Ausstellung im Museum für Fotografie - Viel mehr als Fashionfotos
In Venedig war die Foto-Ausstellung "Chronorama" ein großer Publikumserfolg. Nun sind die Bilder von weltberühmten Fotografen wie Helmut Newton, Diane Arbus oder Irving Penn aus "Vogue" oder "Vanity Fair" auch in Berlin zu sehen. Von Marie Kaiser
Gleich das erste Foto der Ausstellung ist ein Volltreffer. Auf dem schwarz-weiß Bild ist ein Mensch mit kugelrunden Brillengläsern, in Hosen, Mantel, Zylinder und Regenschirm zu sehen. Ist es ein Mann oder eine Frau? Wer sich das fragt, findet die Auflösung auf dem Schild an der Wand.
Zu sehen ist die US-amerikanische Ärztin und Frauenrechtlerin Mary Edwards Walker, die sich hier im Jahr 1911 als erste Frau in der Öffentlichkeit mit Hosen zeigte. Eine Auftragsarbeit für die Modezeitschrift "Vogue", die am Ende nie veröffentlicht wurde. Die Zeit war damals wohl noch nicht reif für solche Bilder in einer Modezeitschrift. Umso schöner, dass dieses Bild nun die Ausstellung "Chronorama" eröffnet, die einen tiefen Einblick in das hochkarätige Foto-Archiv des Condé-Nast-Verlags eröffnet.
Die Vogue wird zur Welt-Marke
Angelegt ist "Chronorama", wie der Titel schon vermuten lässt, ganz streng chronologisch. Die Geschichte beginnt 1909. Dem Jahr, in dem der US-amerikanische Diplomatensohn und Journalist Condé Montrose Nast die damals nicht sehr bekannte Zeitschrift "Vogue" kauft. In Vitrinen sind frühe Magazine aus den 1910er Jahren ausgestellt. Die Cover zieren aufwendige farbige Modezeichnungen, die in den 1920er und 1930er Jahren immer mehr von Fotos verdrängt werden.
Condé Montrose Nast engagiert die besten Fotografen der Zeit wie Edward Steichen, George Hoyningen-Huene oder Irving Penn, die eine unverwechselbare Bildsprache erschaffen. Später prägten auch Fotografen wie Helmut Newton, Robert Frank und Diane Arbus die Modezeitschrift. So entsteht eine weltweite Marke und aus dem Verlagshaus Condé Nast ein Imperium, zu dem später auch Magazine wie "Vanity Fair" und "Glamour" gehören.
Wertvolle Vintage-Prints
2021 hat der französische Großunternehmer und Kunstsammler François Pinault die wertvollsten Fotos des Condé-Nast-Archivs gekauft und eine Auswahl von 400 Fotos im vergangenen Jahr in der Ausstellung "Chronorama" im Palazzo Grassi in Venedig präsentiert. Darunter viele Vintage Prints, also Originalabzüge, die unmittelbar nach der Entstehung von Negativen gemacht wurden und historischen Wert haben.
Im Museum für Fotografie sind jetzt 270 dieser Bilder zu sehen, die Matthieu Humery, fotografischer Kurator der Pinault Collection und Matthias Harder, Direktor der Helmut Newton Stiftung, gemeinsam ausgesucht haben. "Wir haben den Fokus noch ein bisschen mehr auf Berlin und Deutschland gelegt und auch auf die Verbindung von Helmut Newton zu den Kollegen und Kolleginnen", sagt Matthias Harder.
Marlene Dietrich, Stalin und Mick Jagger
Die Ausstellung ist eine Zeitreise durch sieben Jahrzehnte. Die Fotos zeigen, was die Leserinnen und Leser damals spannend fanden und das war vor allem das Leben der Eliten - der Schönen, der Mächtigen und der Erfolgreichen. Zu sehen sind viele meisterhafte Porträts. Der schwarze Leichtathlet Jesse Owens, der bei den Olympischen spielen in Berlin 1936 vier Mal Gold gewann, der blutjunge Mick Jagger oder Action Painter Jackson Pollock, ganz vertieft in die Arbeit an einem seiner Drip Paintings.
Beim Spaziergang durch die Jahrzehnte kommt es zu Begegnungen mit dem sowjetischen Diktator Josef Stalin, den Beatles und dem deutschen Aktionskünstler Joseph Beuys. Und immer wieder taucht die berühmte Berlinerin Marlene Dietrich auf.
Eine photohistorische Reise
Wer bei "Vogue" und "Vanity Fair" vor allem an Mode denkt, wird von der Vielfalt der Fotografien überrascht. Da hängt ein Stillleben aus Zuckerwürfeln und Mottenkugeln neben einem Architekturfoto des gerade erbauten World Trade Center und einem Reportagefoto aus dem Zweiten Weltkrieg.
Die bekannte Fotografin Lee Miller, die in der Ausstellung auch als Fotomodell auftaucht, hat die Befreiung Frankreichs festgehalten. Eine junge Französin mit kahl geschorenem Kopf, die wegen Fraternisierung mit dem deutschem Feind verhört wird. Auch solche Fotos wurden in den Magazinen veröffentlicht - teilweise direkt neben Werbeanzeigen.
"Ich finde es ganz großartig, dass wir alles abbilden können, was in den Zeitschriften damals publiziert wurde", erklärt Matthias Harder. "Das ist eine zeitgeschichtliche und eine photohistorische Reise und auch ein bisschen Mediengeschichte. Es ist großartig zu sehen, was alles parallel geschieht in der Welt und worüber berichtet wird. Was mich hier interessiert, ist auch, welche Geschichte wird uns hier von Dekade zu Dekade erzählt? Welche Veränderungen gibt es ästhetisch, in der Mode und im Zeitgeist."
Immer wieder ist es beeindruckend, wie eng die Fotografie, die anfangs noch gar nicht als eigene Kunstform anerkannt wurde, mit den anderen Künsten zusammengearbeitet hat. Sinnbildlich wird das auf einem schwarz-weiß Foto des britischen Fotografen und Bühnenbildners Cecil Beaton aus dem Jahr 1937. Darauf ist der amerikanische Dichter Charles Henri Ford in Tänzerpose zu sehen in einem schwarzen Ganzkörperanzug, der über und über mit weißen Händen bedeckt ist.
Das Kostüm wurde vom Surrealisten Salvador Dalí entworfen. Anschließend hat Cecile Beaton das Foto teilweise mit weißer Farbe übermalt. Ein ganz besonderes Kunstwerk, das wie die meisten Fotos in dieser Ausstellung wirklich das Versprechen einlöst, dass hier fotografische "Schätze" des 20. Jahrhunderts präsentiert werden. "Chronorama" ist ein hochkarätiger Foto-Spaziergang durch die Jahrzehnte.
Sendung: Radioeins, 15.02.2024, 13:40 Uhr