Interview | Karneval der Kulturen - "Für den Karneval ist wichtig, dass er nicht verdrängt wird aus der Innenstadt"

Fr 26.05.23 | 07:13 Uhr
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Eine Tanzgruppe nimmt am 09.06.2019 am Umzug zum Karneval der Kulturen teil. (Quelle: dpa-Bildfunk/Jörg Carstensen)
Video: rbb24 Abendschau | 26.05.2023 | A. Tiemeyer | Bild: dpa-Bildfunk/Jörg Carstensen

Erstmals nach drei Jahren corona-bedingtem Ausfall zieht am Sonntag der Karneval der Kulturen wieder durch Kreuzberg und Neukölln. Vieles, aber nicht alles, wird sein, wie es vorher war. Die Macher haben die Auszeit auch als kreative Pause genutzt.

rbb|24: Guten Tag, Frau Hepp. Drei Jahre hintereinander gab es wegen der Corona-Pandemie keinen Karneval der Kulturen. Kommt jetzt der 25. Karneval so daher wie immer? Oder haben Sie sich erneuert?

Geraldine Hepp: Es war auf jeden Fall eine kreative Pause. Wir hatten letztes Jahr ein Begleitverfahren, in dem wir mit den Gruppen, aber auch mit Anwohnenden und der breiteren Stadtgesellschaft ins Gespräch gegangen sind, um zu schauen, wo wir eigentlich stehen und was die Herausforderungen und das Selbstverständnis sind.

Der Prozess war offen und es gab keine Direktive, wohin das gehen sollte. Da waren auch sämtliche Formate auf dem Prüfstand. Denn immer wieder tut sich ja auch die Frage auf, ob der Karneval auch wieder kleiner werden kann. Er ist zwar durch den großen Zuspruch und die schiere Größe eine Leuchtturm-Veranstaltung für Berlin – dadurch sind aber auch viele Herausforderungen entstanden. Es wurde auch hinterfragt, ob der Karneval dezentral stattfinden könnte.

Zur Person

Geraldine Hepp vom Leitungsteam Karneval der Kulturen (Quelle: Florian Reischauer)
Florian Reischauer

Geraldine Hepp

Geraldine Hepp hat im Sommer 2022 gemeinsam mit Aissatou Binger die Leitung des KdK-Büros übernommen. Sie ist Mitgründerin mehrerer Kulturprojekte.

In diesem Beteiligungsverfahren, das kann man auch auf unserer Website nachlesen, sind wir eher in einen Erneuerungsprozess im Sinne einer Rückbesinnung auf die Wurzeln des Karnevals gekommen. Auch das Votum, dass der Karneval in Kreuzberg bleiben und nicht dezentralisiert werden soll, war ganz deutlich. Weil dieses gemeinsame Auftreten im öffentlichen Raum in dieser Größe ein ganz wichtiger Teil des Anliegens ist. Also Sichtbarkeit zu erzeugen für die vielen verschiedenen Menschen, die hier zuhause sind. Das sind ja die Wurzeln des Karnevals als antirassistische Bewegung. Da geht es auch darum zu zeigen, dass man friedlich miteinander feiern kann.

Trotzdem wissen wir, dass es durch eine so große Veranstaltung wie den Karneval auch immer wieder Ärgernisse gibt – besonders für Anwohnende.

Das ist ja durchaus ein politischer Anspruch. Mitunter ist zu hören, der Karneval der Kulturen sei mittlerweile vor allen Dingen eine große bunte Spaß-Party mit Folklore-Touch. Was sagen sie zu solchen Einschätzungen?

Das kann ich auch verstehen. Ich bin ja neu im Leitungsteam und habe mich damit selbst auseinandergesetzt. Da hilft es, zu verstehen, was die Akteure wirklich machen. Denn man muss sagen, dass es gerade bei der Folklore-Sache darauf ankommt, wie man Kultur und Identitäten bespricht. Da kann das schwierig sein.

Man muss es vielleicht im Kontext zu den Ursprüngen des Karnevals sehen: Der Karneval ist als Antwort auf rassistische Übergriffe in den 1990er Jahren entstanden. Da ging es darum, dass Menschen, die sich ganz klar mit ihrer herkunftsbezogenen Kultur identifiziert haben, zeigen wollten, dass sie auch hierher gehören – mit ihren vielfältigen Traditionen. Wenn man dann Folklore in ein Straßengebiet bringt, das nicht mehrheitsbedingt weiß/deutsch ist, ist das eigentlich ein politischer Akt.

Jetzt, 25 Jahre später, wo man anders über Kultur und Intersektionalität spricht, kann das natürlich auch als schwierig gesehen werden. Doch die Gruppen, für die das noch wichtig ist, verteidigen das – mit gutem Recht. Denn das ist ja teils ein elitärer Diskurs. Und der Karneval soll eine niedrigschwellige öffentliche Veranstaltung bleiben, die wirklich alle einlädt, mitzugestalten.

Mit wie vielen Besuchern rechnen Sie? Vor Corona waren es meist um die 700.000 – wird es wieder so groß?

Ja, wir rechnen wieder mit so vielen Besuchern. Das müssen wir auch, denn alles andere wäre unverantwortlich. Wir sind seit Monaten mit den unterschiedlichen Beteiligten am Sicherheitskonzept.

Die Strecke ist wegen der durch den Fachkräftemangel und die Inflation gestiegenen Kosten im Sicherheitsbereich leicht gekürzt worden. Die Gruppen, von denen es in diesem Jahr auch weniger gibt, werden sich zudem etwas langsamer bewegen. Wir haben die Veranstaltung also etwas verlangsamt.

Weil die Veranstaltung so groß ist, sind alle Kapazitäten – sowohl finanziell als auch strukturell – in die Professionalisierung von Sicherheit und Produktion gegangen in den letzten Jahren. Das war richtig so, denn es ist ja eine große Verantwortung etwa eine Million Menschen bei sich zu haben. Leider reicht das Budget nicht aus, um mehr Netzwerkarbeit nach innen zu machen oder Publikumskonzepte zu erstellen, die über Sicherheit und Hygiene hinausgehen. Da gibt es noch Potenzial.

Die Anzahl der Gruppen beziehungsweise Wagen wurde von 70 vor der Pandemie auf nun 48 heruntergefahren. Nach welchen Kriterien haben Sie entschieden, wer mitmachen darf und wer nicht?

Unser Beirat hat mitgeholfen bei der Auswahl. Man hat die Gruppen gebeten, ihre Konzepte einzureichen und dann gab es verschiedene Variablen, über die entschieden wurde. Ausgewählt haben wir 55 Gruppen – von denen aber, was ganz normal ist, noch mal einige abgesprungen sind. Zuletzt waren wir beim Karneval bei 70 Gruppen. Wir haben also 15 weniger ausgewählt. Es gab auch nicht 90 Bewerbungen wie früher, denn nicht alle Gruppen haben Corona überstanden.

Sie haben es schon angesprochen: Anwohnende, vor allem auch am Blücherplatz, klagen über den Müll und die Lautstärke. Wie sieht denn Ihr Konzept aus, damit umzugehen?

Wir versuchen schon seit Jahren, den Karneval so zu gestalten, dass es auch für die Anwohner aushaltbar ist. Es gibt auch viele, die sich darüber freuen, "Hosts" für den Karneval zu sein. Aber es gibt natürlich auch Menschen, die darunter leiden.

Das fängt an mit den Autos, die umgestellt werden müssen. Und natürlich gibt es die Menschen, die im angetrunkenen Zustand ihr Hygieneverhalten unangenehm ausleben. Wir schauen einerseits, wo es mehr Toiletten oder ob es eher Urinale braucht. Aber es ist trotzdem nicht zu ändern, dass Leute sich auch so verhalten, wie wir es nicht möchten. Da sind wir trotzdem immer dran. Bei besonders häufig frequentierten Ecken versuchen wir auch mehr Ordnungspersonal einzusetzen.

Dann gibt es noch das Problem mit den Glasscherben. Die Händler haben – bis auf wenige Ausnahmen – ein Glasverbot. Doch weil der Karneval ja öffentlich und das Gelände nicht eingezäunt ist, können wir nicht kontrollieren, was Spätis, Tankstellen oder Restaurants verkaufen – oder die Leute einfach mitbringen. Wir versuchen, da schnell hinterher zu putzen, aber das ist natürlich nicht immer möglich.

Wir versuchen schon seit Jahren, den Karneval so zu gestalten, dass es auch für die Anwohner aushaltbar ist.

KdK-Ko-Leiterin Geraldine Hepp

Was konkret machen die Awareness-Teams, die es diesmal auf dem Karneval der Kulturen gibt?

Wir haben mit den Johannitern und der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft ganz traditionelle Sanitäter und Unfallhilfe-Anlaufstellen sowie Teams, die unterwegs sind für eher körperliche Beschwerden. Mit den Awareness-Teams haben wir noch einmal eine andere Ebene aufgemacht. Der Karneval versteht sich zwar als antirassistische und antidiskriminierende Veranstaltung, die ein friedliches Miteinander propagiert – trotzdem ist es ja nicht auszuschließen, dass Menschen auch hier Gewalt- oder Diskriminierungserfahrungen machen.

Dafür ist dann ein Awareness-Team da. Um solche Vorfälle aufzufangen, eine psychosoziale Betreuung zu ermöglichen und um eine Anlaufstelle zu sein. Sie kümmern sich aber auch um Menschen, die sich körperlich unwohl fühlen, aber nicht zu der Unfallhilfe oder Polizei möchten. Das Konzept hierzu hatten wir schon für 2020 vorgesehen – da fand ja dann kein Karneval statt.

Berlins neuer Kultursenator Joe Chialo (CDU) hat kürzlich auf einer Pressekonferenz nochmals die Wichtigkeit des Karnevals bekräftigt. Schlägt sich das auch in mehr Geld nieder?

Dazu hat er auf dieser Pressekonferenz auch gesagt, dass die Haushaltsverhandlungen gerade laufen. Außerdem ist die neue Regierung ja erst sehr kurz im Amt. Da können wir – ohne einen Vorwurf zu machen – anerkennen, dass es derzeit nicht möglich ist für ihn, Zahlen zu nennen.

Wir wissen aber, dass im Koalitionsvertrag von CDU und SPD steht, dass der Karneval der Kulturen als wichtig erachtet wird für Berlin und er auch in seiner Standortpräferenz unterstützt werden soll. Für den Karneval ist wichtig, dass er nicht verdrängt wird aus der Innenstadt.

Am Sonntag berichten live von der Veranstaltung das rbb-Fernsehen (13:25 - 16:25 Uhr) sowie Radioeins (ab 12:00 Uhr).

Sendung: rbb 88.8, 28.05.2023, 06:00 Uhr

14 Kommentare

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  1. 14.

    Als direkter Anwohner freue ich mich schon seit Wochen. Endlich wird wieder auf unseren Hof gepinkelt und in den Hauseingang geschissen, es werden Drogen praktisch direkt unter dem Balkon vertickt und großzügig Müll dort verteilt, wo ihn die BSR nicht wieder wegräumen muss. Es wird während des Umzugs wieder das Geschirr in den Schränken tanzen und bis zum frühen Morgen werden wir nicht schlafen gehen müssen weil im Park eine Boombox neben der nächsten bunte Kultur in die Nacht hinaus schreit. Öffentliche Verkehrsmittel sind in der Zeit endlich kaum nutz- oder erreichbar und laut Hausordnung des KdK muss ich nicht mal mit dem Fahrrad los oder mit dem Hund vor die Tür, denn das Veranstaltungsgelände beginnt direkt vor der Haustür beginnt und beides ist verboten. Man merkt richtig, wie sehr da zusammen mit den Anwohnern geplant wurde.
    Vielleicht sollten wir Berlin einfach ganzjährig an Airbnb verpachten und den Kiez umsiedeln. Das bringt dann richtig Geld und Kultur in die Stadt.

  2. 13.

    Das Tempelhofer Feld ist ein Park mit viel Natur???? Wiese, Pusteblumen und ein altes Rollfeld, mehr nicht.wird auch nie ein Park werden, weil Veränderungen nicht gewünscht sind. Da hätte man vor 10-15 Jahren was richtig tolles in Sachen Natur machen können, jetzt ist es nur eine Staub und Dreckswüste

  3. 12.

    Auszug aus: Der NIMBY - Aufzucht und Pflege
    - Veranstaltungen ok, aber nicht in meiner Gegend
    - Windkraft ok, aber nicht in meiner Gegend
    - Solarflächen ok, aber nicht in meiner Gegend
    - Lachende Menschen ok, aber nur wo ich es nicht höre
    - Lustige Menschein ok, ab nur da wo ich sie nicht sehe
    - Musik ok, wenn es meine Richtung ist
    ....
    Die Abgrenzung zum Next-Level (F-nymby) besteht nur dahingehend, das der echte Nymby nur dann schimpft, wenn er auch wirklich betroffen ist und ist sonst eher fließend.

  4. 10.

    Noch nie dagewesen und Volksbelästigungen sind ihnen eh ein Graus.
    Lange genug wissen alle wann es losgeht , da kann man Mal Urlaub machen , ne kleine Fahrt in den Spreewald oder Ostsee
    Ne rummaulen und nur ihre Meinung zählt ,so bitte nicht.
    Toleranz fängt bereits im Wohnzimmer an. Auch gönnen muss man erst lernen.
    Auch ich bin schon Rentner , aber ich gönne anderen den Spass.

  5. 9.

    Naja, das sehe ich anders und bin deshalb an den Rand gezogen.
    Tobt Euch aus, macht Krach und Dreck ohne Ende, das Ende steht ja lt. Eurer LG sowieso bevor …
    Ich werde es nicht mehr erleben …

  6. 8.

    Ein Karnevalsumzug gehört auf die Straße, ähnlich wie in Köln oder Mainz. Trotz kommerzieller Interessen und hässlicher Begleiterscheinungen, die eher durch Massentourismus entstehen, würde dort niemand auf die Idee kommen, ihn in eine unbewohnte Gegend abzuschieben. Das Tempelhofer Feld ist ein Park mit viel Natur, die dort noch weiter als bisher zerstört werden würde.

  7. 7.

    Ich liebe den Karneval der Kulturen - aus vielen Gründen. Auch seinen traditionellen Standort rund um den Blücherplatz. Finde aber, dass das Tempelhofer Feld als große Bühne dafür viel geeigneter wäre - auch aus vielen Gründen.

  8. 6.

    Berlin ist Weltstadt? Schlecht geträumt? Trotzdem muss die Veranstaltung nicht im Innenstadtbereich stattfinden. Es gibt genügend Platz, wo so eine Veranstaltung stattfinden kann, warum nicht Tempelhofer Feld, wie schon hier beschrieben.

  9. 5.

    Die kulturelle Vielfalt Berlins gehört sichtbar in der Mitte präsentiert und nicht irgendwo an den Rand abgeschoben. Wer das nicht aushalten will, kann ja gerne an den Rand ziehen. Berlin ist Weltstadt und nicht Provinzdorf.

  10. 4.

    Von mir aus kann diese Veranstaltung am Stadtrand stattfinden. Die legen bloß die Stadt lahm.

  11. 3.

    Auf dem Tempelhofer Feld ist Platz ohne Ende. Völlig unverständlich wieso das ganze im verdichteten Kreuzberg stattfinden muss.

  12. 2.

    Na hoffentlich wird das nicht zur massenhaften Kulturellen Aneignung missbraucht. ;-)

  13. 1.

    Oh Je . Wenn ich Folklore höre denke ich an Musikantenst6 und ähnliche spießig konservative Dinge.

    Wenn ich Karneval der Kulturen höre denke ich an ein politsch geprägten Umzug. Ebenso bei der Christopher Street Day Parade.

    Was heute daraus geworden iat ist Kommerz.

    Die Love Parade war nie olitia h die haben immr nur so getan. Die wollten Tanzen , Party , politsche Inhalte darauf hatten die keinen Bock.

    Die 1990er Jahre Politbewegungen waren weichgespült. Das hat sich erst durch die LG wieder geändert. Diet steht nicht die Party im Vordergrund.

    Politsches Handeln von linken ( und was anderes kann z.V. Antirassismus nicht sein ) Bewegungen müssen nichtkommerziell sein um nicht ide eigenen Ansprüche zu verraten.

    Die Einpunktbewegungen sind i.d.Regel nur Interessenbewegungen die verschwinden wenn das eigene Ziel erreict ist. Eine grundsätzliche Veränderung ist da nicht angedacht.

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