Berlinale-Wettbewerb | "If I Had Legs I'd Kick You" - Am Rande des Nervenzusammenbruchs

Mo 17.02.25 | 20:04 Uhr | Von Fabian Wallmeier
If I Had Legs I’d Kick You © Logan White / © A24
"If I Had Legs I'd Kick You" von Mary Bronstein | Bild: Logan White / © A24

Mary Bronstein zeigt im Berlinale-Wettbewerb ihren zweiten Spielfilm. "If I Had Legs I'd Kick You" ist ein radikal parteiischer Film über eine überforderte Mutter und Therapeutin. Wie Rose Byrne sie spielt, ist ein Ereignis. Von Fabian Wallmeier

Es strömt aus der Decke, Wohnzimmer und Badezimmer stehen schon unter Wasser, da kracht es auf einmal mit Getöse auf den Boden: Schutt und Geröll liegen jetzt herum und in der Decke klafft ein Loch. Mary Bronsteins Wettbewerbsbeitrag "If I Had Legs I'd Kick You" geht von Anfang an voll auf die Zwölf. Rose Byrne spielt Linda, eine Therapeutin und Mutter, die immer weiter in einen Strudel der Überforderung hineingezogen wird.

Regie / Termine

Das Loch in der Decke ist nur eins ihrer Probleme. Mit allen möglichen Menschen liegt sie im Dauerclinch. Ihr Mann ist unterwegs und gibt nur am Telefon wenig hilfreiche Hinweise. Eine ihrer Patientinnen ist in einer tiefen Krise, die sie zunächst nicht erkennt. Ihr eigener Therapeut ein paar Zimmer weiter versteht sie nicht (findet sie nicht ganz zu Unrecht). Und vor allem: Ihre Tochter ist krank, wird über eine Magensonde ernährt und muss in einer Woche unrealistisch viel an Gewicht zulegen, um nicht aus der Versorgung zu fliegen.

Das Loch ist eine nicht gerade subtile, aber wirkungsvolle Metapher. Denn auch in Lindas Leben klafft ein Loch, in dem sie zu versinken droht. Die Kamera blickt immer wieder mit Lindas Augen in das Loch in der Decke und hinter dem Schwarz tun sich irgendwann Traumbilder auf: Dinge, die Linda verdrängt hat.

Ganz nah an Rose Byrne

"If I Had Legs I'd Kick You" ist ein radikal parteiischer Film, der sich ganz auf Linda fokussiert. Schon in der Eröffnungsszene, einem Gespräch mit der Tochter und deren Ärztin, ist allein Linda zu sehen. Ganz nah geht die Kamera immer wieder auf Lindas Augen, erforscht ihre um Fassung bemühte, aber eine Fassade nur noch andeutende Mimik. Als Zuschauer:innen hören wir die Tochter und die Ärztin nur - ganz aus Lindas Warte.

Die Tochter bleibt auch im weiteren Verlauf des Films nahezu unsichtbar. Sie ist immer wieder zu hören, in allen emotionalen Aggregatszuständen von alltäglich-entspannt bis panisch-die-Aufmerksamkeit-der-Mutter-einfordernd. Aber wir sehen nur ab und zu ihre Hand, dann auch ihren Bauch mit dem Schlauch der Magensonde, aber nicht ihr Gesicht.

Wenn ein Film dermaßen auf die Hauptfigur setzt, braucht er eine außergewöhnliche Schauspielerin. Die hat Mary Bronstein fraglos gefunden: Rose Byrne ist in diesem Film ein gewaltiges Ereignis. Es muss aber auch ein Fest sein, diese Rolle zu spielen: hochnervös, immer am Rand des Nervenzusammenbruch, aber auch, vor allem ihren Patient:innen gegenüber, um Contenance ringend, verletzlich, verzweifelt - und immer wieder anderen gegenüber arrogant, spöttisch, unverschämt. Rose Byrne spielt all das mit Bravour und es ist faszinierend, mitreißend und streckenweise sehr komisch, ihr dabei zuzusehen. Undenkbar, dass ihr Name nicht fällt, wenn die Jury über die Vergabe des Silbernen Bären für die beste Hauptrolle berät.

Unerwartete Nebenrollen: Conan O'Brien und ASAP Rocky

Interessant sind aber auch einige der Besetzungsentscheidungen: Lindas Therapeuten spielt der Comedian, Talkmaster und Podcaster Conan O'Brien. Der diesjährige Moderator der Oscar-Verleihung hat zwar hier und da Versionen seiner selbst gespielt - aber eine Rolle wie diese, die nicht primär als Gag angelegt ist, nicht. Den überforderten, seltsam unbeteiligten Therapeuten spielt er durchaus raffiniert.

Auch der Rapper ASAP Rocky, der in den USA aktuell wegen schwerer Körperverletzung vor Gericht steht, macht seine Sache gut. Er spielt Lindas von ihrem Gebaren einigermaßen fassungslosen Hotelnachbarn mit unerwartet leichtem Witz.

Nicht ganz so radikal arschlochhaft

Mary Bronstein hat zuvor erst einen Film gemacht, und der liegt schon eine Weile zurück: In "Yeast" (2008) spielte sie selbst eine Hauptrolle: eine unsympathische, passiv-aggressive junge Frau, die sich nacheinander mit zwei nicht minder unsympathischen Freundinnen streitet. Der überaus lustige, aber auch bewusst hart an den Nerven zehrende Film endet damit, dass Bronsteins Charakter jemandem ein gepfeffertes "Asshole" hinterherschreit - und das fasst den Film trefflich zusammen.

Diese radikale Arschlochhaftigkeit führt Bronstein mit dem neuen Film nur bedingt fort. Zwar ist auch die Figur der Linda darauf ausgelegt, zu nerven. Byrne arbeitet die zutiefst unsympathischen Seiten auch ohne Scheu heraus. Doch Bronstein ist hier klar darauf aus, dass man schlussendlich mit Linda mitfühlen soll.

Dagegen ist auch nichts einzuwenden, nur übertreibt sie es leider ein bisschen. Zwar eskaliert die Geschichte immer weiter, doch am Ende stehen zwei seltsame Wendungen, die hier nur angedeutet werden sollen: Zum einen taucht eine männliche Retterfigur auf und zum anderen wird Linda eine verkitschte General-Absolution erteilt. Das ist eine unnötige Verwässerung des Films. Unbedingt sehenswert ist er trotzdem.

Berlinale 2025: Stars, Glamour und Momente

Sendung: Radioeins, 17.02.205, 19 Uhr

Beitrag von Fabian Wallmeier

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