Konzerte auf dem Tempelhofer Feld - "Die Ärzte" lösen ein Mini-Festival aus

Sa 24.08.24 | 12:52 Uhr | Von Anna Severinenko
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Menschen sitzen auf dem Tempelhofer Feld und betrachten den Sonnenuntergang. (Quelle: rbb/Anna S.)
Video: rbb24 Abendschau | 23.08.2024 | Martin Schmitz | Bild: rbb/Anna S.

Die Berliner Band "Die Ärzte" gibt am Wochenende drei Konzerte auf dem Tempelhofer Feld. Das bedeutet für Autorin Anna Severinenko: Die Band sehen und hören, ohne zu bezahlen. Dafür wird sie zum Zaungast. Aber ist das Konzertgefühl dasselbe?

Festival-Stimmung auf dem Tempelhofer Feld: Menschen breiten Picknick-Decken aus und stoßen mit Drinks an, überall sind Klappstühle aufgestellt, die Wände von Zelten flattern im Wind. Einige stehen verloren auf der Wiese und schreien ins Handy "Ich stehe hier, aber ich seh' euch nicht." Die Vorband ist gerade von der Bühne runter und alle warten auf den Main Act: "Die Ärzte". Es sind Hunderte, die sich auf den Wiesen ausbreiten, um das Konzert zu hören – keiner von ihnen hat dafür gezahlt.

Ein rein symbolischer Zaun

Ich sehe Farin Urlaub auf einem großen Bildschirm, die Musik ist so laut, dass jemand neben mir sich Ohrstöpsel reinknetet. Auch über den Sound kann man nicht meckern. Ein paar Hundert Meter entfernt von der Bühne, aber außerhalb der entscheidenden Schranke: dem Bau-Zaun, mit weißer Folie blickdicht abgehängt. Gefühlt 2,50 Meter hoch, zeigt der Zaun an, wer Konzertgast ist und wer nicht, wer ein Ticket gekauft hat oder sich die 82 Euro gespart hat und trotzdem mithört.

Der Zaun wirkt auf mich rein symbolisch, sobald die Band die Bühne betritt und folgende Zeilen des Songs "Nicht allein" singt: "Wartest du schon lange auf den großen Augenblick? Fühlst du dich betrogen, willst du dein Geld zurück?" Genau diese Fragen würde ich gerne den Menschen auf der anderen Seite des Zauns stellen. Schließlich stehe auch ich auf dieser Seite und gehöre zu denen, die kein Geld gezahlt haben, aber das Konzert in voller Lautstärke geliefert bekommen.

Warum in der Menge schwitzen, wenn man auf der Wiese mit Wind hören kann

Vor dem Bauzaun treffe ich dann doch Menschen mit Ticket: "Heute gehen wir noch rein. Fürs nächste Mal haben wir uns aber überlegt, das Geld nicht auszugeben, sondern uns einfach auf die Wiese mit Picknickdecke hinzusetzen. Weil es hier geiler ist als da drinnen zwischen 70.000 anderen zu stehen und zu schwitzen", sagt Marie-Therese. Sie sitzt mit vier Freunden im Gras in der Sonne und wäre auch mit diesem Konzertplatz zufrieden. "Hören tun wir auch hier alles. Wir haben sogar Ohrstöpsel dabei, da es nah an der Bühne eh zu laut ist."

Frau mit KonzertticketsEs gibt sie natürlich, Menschen mit Tickets für "Die Ärzte" auf dem Tempelhofer Feld.

Traum für Zaungäste, Albtraum für Anwohnende

Das Tempelhofer Feld ist eine umstrittene Konzertlocation: Es ist einer der wenigen Orte in Berlin, der vielen Gästen Platz bietet - bei den Ärzten werden um die 60.000 Menschen erwartet. So viel kriegt sonst nur das Olympiastadion unter, aber es ist oft durch Sportveranstaltungen besetzt. Und wenn jemand in der benachbarten Waldbühne spielt, kann das Stadion aus logistischen und kakophonischen Gründen nicht auch noch beschallt werden.

Auch die Anwohner:innen am Tempelhofer Feld, sowohl zur Neuköllner Seite als auch Richtung Schöneberg, kriegen die Konzerte mit, aber weitaus weniger freiwillig als die picknickenden Fans hier. Beim letzten musikalischen Besuch des Felds von Farin Urlaub, Bela B und Rod González gab es zahlreiche Beschwerden der Anwohner:innen. Die Fans ohne Tickets freuen sich jedoch sichtlich zahlreich über die ungefilterte Ausbreitung der Akustik auf dem Feld.

München hat den Olympiaberg, wir das Feld

Marie-Therese, die Ticket-Bereuerin, kennt solche Szenarien auch von ihrem Wohnort in München: "Alle, die sich kein Ticket für die großen Konzerte im Olympiastadion in München leisten können, gehen auf den Olympiaberg. Zwar ist die Akustik da nicht perfekt, aber bevor ich 180 Euro für ein Ticket ausgebe, mach ich lieber das." So wie auf dem Olympiaberg wurden auch entlang des Fanmarsches auf dem Feld überall Toiletten und Mülleimer aufgestellt - eine weitere Einladung in den "Kostenlos-Bereich" des Ärzte-Konzertes.

Nach diesem Gespräch frage ich mich, wie die Musiker:innen das wohl finden - ein Konzert for free, denn Sound macht keinen Halt an Absperrungen. Entstehen ihnen durch das Tempelhofer Feld als Veranstaltungsort Verluste? Die Frage ist jedoch auch, ob sie wirklich dadurch Einbußen machen oder die Leute, die kostenlos mithören wollen, sowieso kein Ticket kaufen würden.

Aber wer kauft dann überhaupt noch Tickets? "Karte für nur 50 Euro abzugeben", schreit in diesem Moment ein Mann neben mir auf dem ehemaligen Rollfeld. Ich steuere auf eine Gruppe junger Frauen zu, die wollten doch bestimmt nicht so viel ausgeben in dem Alter, denke ich mir. Lina Scholz widerspricht: Sie hat 83,50 Euro bezahlt und findet den Preis auch gerechtfertigt. "Die Ärzte haben ja auch ne große Fanbase und sind ja schon eine Weile dabei", sagt sie.

Menschen auf dem Tempelhofer Feld. (Quelle: rbb/Anna S.)Ein warmer Sommerabend auf dem Tempelhofer Feld, unterlegt mit Musik von den Ärzten.

Wer pogen will, muss zahlen

So sehen es wohl auch die Tausenden, die ich auf den Konzertbildschirmen sehen kann. Eine eng gedrängte Masse, keine Lücken darin zu sehen. Ich bin in diesem Moment sehr froh, ohne Körperkontakt zu zigtausenden Menschen zu sein bei 30 Grad und in der prallen Sonne. Aber das ist wohl genau das Gegenteil von dem, was viele Fans wollen.

"Die Pogo-Menge ist hinter dem Zaun und dafür muss man zahlen, das Feeling direkt vor der Bühne ist nochmal was anderes", sagt ein Besucher, der sich mit Decke, Klappstühlen, Kühlbox und mehreren Freunden kurz hinter dem Zaun außerhalb des Konzertbereichs positioniert hat. "Ärzte auf dem Tempelhofer Feld, da kann man sich selbst entscheiden, ob man sich ein Ticket kauft oder nicht, das ist das Geile. Ich habe mich dafür entschieden, kein Ticket zu kaufen", sagt der Mann.

Die Lyrics der Ärzte verstehe ich in dem Moment als Kommentar auf die getrennten Fan-Zonen: "Du bist nicht allein, du bist nicht allein. Wir sind Millionen und wir werden noch mehr sein."

Sendung: rbb24 Inforadio, 24.08.2023, 10:25 Uhr

Beitrag von Anna Severinenko

52 Kommentare

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  1. 52.

    Aha, es gibt in Berlin für Samstage also nur das Tempelhofer Feld und die Hasenheide zur Erholung. Sie tun mir da mal richtig Leid, dass sie so wenig von Berlin kennen. Seinen Horizont zu erweitern und andere schöne Ecken in Berlin und Brandenburg zu erkunden ist doch gerade das Salz in der Suppe von Berlin.

  2. 51.

    Es gibt verschiedene Öffnungszeiten für das Feld . Momentan kann man bis 23 Uhr dort verweilen . Im Herbst weniger lang und im Winter 21 Uhr.
    Im übrigen finde ich, dass hier nur Egoisten ihre Meinung kundtun, Rücksichtnahme ist in unserer Gesellschaft ein Fremdwort geworden !!
    Mal sehen , ob diese Veranstaltung im nächsten Jahr noch stattfindet!!!
    Und wieso diese Typen sich Ärzte nennen dürfen , ist völlig unklar !!

  3. 50.

    @Deborah
    Wohnungen werden nicht mehr über die KWV zugeteilt. Es steht Ihnen frei sich woanders in unserem Land niederzulassen, wenn Ihnen ein kulturelles Stadtleben nicht zusagt.
    Übrigens, beim Fahnenapell stand ich in Jeans, T-Shirt und Adidas-Turnschuhen da. ;)

  4. 49.

    Ich wohne in dritter Reihe im Schillerkiez und habe fast nix gehört. Ich fand das eher Schade. Hätte sogar ganz gerne was mitbekommen. Aber kann verstehen, wenn das nicht jeder/m so geht. Aber ehrlich gesagt finde ich, das bis 22 uhr eine etwas lautere Musik auch mal ok sein sollte. Da dürfen ja auch Leute mal ne Party feiern im Haus o.ä. Solange es nicht jedes Wochenende ist...

  5. 48.

    Deborah:
    "Das auch unbeeiligte gezwungen werden sowas zu hören erinnert mich an DDR Zeiten mit Flaggenzwang, Paraden usw"

    Wer so etwas schreibt, hat die DDR nie erlebt!

  6. 47.

    Es tut mit unendlich Leid, dass Sie die Musik so empfinden, wie die Anweisungen zu Paraden, Flaggenappellen und Wahlen zu erscheinen. Die Demokratie muss auf Sie wirklich verstörend wirken. Mein Mitgefühl.

  7. 46.

    Bei dem Lärm braucht man keinen Volksempfänger für die Parolen.

  8. 45.

    2.Versuch
    Schade, daß ich nicht kann, aber zumindest habe ich einige Vinyls von den Ärzten! Die zeigen in ihren Texten klare Kante gegen rechts!

  9. 43.

    1 Stunde Anstehen füs Bier, 30 Minuten bei den Damentoiletten, völlig überfordertes Servicepersonal, nicht genug Wasserstellen, völlig inakzeptabel... Nie wieder Tempelhofer Feld!!!

  10. 42.

    Tolles Konzert und gute Stimmung.
    Die miserable Versorgung mit Getränken war ein echter Hammer. Nach einer halben Stunde in praller Sonne anstehen gab es von 6 angeboten Getränken 2 schon nicht mehr (Bier war jederzeit zu bekommen). Und für das kostenlose Wasser (auch mit langer Wartezeit) musste man sich erstmal einen Becher kaufen, durfte man nicht mit aufs Gelände nehmen. Bei über 30Grad und ausverkaufter Veranstaltung war das grottenschlecht. Kein Wunder, dass einige Leute abklappten.

  11. 41.

    Das auch unbeeiligte gezwungen werden sowas zu hören erinnert mich an DDR Zeiten mit Flaggenzwang, Paraden usw

  12. 40.

    „ Am Samstag hab ich auf den Besuch von Hasenheide und Tempelhofer Feld, trotz tollem Wetters, verzichtet.“
    Es bleiben ihnen noch 103 Samstage im Jahr.

  13. 39.

    Hätten durchaus mehr Wasserstellen sein können, aber die Wartezeiten waren nicht so lang, wie die Längen der Schlangen hätten befürchten lassen können.

    Den Vorwurf der langen Wartezeit auf "die Band" kann ich gar nicht nachvollziehen. Dass drei Bands spielen würden -und zu den Ärzten auch noch Pantéon Rococo obendrauf zu bekommen hat mich sehr erfreut- wurde genauso kommuniziert wie der Beginn der Auftritte um 16:30, die Zeiten zwischen den Auftritten waren absolut akzeptabel.

  14. 38.

    Ja, Superidee, das sollten wir nächstes Mal alle machen…Aber dann waren das wohl die letzten Konzerte.

  15. 37.

    Ja, Superidee, dass sollten wir nächstes Mal alle machen…Aber dann waren das wohl die letzten Konzerte.

  16. 35.

    Haben wir es jetzt ?
    Hans konnte es sich auch nicht leisten,m und ist Jahre alt. Petra fand es zu teuer, flog lieber nach Mallorca. Gregor wollte nicht Geld für sowas ausgeben und sparte für sein zweites Auto.
    Lisa hat nicht so viel Geld, kennt die Band aber auch nicht und lebt im Altersheim. Björn H. lebt in Thüringen, hat genug Geld ist aber nicht gern gesehen dort.
    Und Her von Adel geht nur dahin, wo alles umsonst ist und wenn er Geld ausgibt, nur dann, wenn er davon profititiert !

  17. 34.

    Es war gestern ein richtig, richtig, richtig gutes Konzert!!! Ich bin auch bereit diesen Betrag auszugeben, da es für Kultur/Musik ist. Man hat gemerkt, es wurde bei der Organisation und Gestaltung mitgedacht… selbst der Flughafen wurde umbenannt ;) Es war gut organisiert was die Location betraf, selbst der Ausgang funktionierte. Nur die BVG schafft es nicht zum Konzertende mal 2/ 3 Verstärkerzüge auf der U6 einzusetzen. Das kritische Urteil im Artikel kann ich nicht nachvollziehen.

  18. 33.

    Die Ärzte, sind das Mediziner?

    Ich höre viel lieber echte Ärzte: klassische Musik gespielt vom Deutsche Ärzte und Apotheken Orchester!

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