rbb24 Inforadio | 20.02.2025 | Barbara Behrendt | Bild: Radu Jude/ROU 2025
Der rumänische Filmemacher Radu Jude hat bei der Berlinale schon den Silbernen und den Goldenen Bären gewonnen. Jetzt ist er zurück: "Kontinental ´25" ist eine herrliche Satire auf unser aller Doppelmoral. Von Barbara Behrendt
Geboren 1977 in Bukarest, Rumänien, studierte Film. Sein Langfilmdebüt, "The Happiest Girl in the World" (Forum), fand weltweit Anerkennung. Für "Aferim!" wurde er auf der Berlinale 2015 mit dem Silbernen Bären für die beste Regie ausgezeichnet. 2021 gewann er mit "Bad Luck Banging or Loony Porn" den Goldenen Bären, 2023 war er Mitglied der Internationalen Jury der Berlinale.
Dass Radu Jude seinen Humor nicht verloren hat, merkt man schon nach fünf Minuten. Bis dahin haben wir einen fluchenden Wohnungslosen beim Flaschensammeln im sonnigen Herbstwald beobachtet. Da wütet plötzlich ein gigantischer Dinosaurier neben dem völlig unbeeindruckten Mann. Kein Fantasy-Element: Der Dino-Park scheint ein Versuch der westrumänischen Stadt Klausenburg (rumänisch: Cluj-Napoca), den Wald attraktiv zu machen.
Später wird die Gerichtsvollzieherin Orsolya (Eszter Tompa) das Lager des Mannes im Heizungskeller räumen lassen, woraufhin der sich erhängt. Orsolya findet seine Leiche und kommt nicht über ihr schlechtes Gewissen hinweg. In einem skurrilen Stationendrama, mit der Handykamera gefilmt, sucht Orsolya Absolution – doch keiner kann ihr helfen: Ihre ungarische Mutter hetzt lieber über die Rumänen und preist Orbans Faschismus; der Pfarrer gibt gute Ratschläge, nachdem er gerade einem Kind angedroht hat, ihm die Beine zu brechen.
Herrliche Satire auf Doppelmoral der westlichen Welt
Am offensichtlichsten wird der moralische Pragmatismus im komisch-absurden Gespräch mit Orsolyas Bekannter. Die fühlt sich wie Mutter Theresa, weil sie eine arme Roma-Familie über eine hippe NGO mit Geld unterstützt – dem lästigen, stinkenden Penner vor ihrer Haustür hat sie aber auch bei minus 18 Grad keine Decke angeboten. Orsolya hingegen beruhigt sich damit, jeden Monat zwei Euro über ihren Mobilfunkvertrag an Hilfsprojekte zu spenden. Wer da nicht in den Himmel kommt …
Radu Judes kluger neuer Film "Kontinental '25" ist eine herrliche Satire auf die Doppelmoral der westlichen Welt, die wunderbar sarkastisch den Nationalismus Rumäniens aufspießt – etwa, wenn der Fahrradkurier ein leuchtendes "Ich bin Rumäne"-Schild auf dem Rücken trägt, damit die Autos Rücksicht nehmen. Dieser junge Fahrradkurier, ein früherer Student in Orsolyas Justiz-Seminar, kann einen Zen-Spruch nach dem nächsten aufsagen – statt zur Erleuchtung bringt er Orsolya dann aber zum Orgasmus. Und immerhin das scheint ein wenig die schlechten Gefühle zu vertreiben – während Orsolyas Mann und Kinder ohne sie Urlaub in Griechenland machen müssen. Mama hat schließlich gerade Stress bei der Arbeit.
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Eine Laterne wie ein Hitlerbärtchen
Immer wieder hält Radu Jude das Stadtbild Klausenburgs augenzwinkernd politisch fest. Die Straßenlaterne wirkt aus dem gewählten Kamerawinkel wie ein Hitlerbärtchen des Kandidaten auf dem Wahlplakat. Verfallene Ruinen stehen Dach an Dach mit Luxushotels.
Armut, Faschismus, Rassismus, Heuschrecken-Kapitalismus im postsozialistischen Osteuropa – all diese Themen schwingen mit in Judes neuem, gesellschaftspolitisch hochaktuellen Film. Mit der Ungarin Orsolya fließt außerdem die Diskriminierung der ungarischen Minderheit in Siebenbürgen ein und die bewegte Geschichte um Grenzen und Zugehörigkeiten dieser Region.
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Und nicht zuletzt ist "Kontinental '25" eine Hommage an Roberto Rossellinis "Europa '51". Auch darin sucht eine Frau einen Weg aus ihrem moralischen Dilemma – allerdings mit mehr Erfolg. Zwar ist "Kontinental '25" längst nicht so experimentell, so überbordend und ästhetisch ausgefallen wie Judes Goldener-Bären-Gewinner "Bad Luck Banging or Loony Porn" aus dem Jahr 2021 – ein bitterböses Tragikomödien-Highlight im Wettbewerb ist er aber unbedingt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 20.02.2025, 07.55 Uhr
Berlinale 2025: Stars, Glamour und Momente
Bild: dpa-Bildfunk/Sebastian Gollnow
Elegant in tiefem blau spaziert Sibel Kekilli über den roten Teppich. Sie ist im deutschen Wettbewerbsbeitrag ''Yunan" an der Seite von Hannah Schygulla zu sehen.
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Aber auch Weiß passt gut zu Rot. Und scheint in diesem Jahr beliebt zu sein. Hier trägt die australische Schauspielerin Rose Byrne ein priesterähnliches Gewand. Im Wettbewerbs-Beitrag "If I Had Legs I'd Kick You" gibt sie eine herausragende Performance als Mutter am Rande des Nervenzusammenbruchs.
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Im 1960-Jahre-Look kommt Margaret Qualley, Tochter von Andie MacDowell zum Berlinale Palast. Sie bringt neben dem Wettbewerbfilm "Blue Moon", ihren Hund Smokey mit.
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Bestens gelaunt sind Regisseur Richard Linklater (2.v.r.) mit den Stars seines Wettbewerbfilms "Blue Moon". Im Biopic spielt Margaret Qualley (li) die große Liebe des berühmten Songwriters Lorenz Hart. Ethan Hawke, hier salopp im Holzfällerhemd, verkörpert Lorenz Hart, Andrew Scott (re) den Komponisten Richard Rodgers.
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Sie sind die Stars des ersten deutschen Wettbewerb-Beitrags "Was Marielle weiß": (li-re) Felix Kramer, Julia Jentsch und Laeni Geiseler, zusammen mit Regisseur Frederic Hambalek.
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Sie sind auch da! Bob Geldorf Sänger und Aktivist und der Schauspieler Antonio Banderas öffnen kurz die Tür: Sie sind Gäste der Cinema for Peace Gala 2025 im Hotel Adlon.
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Passend zu den Minusgraden in Berlin kommen August Diehl und der französische Star Marion Cotillard, um den Wettbewerbsfilm "La Tour de Glace"/"The Ice Tower" zu präsentieren.
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Wenn sie frieren, ist es ihnen nicht anzusehen: Schauspielerin Rose Byrne und Regisseurin Mary Bronstein haben den Wettbewerbsfilm "If I Had Legs I'd Kick You" im Gepäck.
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Und da ist ... Robert Pattinson ... Entspannt steigt er aus dem Wagen und begrüßt die Fans bei der Berlinale. Locker und gut gelaunt lässt er sich von Kameras und Jubel nicht aus der Ruhe bringen.
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Hollywoodstar Robert Pattinson soll Sorge vor der Berliner Kälte gehabt haben. Sein Outfit hatte er sich in Kalifornien zurechtgelegt.
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Der Brite ist regelmäßiger Gast auf der Berlinale und präsentiert in diesem Jahr "Mickey 17", eine Sciende-Fiction-Komödie von Kult-Regisseur Bong Joon-ho. Pattinson spielt Mickey Barnes, Held wider Willen, verdient sich darin seinen Lebensunterhalt damit, dass er stirbt.
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Die Berliner:innen sind auf die eisigen Temperaturen gut vorbereitet. In dicke Jacken, mit Mützen und Schals ist der Andrang am roten Teppich groß. Diese jungen weiblichen Fans warten auf Timothée Chalamet. Spoiler: Er wird auch kommen.
Selfie mit der neuen Berlinale-Chefin: Tricia Tuttle ist der Stress der letzten Monate nicht anzusehen. Seit April 2024 ist sie im Amt - nicht viel Zeit, um ein Weltfestival mit über 200 Filmen auf die Beine zu stellen.
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Heiß erwartet von seinen weiblichen Fans: Timothée Chalamet. In "A Complete Unknown" gibt er eine fulminante Darstellung des jungen Bob Dylan. Der Film läuft im Rahmen der "Berlinale Special Gala" ...
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... und Timothée wird mindestens genauso belagert, wie seinerzeit der junge Bob ...
Bild: picture alliance/dpa | Christoph Soeder
Jessica Chastain - mitten im Fan-Trubel zur Premiere des Films "Dreams": Geduldig lächelnd, umringt von Handys und Blitzlichtern. Doch auf der Pressekonferenz findet die US-Schauspielerin deutliche Worte zur politischen Realität in den USA.
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Umgeben von Autogrammjägern, aber Jacob Elordi bleibt cool. Auch in seiner Rolle als Dorrigo Evans in "The Narrow Road to the Deep North" muss er sich inmitten des Chaos' behaupten.
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Emma Mackey, vielen bekannt aus der Netflix-Serie "Sex Education", überzeugt bei der Berlinale mit ruhiger Ausstrahlung und einem eleganten Look in Weiß. Sie spielt im Wettbewerbs-Beitrag "Hot Milk" eine junge Frau auf der Suche nach sich selbst.
Bild: picture alliance/dpa | Christoph Soeder
Viermal weiße Garderobe auf dem roten Teppich bei der Eröffnungsgala: Model Toni Garrn bringt zwar keinen Film mit, aber den Teppich zum Leuchten.
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Naomi Ackie posiert für die Kameras und genießt das Blitzlichtgewitter. In "Mickey 17" ist sie an der Seite von Robert Pattinson sehen.
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Ein Traum in weiß: Jury-Mitglied Fan Bingbing. Will man Wikipedia Glauben schenken, führt die Schauspielerin und Sängerin seit 2015 die Forbes-Liste der bestbezahlten Chinesen 2015 an.
Bild: picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow
Schwarz auf Weiß bringt Klimaaktivistin Luisa Neubauer am Eröffnungsabend der Berlinale eine politische Meinung zum Ausdruck: Auf der Vorderseite ihres Kleides steht: "Donald & Elon & Alice" und darunter "Friedrich?". Auf dem Rückenteil ist nachzulesen: "Democracy Dies in Daylight"
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1.
Es mag üblerweise so sein, dass kein Mensch angesichts der so bezeichneten strukturellen Gewalt dieser Gesellschaft einer gewissen Doppelmoral entkommen kann. Wer der Doppelmoral vollständig entrinnen will, könnte nur verrückt oder aber zynisch daran werden. Allein, mit Paracelsus, ist es eine Frage des Ausmaßes und zudem auch der individuellen Reflektion: Hat sich ein Mensch in dieser Doppelmoral vollständig eingerichtet, ist die Doppelmoral unreflektiert zur ´Zweiten Haut´ geworden? Oder bleibt ein gewisses Ausmaß davon zumindest hin & wieder "sperrig", liegt es quer, sodass ein Impuls besteht, es bei aufgetanen Möglichkeiten verändern zu wollen?
Die schlimmste Art von Doppelmoral ist die, die unmerklich geworden ist und vor aller Augen und Ohren bräsig geleugnet wird.
Mit dem Goldenen Bären ist am Samstagabend das norwegischen Liebesdrama "Dreams" von Dag Johan Haugerud geehrt worden. Doch auch in diesem Jahr blieb die Politik nicht außen vor - stellenweise fielen deutliche Worte.
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