Ausstellung in Berlin - Wenn Leben und Kunst eins sind
Bruno Pélassy war Grenzgänger, Partymann und exzentrischer Künstler. Mehr als 20 Jahre nach seinem Tod widmet das Haus am Waldsee dem französischen Multitalent die erste Ausstellung in Deutschland: "The Order of the Starfish". Von Marie Kaiser
Ein großer Seestern prangt wie ein Orden am nackten Oberkörper des Künstlers. Bruno Pélassy beugt sich herunter, um ihn zu betrachten und berührt mit den Fingerspitzen vorsichtig die Arme des Meerestieres.
Auf diesem Schnappschuss am Strand von Coco Beach in Nizza, ein Treffpunkt der Schwulenszene, kommt Pélassy gerade vom Schnorcheln aus dem Mittelmeer. Der Künstler war fasziniert von der Unterwasserwelt und den Wesen, die ihm dort begegneten. Wie dem Seestern, der sich als Zwitter keinem Geschlecht zuordnen lässt.
Die Tänzerinnen des Meeres
Den Auftakt der ersten Ausstellung von Bruno Pélassy in Deutschland bildet dann auch ein kurzer französischer Dokumentarfilm mit dem Titel "Les danseuses de la mer", die Tänzerinnen des Meeres, in dem wir sehen wie anmutig sich die Unterwasserwesen wie der Seestern bewegenden und wie exzentrisch viele von ihnen wirken.
"Bruno Pélassy war fasziniert von der Unterwasserwelt und ging viel tauchen", sagt Anna Gritz, Kuratorin der Ausstellung und Direktorin des Hauses am Waldsee in Zehlendorf. "Unter Wasser war für ihn ein Ort, an dem er sich besser aufgehoben fühlte. Ich muss wirklich immer an diesen Blick denken, wenn man sich selbst unter Wasser liegt und dann an die Oberfläche zurück schaut, wo alles so verschwommen ist und gewisse Regeln vielleicht außer Kraft treten."
Geschlechtliche Konventionen auflösen
Dieser Blick, der Grenzen überschreitet, ist für Pélassys Werk ganz entscheidend. Immer wieder weicht der Künstler binäre Unterscheidungen wie gut und böse, männlich und weiblich oder Mensch und Tier auf. "Er hat sich schon sehr früh mit der Auflösung von geschlechtlichen Konventionen und von Begierden beschäftigt", so Anna Gritz. "Das war natürlich damals ein totales Nischenthema, das erst jetzt ins Zentrum der Gesellschaft gerückt ist."
Mit nur 36 Jahren starb der französische Künstler im Jahr 2002 an den Folgen einer AIDS-Erkrankung. "Pélassy hat sich bereits Mitte der 80er Jahre, also mit 21 Jahren, mit HIV infiziert.", erklärt Anna Gritz. "Das war natürlich damals auch noch eine ganz andere Diagnose. Das kam eines Todesurteil gleich. Und es war sicherlich etwas, das sein gesamtes Leben beeinflusst hat. Er war jemand, der viel ausgegangen ist, der vor nichts Angst hatte." Bruno Pélassy besuchte nie eine Kunstakademie. Er war ursprünglich Textil-und Schmuckdesigner, begann dann aber zu malen, zu zeichnen, zu performen und Skulpturen, Filme und Werke an der Grenze von Schmuckstück und Kunst zu schaffen.
Wunderliche Tierchen in Schoßhündchengröße
In einer Art Aquarium schwebt ein filigranes Wesen, das an eine Qualle erinnert. Der Künstler hat es aus schwarzer Seide, Spitze und Perlen genäht. "Créatures", also Kreaturen, nannte Pélassy diese Wesen, die wie Haustiere in seiner Wohnung mit ihm zusammen lebten. Neben den eleganten Kreaturen wuselten in einer Nische im Haus am Waldsee auch die "Béstioles". Kleine wunderliche Tierchen in Schoßhündchengröße, die mit kleinen eingebauten Motoren ausgestattet sind und sich bewegen. Einige sind mit Strass besetzt, andere mit Glitzer, Fellen oder Perücken.
"Pélassy war ein Mann, der wirklich mit seiner Kunst lebte, ein absoluter Grenzgänger. Ein Partymann, der in seiner Wohnung wilde Feste gefeiert hat. Alles war mit Stoffen behängt. Da wurden dann ganz besondere Festspeisen in allen quietschigen Farben des Spektrums serviert. Die waren immer zu süß oder zu salzig oder zu bitter", erzählt Anna Gritz. "Dieses Exzentrische spiegelt sich auch in den "Bestioles" wider, die wie kleine Drag Queens oder kleine Monster sein Haus bevölkerten.
Ein Labyrinth aus Stoffen
Im unteren Stockwerk des Hauses am Waldsee sind die Wände und auch der Boden komplett mit hellen Stoffen verkleidet wie in einer sorgsam ausgepolsterten Schmuckschatulle. Von der Decke hängen rote Batikstoffe und bilden ein geheimnisvolles Labyrinth. Die Ausstellungsarchitektur hat der japanische Künstler Soshiro Matsubara gestaltet, einer von vielen Künstlern, die in dieser Ausstellung in einen Dialog mit Bruno Pélassy treten.
Der Kuratorin Anna Gritz war es ganz wichtig, Bruno Pélassy nicht in einer Einzelausstellung als abgeschlossene Erscheinung zu zeigen, wie sie sagt: "Das Werk ist auch wirklich zum Teil nur Zeugnis von einem Potenzial für mehr. Aber mit 36 Jahren ist man natürlich noch in seinem Frühwerk und deswegen wollte ich das ergänzen durch Künstler, die Pélassy faszinierend fand, mit denen er gearbeitet hat, aber auch Künstlerinnen und Künstler, die ihn vielleicht gar nicht kannten, aber ähnlich arbeiten in ihrer Formensprache oder ihren Themen."
Körper als etwas ganz Poröses
Oft treffen Dramatik und Witz aufeinander in diesem ungewöhnlichen Frühwerk von Bruno Pélassy, das immer wieder auch aus dem Surrealismus schöpft. Ein Phallus aus Perlen, eine kleine Skulptur die an aufgespiesste Hoden auf einer Gabel erinnert. Oder drei Röhrchen mit Blut, die er wie Reliquien in goldenen Miniatur-Holzaltaren inszeniert. "Once I had a dream and I was full of joy" ("Einmal hatte ich einen Traum und war voller Freude") steht auf ihnen.
"Sie spielen an auf das Thema der Krankheit, auf Ansteckung und Tod und das Verständnis des Körpers als etwas ganz Poröses, als etwas Fragiles, was infiziert sein kann", sagt Anna Gritz. "Pélassy feiert in seinen Arbeiten das Leben, aber sie tragen immer dieses sich Zersetzende, Verwesende in sich." Die Ausstellung in der Argentinischen Allee in Zehlendorf läuft bis zum 14. Januar.
Sendung: rbb24 Inforadio, 19.10.2023, 16 Uhr