Stephan, Vorsitzender des BVG-Gesamtpersonalrates, vor. Damit soll die Arbeit der Fahrerinnen und Fahrer stressfreier werden, so Stephan.
"Wenn sie zu spät im Fahrplan sind, kriegen sie das im Fahrzeug immer angezeigt. Hilfsweise erinnert die Meldestelle auch noch daran", sagt Stephan. Doch wer etwa im Stau steckt, hat eben wenig Handlungsmöglichkeiten. Das sorge laut Stephan für Stress und erhöhe den Druck, Toilettenpausen so kurz wie möglich oder sogar gar nicht zu machen, um den Fahrplan einzuhalten. Mit seinem Vorschlag sehe das anders aus: "Der erste Bus fährt los, der nächste kommt fünf Minuten später. So reihen die sich hintereinander alle fünf Minuten ein, die fahren abhängig voneinander", sagt Stephan.
Ob das alles technisch so umsetzbar und ausgreift ist, könne er jetzt im Moment gar nicht beantworten, das müssten Fachleute klären. Aber er könne sich ein Pilotprojekt mit einer Linie vorstellen. Die Umsetzung müsste dann auch mit Verkehrsverwaltung des Senats besprochen werden. "Ich glaube nicht, dass das von heute auf morgen umsetzbar ist", sagt Lothar Stephan.
Vorschlag prinzipiell umsetzbar
Technisch funktioniere es, die Abfahrtszeiten an die anderen Busse auf der Linie anzupassen und auch grundsätzlich sei der Vorschlag vom BVG-Personalratsvorsitzenden Lothar Stephan rechtlich umsetzbar, sagt Mobilitätsforscher Wulf-Holger Arndt von der TU Berlin: "Das Personenbeförderungsgesetz schreibt eine Fahrplanpflicht vor. Aber wenn der Fahrplan sehr dicht ist, könne man da auch festhalten, dass ein Bus im Takt von drei bis fünf Minuten kommt." In Außenbezirken oder nachts sei das aber nicht praktikabel, denn hier würden feste Abfahrtzeiten es ermöglichen, lange Warterei bei niedrigem Takt zu umgehen.
Für kurze Wartezeiten und Zuverlässigkeit brauche es andere Mittel
Auf den Stress der BVG-Fahrer:innen hätte der Vorschlag Einfluss, auf das Warten auf den ÖPNV nicht. Denn wenn die Fahrt auf einer Linie aus unerwarteten Gründen plötzlich länger dauert, ist es egal, ob Bus und Bahn zu festen Zeitpunkten am Ziel sein sollen oder alle fünf Minuten - sie werden später kommen als angekündigt.
Das bestätigt auch Forscher Arndt. Er könne das Anliegen des Personalrats nachvollziehen: "Wenn es eine Toleranz von wenigen Minuten gibt, sollte man den Busfahrern keinen Stress machen." Dafür brauche es aber eine hohe Taktung. Die Fahrgäste bräuchten zudem verlässliche Echtzeitinformationen über die Abfahrtzeit der Fahrzeugs, sagt Arndt. Dann werde das Warten auch akzeptabler. "So kann ich damit umgehen und mich entscheiden: Gehe ich zum anderen Bus, laufe zu Fuß, schreibe noch ein paar Nachrichten am Handy oder lese ich etwas?", sagt Ardt.
Und ob nun Fahrplan oder Minutentakt - man müsse eher die Verkehrsbedingungen für einen verlässlichen ÖPNV schaffen, etwa durch Spuren und Ampel-Vorrangschaltungen für Busse und Straßenbahnen. "Da ist Berlin wirklich noch ziemlich weit hinten dran. In anderen Städten ist man da konsequenter", sagt Arndt.
Deutsche Großstädte bewegen sich vorsichtig weg vom starren Fahrplan
In Hamburg soll bei der derzeit im Bau befindlichen U5 künftig alle 100 Sekunden eine Bahn fahren, so Dennis Heinert, Sprecher der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende. "Da braucht man einfach keinen Fahrplan mehr", sagt er. Die Linie werde allerdings auch vollautomatisiert, die ersten Fahrten sollen 2027 möglich sein. Der Berliner Mobilitätsforscher Arndt weist auch darauf hin, dass das Nach-Takt-Fahren da gut funktioniere, wo der Takt eben hoch ist. Das sei bisher etwa auch bei den Berliner U-Bahnen der Fall.
Die S-Bahn München startete im Dezember ihr Pilotprojekt zum sogenannten Flexfahren [deutschebahn.com]. Dazu schreibt die Betreiberin DB: "Innerhalb eines zweiminütigen Zeitfensters können die Züge nun flexibel abfahren und so die Kapazität der stark ausgelasteten Hauptschlagader des S-Bahn-Systems effizienter nutzen." Das sei bundesweit einmalig.
Arbeitskampf und Personalmangel
Hintergrund der aktuellen Debatte ist zum einen der Mangel an Busfahrer:innen bei der BVG - im Dezember fehlten rund 350. Zudem will die BVG in den kommenden Jahren 10.000 neue Mitarbeiter:innen einstellen.
Zum anderen finden bei den Berliner Verkehrsbetrieben derzeit Tarifauseinandersetzungen statt, bei der die Beschäftigten bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen wollen. Vor diesem Hintergrund wollte sich die BVG nicht zum Vorschlag ihres Gesamtpersonalrates äußern.