Berlinale-Filmkritik | "Was Marielle weiß" - Die magische Ohrfeige

Mo 17.02.25 | 19:31 Uhr | Von Fabian Wallmeier
Laeni Geiseler "Was Marielle weiß" | What Marielle Knows von Frédéric Hambalek DEU 2025, Wettbewerb © Alexander Griesser
Bild: © Alexander Griesser

Der erste deutsche Wettbewerbsbeitrag "Was Marielle weiß" erzählt von einem Mädchen, das plötzlich alles sieht und hört, was die Eltern tun. Ein lustiger kleiner Thesenfilm, der zwischendurch etwas auf der Stelle tritt. Von Fabian Wallmeier

In Zeitlupe reißt Marielle (Laeni Geiseler) die Augen auf, in Zeitlupe schlägt ihr eine Hand mit bröckelndem buntem Nagellack ins Gesicht, in Zeitlupe dreht Marielle sich zur Seite. "Was Marielle weiß" von Frédéric Hambalek beginnt mit einer magischen Ohrfeige mit Folgen: Denn seit dieser Ohrfeige, berichtet Marielle, sieht und hört sie alles, was ihre Eltern, Julia (Julia Jentsch) und Tobias (Felix Kramer) tun.

Als Zuschauer:in weiß man ebenfalls, was Marielle weiß - und wie nah an der Wahrheit das ist, was die Eltern einander darüber erzählen. Als Tobias, Teamleiter in einem Verlag beispielsweise behauptet, er habe es seinem forschen Teammitglied Sören mal so richtig gezeigt, weiß man: Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben wie Marielle gesehen, dass er Sörens vehement vorgetragenem Vorschlag, das kitschige Cover eines neuen Buches noch einmal zu überdenken, nachgegeben hat.

"Wenn das die Compliance wüsste"

Und die Zuschauenden wissen: Wenn Julia behauptet, sie rauche nicht, ist das ebenfalls glatt gelogen. Sehr wohl hat sie mit ihrem Kollegen Max geraucht - und die beiden haben dabei deftig und sexuell explizit geflirtet. "Wenn das die Compliance wüsste", frotzelt Max.

Die weiß es nicht - aber Marielle. Aus diesem Wissensvorsprung und dem Umgang damit zieht der Film zunächst einiges an Komik. Wie die Eltern erst noch versuchen, Marielles neue Gabe als Spinnerei abzutun, dann verstehen, dass es diese Gabe wirklich gibt - und schließlich versuchen, Marielles Wissen über das jeweils andere Elternteil auszuquetschen und zu manipulieren: Das alles ist schon ziemlich lustig, zudem gut gespielt und schnörkellos inszeniert.

Auch wie zwischendurch immer wieder Marielle zu sehen ist, geht auf: Kurze Einstellungen in Zeitlupe zeigen sie von hinten von der Sonne beschienen und in rotes und pinkfarbenes Licht getaucht. Ernst schaut sie auf uns herab, wie eine prüfende, strafende Göttin. Sie hat nun eine gewisse Macht über uns und ihre Eltern - und die müssen sich jetzt jedes Wort sehr gut überlegen.

Regie / Termine

Frédéric Hambalek "Was Marielle weiß" | What Marielle Knows von Frédéric Hambalek DEU 2025, Wettbewerb © Oliver Duerr
© Oliver Duerr

Frédéric Hambalek

Geboren 1986 in Karlsruhe studierte Filmwissenschaft. Für sein erstes Drehbuch gewann er 2016 den Tankred Dorst-Preis. Als Autor wurde er unter anderem für den Grimme-Preis und den deutschen Fernsehpreis nominiert. Im Jahr 2020 feierte sein No-Budget-Langfilm "Modell Olimpia" beim Tallinn Black Nights Festival seine Weltpremiere. "Was Marielle weiß" ist sein zweiter Kinofilm.

Erfrischender Blick auf Kommunikation mit Teenagern

Später tritt der Film phasenweise kammerspielhaft auf der Stelle. Da droht die Erzählung zum reinen Thesenfilm zu verkommen. Etwas zu lange braucht "Was Marielle weiß", um sich vom Wiederholen und Auswalzen seiner Grundidee zu lösen.

Regisseur Hambalek, der auch das Drehbuch geschrieben hat, ist aber auch ein erfrischender Blick auf Erziehung und Kommunikation mit Teenagern gelungen: Was kann man sagen, was muss man sagen - und was sagt man besser nicht? Und wie kann man Gesagtes wieder ungesagt machen? Eine besonders lustige Szene zeigt, wie Tobias Marielle zu Svenja schleppt, die ihr die entscheidende Ohrfeige verpasst hat. In Tobias' Welt ist das Geschehene wiedergutgemacht, wenn formale Entschuldigungen ausgetauscht worden sind. Erst von Svenja für die Ohrfeige, dann von Marielle für den Auslöser - dass sie Svenja als Schlampe beschimpft hat. Tobias lächelt selbstzufrieden, den beiden Teenies ist es vollkommen egal.

Willkommene komödiantische Abwechslung

Schließlich wird doch noch ein Ausweg aus der misslichen Lage mit Marielles Gabe gesucht und gefunden, der, ohne zu viel zu verraten, ein Bekenntnis zu totaler Ehrlichkeit behauptet - und neuen Stoff für komische Dialoge bietet. Das Nachspiel zieht sich dann zwar etwas und mündet in einem versöhnlichen Einerlei - und dann bekommt Hambalek doch wieder die Kurve. Der Film endet, wie er begonnen hat: mit einer Großaufnahme von Marielles Gesicht. Dieses Mal wird sie nicht geohrfeigt - und was sie weiß, wissen wir jetzt nicht mehr. Und das ist auch ganz gut so.

Ein zwingender Berlinale-Wettbewerbsbeitrag ist "Was Marielle weiß" nicht, er wäre in Generation oder im Panorama bestens aufgehoben gewesen. Aber eine willkommene komödiantische Abwechslung ist er auch im Wettbewerb allemal.

Berlinale 2025: Stars, Glamour und Momente

Sendung: Radioeins, 17.02.2025, 22 Uhr

Beitrag von Fabian Wallmeier

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