Berlinale-Wettbewerb | "Yunan" von Ameer Fakher Eldin - Operation am offenen Herzen

Do 20.02.25 | 09:29 Uhr | Von Anke Sterneborg
Georges Khabbaz, Hanna Schygulla "Yunan" von Ameer Fakher Eldin DEU, CAN, ITA, PSE, QAT, JOR, SAU 2025, Wettbewerb © 2025 Red Balloon Film, Productions Microclimat, Intramovies
Audio: rbb24 Inforadio | 20.02.2025 | Barbara Behrendt | Bild: © 2025 Red Balloon Film, Productions Microclimat, Intramovies

Regisseur Ameer Fakher Eldin erzählt in "Yunan" eine Geschichte von Rast- und Ruhelosigkeit, von Sehnsucht nach Heimat und der Melancholie des Verlusts. Eng verwoben ist dies mit der eigenen Biografie des Filmemachers. Von Anke Sterneborg

Regie / Termine

Nach "Was Marielle sagt" hat am Mittwoch im Endspurt des Festivals der zweite deutsche Film Premiere im Berlinale-Wettbewerb gefeiert. Nach "The Stranger", der 2021 auf dem Festival in Venedig erstmals gezeigt wurde, ist "Yunan" der zweite Teil einer geplanten Trilogie zum Thema Heimat und Entwurzelung.

Verantwortlich für Drehbuch, Regie und Schnitt ist Ameer Fakher Eldin, dem das Fremdsein, das er in seinen Filmen erforscht, quasi in die Wiege gelegt wurde: Geboren wurde er 1991 mit syrischen und palästinensischen Wurzeln in Kyjiw, in der Ukraine. Aufgewachsen ist er in den Golanhöhen, ohne Möglichkeit, seine syrische Heimat zu besuchen. Heute lebt er wie der Held seines neuen Films im Exil in Hamburg.

Die Melancholie des Heimatverlusts

Der arabische Schriftsteller Monir (Georges Khabbaz) ist rastlos, unruhig und bekommt keine Luft. Doch die Ärzte können den Symptomen keine Diagnose zuordnen, denn seine Krankheit ist psychosomatisch: Monir leidet unter der Sehnsucht nach einer Heimat, die in seinen Träumen und Erinnerungen biblisch aussieht, mit einem älteren Mann und einer jungen Frau (Sibel Kekilli), die sich in zeitlos sandfarbenen Leinengewändern, umgeben von Schafen und Hütehunden durch ausgedörrte Steppenlandschaften bewegen und in einem einfachen Steinhaus leben. Weil es ihn innerlich zerreißt, fasst Monir einen Plan: Er packt eine Pistole in seine handliche Reisetasche und nimmt eine Fähre auf die Hallig Langeneß an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste.

Fassbinder-Muse Hanna Schygulla als weise Heilerin

Dort trifft er auf die zunächst ruppig abweisende und wortkarge Valeska. Hanna Schygulla, Grande Dame des Fassbinder-Universums, verleiht der Wirtin der einzigen Unterkunft auf der einsamen Hallig eine geheimnisvolle Weisheit.

Mit wohldosierten kleinen Gesten und Angeboten bringt sie den zunächst sperrigen Monir langsam aber stetig zur Ruhe, zum Essen und irgendwann sogar zum Tanzen. Aber auch die fordernde Unbedingtheit der Landschaft ohne zivilisatorische Ablenkungen hat eine heilende Wirkung auf den versehrten Schriftsteller. Es sind unwirtliche Landschaften, die sich gegen eine Vereinnahmung als Lebenstraum sperren und vielleicht gerade darum den hier lebenden Menschen ein Equilibrium geben.

Keine Geschichte vorantreiben, sondern Gefühle einfangen

Die Behutsamkeit, mit der die Zimmerwirtin ihre Angebote macht, spiegelt sich in der Machart des Films, der nichts aufdrängt, sondern eher zum Hineinfallenlassen verführt.

Eigentlich passiert nicht viel, denn Ameer Fakher Eldin geht es nicht darum, eine Geschichte voranzutreiben. Stattdessen macht er sich ganz behutsam daran, ein Gefühl einzufangen, die Sehnsucht und Melancholie, die mit dem Verlust der Heimat einhergeht - eine angesichts weltweit massiver Fluchtbewegungen derzeit sehr universelle Erfahrung.

Ameer Fakher Eldin umschreibt sie in seinem Film mit dem Kommen und Gehen der Gezeiten. "Ich sehne mich nach deiner Gegenwart, wünsche sie so sehr herbei" heißt es sinngemäß in einem 1.500 Jahre alten Gedicht, das dem Film vorangestellt ist. Doch genauso schmerzhaft sei es, sich dann zu sehen, weil sich inzwischen schon wieder so viel verändert hat. Statt alles im Drehbuch festzuschreiben, hat sich der noch recht junge Regisseur gemeinsam mit seinem Hauptdarsteller Georges Khabbaz, der solche Exilerfahrungen ebenfalls kennt, auf die Suche gemacht, im Grunde also eine Operation am offenen Herzen.

Meditativer Sog

Sparsame Dialoge, unaufdringliche Musik, die zusammen mit den Geräuschen der Orte und Landschaften Atmosphäre schafft, statt Stimmungen zu diktieren. Bei der Pressekonferenz hat Ameer Fakher Eldin erzählt, wie kostbar ihm im Prozess des Filmemachens die Töne seien, weil er in seiner Kindheit in den Golanhöhen Filme nur heimlich und ohne Ton nachts im Fernsehen anschauen konnte.

Gleitende Kamerabewegungen erzeugen einen meditativen Sog, dabei bezieht der Film viel Kraft aus dem Spannungsfeld zwischen zwei landschaftlichen Extremen, hier die wild romantische Schönheit des Nordsee-Marschlands, mit dem Kontrast zwischen sich organisch schlängelnden und wie mit dem Lineal gezogenen Küstenlinien, mit saftigen Grüntönen, dramatischen Wolkenformationen und tosendem Meer, dort die ausgedörrte, karge arabische Steppe, weit und breit keine Wasserquelle, und nur vereinzelt dürres Gesträuch. Hier die Realität von Sturm und Überschwemmung mit Wasserständen acht Meter über Null, dort heiße Winde und staubige Dürre mit ein paar Sträuchern.

Gedreht wurde in Apulien, an Orten, die ausdrücklich nicht wiedererkennbar sein sollten, eine Art unbehaustes Niemandsland, das Erinnerungen an die Filme von Tarkowski weckt. Mit hypnotischen Kreisbewegungen gleiten die Kameras über die Landschaften hinweg, und schaffen eine Verbindung zwischen Nordsee-Realität und arabischen Träumen, in einem ebenso wehmütigen wie tröstlichen und unbedingt faszinierenden Film.

Berlinale 2025: Stars, Glamour und Momente

Sendung: rbb24 Inforadio, 20.02.2025, 10:30 Uhr

Beitrag von Anke Sterneborg

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