Initiative "Lebenswerte Städte" - Luckenwalde kämpft für mehr Tempo 30 Zonen
Bislang können Kommunen nicht eigenständig Geschwindigkeiten begrenzen. Die Initiative "Lebenswerte Städte" will das ändern und mehr Tempo-30-Zonen in Ortschaften schaffen. Luckenwalde hat sich angeschlossen. Von Alexander Goligowski
Ekkehart Buß ist Autofahrer, Radfahrer und auch Fußgänger. Außerdem ist er Stadtplaner in Luckenwalde. In dieser Funktion arbeitet er gerade an der Fortschreibung des Verkehrsentwicklungsplans für die Kreisstadt von Teltow-Fläming. Darin sollen alle Verkehrsteilnehmer möglichst gleichberechtigt bedacht werden. Aktuell sieht Ekkehart Buß eine Stadt vor sich, die eine Autofahrerkommune ist. Daran etwas zu ändern, ist für ihn täglich harte Arbeit.
Fremdbestimmt in Sachen Verkehr
"Wir sind hier an der Rudolf-Breitscheid-Straße, einer der vielbefahrensten Straßen in Luckenwalde", erklärt der Stadtplaner. Er steht an einer etwa 100 Meter langen Pflasterstraße, die bis vor kurzem noch Einbahnstraße war. Autos fahren auch jetzt nur in eine Richtung, weil die anschließenden Straßen noch immer nur in eine Richtung befahrbar sind. Man müsste wenden, um Gegenverkehr zu erzeugen. Es gilt Tempo 50. Für Radfahrer wäre es der kürzeste Weg zwischen Zentrum und äußeren Stadtteilen. "Im Sinne des zügigen Radverkehrs wollten wir die damalige Einbahnstraße in Gegenrichtung für den Radverkehr öffnen", beschreibt Ekkehart Buß die Idee. "Dafür wollten wir die erlaubte Geschwindigkeit auf 30 km/h reduzieren. Denn nur bei Tempo 30 ist gegenläufiger Radverkehr erlaubt."
Eigentlich eine gute Idee, zumal Autos auf dem kurzen Stück Straße ohnehin nur mit größerem Aufwand auf 50 Kilometer pro Stunde beschleunigen könnten. Die Straßenverkehrsbehörde lehnte den Antrag der Stadt zum Unverständnis von Ekkehart Buß dennoch ab. "Begründet wurde die Ablehnung dadurch, dass die Straßenverkehrsbehörde die 'Leichtigkeit des Verkehrs' bedroht sah."
Leichtigkeit des Verkehrs? Gerade für Radfahrer sollte das 'Verkehren' an dieser Stelle doch leichter werden. Artikel eins des Straßenverkehrsgesetzes meint mit 'Leichtigkeit des Verkehrs' aber nur den motorisierten Individualverkehr.
Sicherheit ist der einzige Hebel
Per Gesetz muss sich im städtischen Verkehr also alles dem zügigen Autoverkehr unterordnen. Allerdings spielt auch der Punkt Sicherheit im Straßenverkehrsgesetz eine wesentliche Rolle. Dieser ist der einzige Hebel, den Kommunen haben, um Tempo 30-Zonen einrichten zu können.
So lässt sich vor Schulen, Kindergärten und in Wohngebieten eine Reduzierung der Fahrtgeschwindigkeit recht problemlos durchbringen. Wenn es aber um Lärmschutz, Umweltschutz, Unfallschutz oder schlicht um Aufenthaltsqualität geht, sind Stadtplanern wie Ekkehart Buß oft die Hände gebunden. Die Lösung in der Rudolf-Breitscheid-Straße in Luckenwalde hieß: Einbahnstraße aufheben, um Radfahrer fahren zu lassen. Nur ein Beispiel von vielen, wie kompliziert es ist, innerorts in den Straßenverkehr einzugreifen.
Initiative fordert mehr Selbstbestimmung für Städte
Aus diesem Grund hat sich Luckenwalde der Initiative "Lebenswerte Städte" angeschlossen. Mit großer Mehrheit und nur einer Gegenstimme beschlossen die Stadtverordneten im Mai diesen Schritt. Deutschlandweit gehören bereits fast 900 Kommunen der Initiative an. Auch 27 aus Brandenburg sind dabei, darunter Potsdam, Königs Wusterhausen, Templin und Falkensee. Zusammen mit den anderen Städten und Gemeinden will sich Luckenwaldes Bürgermeisterin Elisabeth Herzog-von der Heide (SPD) bei der Bundesregierung für mehr Eigenverantwortung bei der Ausweisung von Tempo-30-Zonen einsetzen.
"Wir nehmen für uns in Anspruch, die Entwicklungsziele unserer Stadt sehr viel vielschichtiger zu betrachten, als es uns das Straßenverkehrsgesetz derzeit erlaubt. Wir wollen dem Wohnen zum Recht verhelfen und der Aufenthaltsqualität zum Recht verhelfen. In unsere Planungen sollen die Belange von Autofahrern, Radfahrern und Fußgängern gleichberechtigt einfließen", schildert Bürgermeisterin Herzog-von der Heide die Beweggründe. "Wir meinen, dass wir als Stadt am besten wissen, was für unsere Stadt gut ist." Das könne dazu führen, so die Bürgermeisterin, "dass es sinnvoll ist, die Geschwindigkeit in weiteren Bereichen auf 30 km/h abzusenken."
Sie betont ausdrücklich, dass es nicht um ein generelles Tempo 30 in der Stadt geht, aber um mehr 30er-Zonen. Und das macht aus wissenschaftlicher Sicht durchaus Sinn. Denn im Vergleich zu Tempo 50 reduziert sich bei einer Geschwindigkeit von 30 km/h die Zahl der Unfälle deutlich und vor allem die Schwere der Unfälle nimmt ab. Auch auf die Lärmbelastung wirken sich geringere Geschwindigkeiten positiv aus. Das geht aus einer aktuellen Studie des Umweltbundesamtes hervor.
Tempo 30 hat deutliche Vorteile
Eckhart Heinrichs ist einer der Autoren der Studie und hat untersucht, wie sich Tempo 30 innerorts auswirkt. "Zusammenfassend kann man sagen, dass sich die Verkehrssicherheit deutlich verbessern und die Lärmbelastung deutlich sinken würde. Die Nachteile dagegen wären überschaubar, etwa, was die Reisezeitverluste als Autofahrender angeht."
Der Berliner Verkehrswissenschaftler sieht eine zu gefühlsbetonte Diskussion, wenn es darum geht, in Städten die Geschwindigkeit zu senken. "Das kennt man ja selbst, wenn ich mit dem Auto 30 km/h durch die Stadt fahre, habe ich das Gefühl, ich komme nicht vorwärts." Herausgefunden hat Eckhart Heinrichs im Rahmen der Studie allerdings: "In der Regel verliert man gegenüber Tempo 50 pro Kilometer etwa 20 bis 30 Sekunden. Wenn wir Tempo 30 gar als Regelgeschwindigkeit für die ganze Stadt anlegen, dann verliert jeder Autofahrer im Schnitt nur etwa zwei bis drei Minuten am Tag."
Denn schon jetzt könnten Autofahrer durch vielfältige Hindernisse an vielen Stellen gar nicht 50 km/h fahren. Allerdings müsse der Verkehrsfluss durch Tempo 30 laut Studie nicht zwangsläufig besser werden, weil sich Ampelschaltungen daran möglicherweise nicht anpassen lassen ließen. "Aber: Die Rahmenbedingungen für mehr fließenden Verkehr sind besser," ist sich der Eckhart Heinrichs sicher.
Dich seit Juni hat sich etwas im Verkehrsministerium getan: In der Überarbeitung des Straßenverkehrsgesetzes soll auch Kriterien wie Lärmschutz, Unfall- und Umweltschutz mehr Gewicht gegeben werden. Der Bundestag und der Bundesrat müssen dem noch zustimmen. Das Gesetz soll den Handlungsspielraum der Städte erweitern. Faktisch bleiben Luckenwalde und andere Städte am Ende jedoch abhängig von ortsfremden Entscheidungen der Straßenverkehrsbehörden.
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 10.08.2023, 19:30 Uhr