Interview | Preisverleihung Berlinale - Wer sind die Favoriten für die Berlinale-Bären?

Am Samstagabend werden die Hauptpreise der 75. Berlinale verliehen. Unsere Filmkritiker:innen Anna Wollner und Fabian Wallmeier verraten, welche Filme sie für bärenwürdig halten - und welche nicht.
rbb| 24: Anna und Fabian, ihr habt alle Wettbewerbsfilme gesehen - was ist euer Fazit?
Fabian Wallmeier: Ich fand es einen erstaunlich soliden Wettbewerb, wenige richtig herausragende Filme, aber eben auch kaum Totalausfälle - was es ja auch schon gab.
Anna Wollner: Mittelmaß. Was mir tatsächlich fehlt, ist der eine Film, der alles überstrahlt, der hängenbleibt. Aber ich bin auch tatsächlich nur einmal aus dem Kino gegangen.
Die Berlinale gilt als politisches Festival. Wieviel Politik war im Wettbewerb?
Anna: Einzelne Filme waren natürlich politisch, wie "Kontinental ‘25" von Radu Jude, auch der brasilianische "Blue Trail", der erzählt, wie eine Gesellschaft mit alten Menschen umgeht. Aber ich glaube, die Politik fand tatsächlich ein bisschen außerhalb der Leinwand statt.
Fabian: Den Eindruck hatte ich auch. Von einigen Filme abgesehen, zu denen unbedingt der ukrainische "Timestamp" gehört, war er wenig politisch. Ich fand interessant, dass stattdessen viele Filme private Konstellationen – Familie, Mütter - in den Mittelpunkt stellen.
Anna: Für mich waren die Mutter-Tochter-Beziehungen tatsächlich der rote Faden, wie in "Hot Milk" oder "If I had legs I’d kick you". Die Mütter waren für mich das prägende Bild des Festivals.
Nur zwei deutsche Filme waren dabei. Haben sie eine Chance auf einen Bären?
Anna: "Was Marielle weiß" ist in meinen Augen ein schlechtes Fernsehspiel. Der hatte im Wettbewerb nichts verloren. "Yunan" hat mich in seinen elegischen, harten Bildern und der Melancholie und dem Nachdenken darüber, was und wo Heimat ist, beeindruckt. Ich glaube, das ist ein Film, auf den sich die Jury einigen könnte.
Fabian: Ich will es nicht hoffen! Außer ein paar stimmungsvollen Aufnahmen der Hallig, auf den er spielt, fand ich "Yunan" tödlich langweilig. "Was Marielle weiß" sehe ich ein bisschen positiver als du. Ich finde zwar auch, dass er kein zwingender Wettbewerbsfilm ist, aber ich mochte das Kammerspielartige, habe sehr gelacht und kann mir vorstellen, dass er einen Drehbuchpreis gewinnt. Doch bei den ganz großen Favoriten ist er nicht mit dabei.
Maria Schrader, Fan Bingbing, Todd Haynes - die diesjährige Jury ist mit sehr unterschiedlichen Künstler:innen besetzt. Auf welchen Film könnten sie sich einigen für den Goldenen Bären?
Fabian: Also eine sichere Wette ist immer die politische Doku ...
Anna: Ja!
Fabian: ... und die ist für mich auch in diesem Jahr Anwärterin Nummer eins auf den Preis: "Timestamp" von Kateryna Gornostai, eine Dokumentation über Schulen, die während des Krieges in der Ukraine weiterarbeiten. Das ist eindrucksvoll und irgendwie der Film der Stunde, weil US-Präsident Trump gerade furchtbare Dinge über die Ukraine von sich gegeben hat. Ich würde mich allerdings freuen, wenn die Jury sich mal zusammenreißen könnte und keine Doku auszeichnen würde. Das ist mir in den letzten Jahren deutlich zu oft vorgekommen.
Anna: Der Dokumentarfilm im Wettbewerb ist oft die leichte Wahl, weil man dann die anderen Spielfilme nicht gegeneinander ausspielen muss. Ich fand "Timestamp" auch großartig. Die Regisseurin ist hochschwanger zum Festival angereist und hat nun – etwas zu früh - ihr Kind bekommen. Ich würde mich sehr freuen, wenn sie nicht nur mit einem Kind, sondern auch mit einem Bären nach Hause gehen würde. Aber sonst ist es bezeichnend in diesem Jahr, dass es keinen großen Favoriten gibt, auf denen sich alle einigen.
Würdet ihr in der Jury sitzen - welcher Film bekäme einen Bären?
Anna: Ich bin tatsächlich ratlos. Ich fand "Blue Trail" großartig - die Stimmung, die Schauspielleistung von Denise Weinberg. Und Ethan Hawke in "Blue Moon". Aber da wir einen Jahrgang voller starker Frauen hatten, wäre es Quatsch, den einzigen Mann, der heraussticht, auszuzeichnen.
Fabian: Wenn ich den Goldenen Bären vergeben dürfte, dann würde er nach Norwegen gehen. Ich fand "Dreams (Sex Love)" fantastisch - ein Mädchen, das sich in seine Lehrerin verliebt, ein sehr kluger, warmherziger, teilweise auch witziger Film. Bei den Darsteller:innen kommt man nicht an Rose Byrne als Mitfavoritin vorbei. Sie ist in "If I Had Legs I’d Kick You" bravourös als überforderte Mutter. Marie Leuenberger, die Hauptdarstellerin in "Mother’s Baby", ist ebenfalls brillant. Andranic Manet aus "Ari" würde für mich auch mit reingehören - er spielt sehr genau einen ziellosen Typen, der durch sein Leben stolpert.
Gibt es eine Art Faustregel, welcher Film Chancen auf einen Bären hat?
Anna: Meine goldene Regel ist: Es wird der eine Film, den ich verpasst habe. Das wäre in diesem Fall "Ari".
Fabian: Es macht immer Spaß, Regeln zu suchen. Aber ich bezweifle, dass es eine gibt.
Wenn es einen Zitronen-Bären für den schlechtesten Filme geben würde – wer sollte den kriegen?
Anna: "Reflection in a Dead Diamond". Das ist der einzige Film, aus dem ich nach einer halben Stunde rausgegangen bin.
Fabian: Ich habe ihn gemocht. Dem würde ich tatsächlich irgendeinen Bären geben. Meine Goldene Zitrone geht an "Hot Milk", das war für mich der einzige Totalausfall.
Viele fragen sich, warum ein Film in den Wettbewerb kommt und ein anderer nicht. Was braucht es eurer Meinung nach dafür - Stars, bekannte Regienamen?
Anna: Das Staraufkommen war schon mal höher im Wettbewerb. Aber natürlich kann man es niemandem recht machen. Die einen wollen Glamour, die anderen wollen Filmkunst. Ich glaube, es ist die Mischung. Und ich finde, da hatte der Wettbewerb einigermaßen die Kurve gekriegt. Ein Regisseur meinte zu mir, sein Weltvertrieb sei heilfroh, dass sein Film im Berlinale-Special läuft und nicht im Wettbewerb. Wettbewerbsfilme sind Publikumsmagnete auf dem Festival, aber sie gelten als sperrig und schwierig. Was den Verkauf in andere Länder angeht, sind sie eher Ladenhüter.
Fabian: Ob ein Film im Wettbewerb gezeigt wird, hat auch viel mit einer Art Arithmetik zu tun, was man wie zusammen eingruppiert. Und wer will überhaupt in den Wettbewerb, wie Anna auch schon angedeutet hat. Es ist auch bezeichnend, dass der Eröffnungsfilm von Tom Tykwer eben nicht im Wettbewerb gelaufen ist.
Es war die erste Berlinale unter neuer Leitung - was hat Tricia Tuttle anders gemacht?
Fabian: Ihre erste Berlinale war grundsolide. Sie hat nicht viel anders gemacht. Die Mischung im Wettbewerb, war in diesem Jahr ein bisschen weniger politisch, viel weiblicher, was dem Wettbewerb gutgetan hat. Ihre große Neuerung, die Debütsektion "Perspectives" ist für mich aber noch nicht aufgegangen. Die Filme hätte man auch wunderbar über die anderen Sektionen verteilen können. Das sollte man vielleicht nochmal überdenken.
Anna: Es war eine gute Mischung. Die Stars kamen, auch außerhalb des Wettbewerbs. Es war kein leichter Start für Tuttle, mit allen den Bränden, die sie letztes Jahr noch löschen musste. Am Eröffnungsabend war dann das Attentat in München, einen Tag nach der Preisverleihung ist die Bundestagswahl. Beschissener geht es nicht vom Timing her. Ich glaube, da haben sie und das ganze Team das Beste rausgezogen.
Vielen Dank!
Mit Anna Wollner und Fabian Wallmeier sprach Ula Brunner, rbb|24.
Sendung: rbb24 Inforadio, 22.02.2025, 07:55 Uhr
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