Raubkunst im Humboldt Forum - Wie nach den Boxeraufständen chinesische Beutestücke nach Berlin kamen
Im Hohenzollernschloss, wo einst Kaiser Wilhelm II. residierte, wurden um 1900 hunderte Beutestücke aus dem fernen Reich der Mandarine abgeladen. Jetzt wird an gleicher Stelle für ihre Rückgabe gearbeitet. Von Holger Trzeczak
Die schwere Eisentür des Depots öffnet sich. Im Dunkel der Halle zeichnen sich lange Regalreihen ab. Als sich das Neonlicht zurecht geplinkert hat, zeigen sich hinter dem Vitrinenglas eine Unzahl an Porzellanfiguren, lachenden Buddhas, Bronzen oder Bildrollen. Dies sind die asiatischen Sammlungen des Ethnologischen Museums in Berlin-Dahlem. Aus ihnen schöpfen sich wechselnde Ausstellungen, die im Humboldt Forum, dem neu erbauten Stadtschloss, gezeigt werden.
Darunter sind auch zahlreiche Objekte aus China, die nicht rechtmäßig nach Europa kamen. Im Blickpunkt der öffentlichen Debatte um die Rückgabe kolonialer Kunstwerke stand bislang vor allem Afrika. Doch inzwischen ist das Thema auch bei chinesischer Beutekunst in deutschen Museen angekommen.
Beute als Teil einer Siegerkultur
"Ein Großteil der Stücke ist damals zur Jahrhundertwende 1900 nach Berlin gelangt." Christine Howald, stellvertretende Direktorin des Zentralarchivs, erzählt von deutschen Soldaten und Offizieren, die den sogenannten Boxerkrieg in China niederschlagen halfen. Danach hätten sie im Siegesrausch chinesische Paläste geplündert.
Howald hat bereits konkrete Artefakte identifiziert, bei denen sie sicher ist, woher sie stammen. Die Provenienz-Forscherin verfolgt seit 2019 die Spuren geraubter Kunstwerke aus China. Mit weißen Handschuhen streicht sie das Schutzpergament von einem gemalten Bildnis. Zum Vorschein kommt ein in fernöstlichem Stil gehaltenes Porträt. "Ein Offizier der Armee des Kaisers von China", konstatiert sie. "Von solchen Porträts gibt es eine ganze Serie, die damals zum Pekinger Winterpalais gehörte. Viele davon haben wir hier."
Der Boxerkrieg - und was das Deutsche Reich damit zu tun hatte?
Ein Blick zurück ihn die Kolonialgeschichte: Briten und Franzosen hatten sich bereits seit den 1850er-Jahren in zwei sogenannten "Opiumkriegen" ihre Geltung in China erstritten. In den 1890ern hatte dann auch Deutschland seine Flotte so weit nachgerüstet, dass es in Fernost mitmischen wollte. Doch dagegen richtete sich unter den Chinesen immer mehr Widerstand.
Als "Boxer" bezeichneten die Europäer Kämpfer in Nordchina, die 1898 eine Art Geheimbund gebildet hatten gegen den zunehmenden westlichen Einfluss in China. Diese Paramilitärs nannten sich selbst dagegen "Bewegung der Verbände für Gerechtigkeit und Harmonie". Sie griffen zunächst die Gebäude christlicher Missionen und deren chinesische Anhänger an, bald aber auch ausländische Kaufleute und Diplomaten. Ausländische Gesandtschaften wurden in Peking belagert. Eine Allianz aus acht Ländern entsandte im Jahr 1900 Truppen nach China, darunter das Deutsche Reich mit 20.000 Mann. Die Order des deutschen Kaisers lautete: "Gefangene werden nicht gemacht." Also wurden die Widerständler brutal verfolgt, die meisten mit dem Schwert geköpft. In ganz Peking nahmen die westlichen Militärs im Triumph mit, was sie kriegen konnten – darunter auch viele Kunstobjekte.
"Mit Lastwagen vorgefahren"
Christine Howald lässt ihren Blick über die Vitrinen schweifen. "Die Plünderungen hielten ein ganzes Jahr an. Beutemachen war damals weltweit üblich. Manche Offiziere sind immer wieder mit Lastwagen vorgefahren und haben das Zeug zu regelrechten Sammel- und Verkaufspunkten in Peking gefahren." Ganze Schiffsladungen mit Beutekunst gingen laut Augenzeugenberichten nach Europa.
Aber was kann sie aus diesem Gewirr an China-Kunst herauslesen? "Wir gehen durch Kataloge, verfolgen weltweit Auktionen und haben deshalb einen gewissen Blick für Serien oder bestimmte Kennungen, und so können wir vereinzelt identifizieren, welchen Weg ein Stück von China aus nach Berlin genommen hat." Bei vielen Exponaten gibt es zunächst nur einen Verdacht. Exakte Quellenangaben fehlen meist auf den Objekten Sie müssen anhand von Verlustlisten identifiziert werden – sofern es welche gibt. Manches sind Schenkungen von Privatsammlern. Manches wurde offiziell gekauft. Doch nicht immer ist die Herkunft genau zurückzuverfolgen: War der Verkäufer vielleicht auch nur ein Hehler? Viele Fragen sind noch offen.
Das Stadtschloss als Display der eigenen kolonialen Vergangenheit
Im dritten Stock des Humboldt Forums befindet sich der "Wang Shu-Saal", gestaltet im Stile des Pagodenbaus. Hier wird ein Ausschnitt chinesischer Hofkunst gezeigt, die im Laufe der Jahrhunderte zwischen China und Deutschland ausgetauscht wurde. Schenkungen des chinesischen Kaiserhofes, aber auch Leihgaben von Privatsammlern.
Neuerdings ist dort auch Raubkunst ausgestellt. So finden sich zum Beispiel zwei Offizier-Porträts aus der über 40teiligen Serie wieder, deren Großteil geschützt im Dahlemer Depot liegt. Aber auch ein Messing-Teekessel. Dieser ist Teil einer Geschenkelieferung, die 1902 von der damaligen chinesischen Kaiserin Cixi als Zeichen der Sühne für den Boxerkrieg nach Berlin gesandt wurde. Nach dessen Niederschlagung im Jahr 1901 hatten die Europäer als Sieger den Chinesen einen Reparationsvertrag übergeholfen. Eine "Sühnemission" des chinesischen Prinzen nach Berlin samt Audienz bei Wilhelm II. folgte. Zeiten der kolonialen Demütigung, von der sich das Riesenreich über ein halbes Jahrhundert lang nicht erholte.
Kollaboratives Museum soll Fortschritte bei der Herkunftssuche zeigen
Die Chinesische Seite hatte bis vor 20 Jahre kaum Interesse an einer Aufarbeitung dieser Zeit. Doch mehr und mehr erkennt sie, welche kulturhistorischen Schätze in aller Welt verstreut sind. Wo es geht, kaufen chinesische Agenten weltweit bei Auktionen Stücke zurück. Diese werden übergangsweise im eigens dafür errichteten Poly-Museum Peking gezeigt. Inzwischen haben jedoch europaweit Museen China signalisiert, dass sie ihre Bestände nach Raubkunst absuchen wollen. Bei einer Tagung Ende Februar in München traf eine chinesische Delegation auf die versammelte Fachkompetenz deutscher Museen in Sachen Provenienzforschung. Acht deutsche Museen erörterten dort erstmals, wie sie Raubgut besser erkennen können, und wie sie damit umgehen wollen.
Mit Erstaunen hätten die weitgereisten Gäste bei einem Besuch in Berlin registriert, wie im Humboldt Forum geraubte Stücke in der China-Ausstellung gekennzeichnet und erklärt werden, erinnert sich Christine Howald: "Sie hatten auch die Direktive, Plünderung nicht direkt anzusprechen, und sie haben gemerkt, dass diese Zurückhaltung nicht notwendig ist, weil wir sehr offen damit umgehen. Dass wir es wirklich ernst meinen damit, und das war ein wichtiges Ergebnis für beide Seiten."
Das sogenannte Kollaborative Museum im Humboldtforum soll den traditionellen Museumszweck erweitern. Auch die beraubten Länder werden eingeladen, an der Herkunftsforschung mitzuwirken. Wann es soweit sein wird, dass man offiziell Kunst zurückgeben kann, weiß noch niemand zu sagen. Aber – so heißt es – ein Anfang sei gemacht.
Sendung: rbb24 Abendschau, 21.03.2024, 19:30 Uhr
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Beitrags wurde Christine Howald als Kuratorin der Sammlungen des Ethnologischen Museums bezeichnet. Dies ist nicht korrekt. Kuratorin der Sammlungen ist Emma Lin. Frau Howald ist stellvertretende Direktorin des Zentralarchivs der Staatlichen Museen. Wir bitten um Entschuldigung für diesen Fehler.