#Wiegehtesuns? | Erkrankte Brandenburgerin - "Ich habe eine so seltene Krankheit, dass ich nicht einmal eine Diagnose habe"
Jedes Jahr am letzten Tag im Februar ist "Tag der seltenen Erkrankungen". Auch für Beate K. aus Brandenburg ist das ein Thema. Sie hat eine bislang namenlose chronische Krankheit, die immer weiter fortschreitet. Ein Gesprächsprotokoll.
In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Leben gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Beate K. (57) lebt südlich von Berlin. Seit 14 Jahren kämpft sie mit einer bislang namenlosen seltenen Krankheit, durch die sie ständig erschöpft ist und die ihre Muskeln schwinden lässt. Seltene Krankheiten sind Erkrankungen, die nur wenige Menschen betreffen. Allein in Deutschland sind etwa vier Millionen Menschen von einer solchen Erkrankung - es gibt etwa 8.000 davon - betroffen.
Ich habe seit 14 Jahren eine so seltene Krankheit, dass ich bis heute nicht einmal eine Diagnose habe. Ich bin dahingehend immer noch verzweifelt. Aber ich habe die ganz große Hoffnung, doch noch die Kurve zu kriegen. Gefühlt fahre ich täglich auf 20-30 Prozent meiner eigentlichen Leistung und mein körperlicher Verfall, so wie ich ihn seit Jahren verspüre, schreitet weiter voran.
Ich war immer sehr sportlich. Irgendwann zog ich mir beim Joggen aus heiterem Himmel eine Tibiakopf-Fraktur zu, ohne dass ich gestürzt war. Da habe ich gemerkt, dass irgendetwas nicht stimmt. Es wurde auch keine Ursache gefunden. Ich habe dann versucht, mich weiter sportlich zu betätigen, habe weitere Probleme bekommen: Kribbeln in den Füßen, Beinschwäche - und ich habe mich insgesamt unterversorgt gefühlt. Das hatte nichts mit dem Gefühl, ausgepowert zu sein, zu tun. Da wurde mir klar, dass es sich um eine Erkrankung handeln muss.
Das alles fing 2010 an und wurde 2013 dramatisch. Ich wusste eigentlich immer, dass es sich um eine Seltene Krankheit handeln muss, weil niemand eine Ursache fand und alles, was ich gespürt habe, sich eigenartig angefühlt hat. Diese sonderbaren Gefühle hatte ich nie zuvor. Dass es eine wirklich sehr, sehr seltene Krankheit sein muss, ist mir seit etwa fünf Jahren klar.
Als Patientin ohne Diagnose ist man auf den Hausarzt angewiesen. Doch ein Hausarzt kann die Betreuung einer Patientin mit einer sehr Seltenen Erkrankung neben seinem Patientenalltag gar nicht leisten. Als Patient bräuchte man mit so einer Erkrankung Ärzte (sogenannte "Kümmererstellen"), die sich einfach anders um einen kümmern und die die Fäden in der Hand halten - und die einem nicht das Gefühl geben, man hätte ja nichts.
Ich habe mich so oft nicht für voll genommen gefühlt. Wenn einem der Hausarzt dann auch noch Plazebotabletten verordnet und man den Vermerk "Verdacht auf Hypochondrie" liest, bricht immer wieder eine kleine Welt zusammen. Weil man spürt, dass da etwas anderes dahinter steckt. Auch wenn ich stationär im Krankenhaus war, bin ich meistens mit einer psychosomatischen Diagnose entlassen worden, was mich noch zusätzlich belastet hat. Es fühlte sich an, als ob jemand die Tür hinter einem schließt. Natürlich bin ich durch meine Situation psychisch belastet - aber ich habe keine psychosomatische Erkrankung.
In meinem Beruf kann ich nicht mehr arbeiten. Ich bekomme seit 2017 rückwirkend Erwerbsunfähigkeitsrente. Einerseits war ich erleichtert, dass ich nicht mehr täglich zur Arbeit gehen musste, dennoch war es nie mein Ziel, so früh in Rente zu gehen. Ich mochte meine Arbeit sehr.
Mir geht es von Woche zu Woche schlechter. Alles entwickelt sich so, wie ich es schon zu Anfang vermutet habe: Meine Muskulatur bildet sich immer weiter zurück. Und sobald ich zu viel mache, spüre ich das danach und muss mich davon erst einmal wieder erholen. Ich fange dann auf einer neuen, schlechteren Stufe an. Und die bleibt dann. Ich komme nie wieder auf mein altes gesundheitliches Niveau zurück. Obwohl ich alles dafür getan habe, um dem Muskelabbau entgegenzuwirken. Erst bin ich wieder ins Fitness-Studio gegangen und sehr viel geschwommen - dann nur noch zum Reha-Sport. Aber auch den musste ich weiter runterkürzen und dann beenden. Ich war nur noch erschöpft. Mein ganzes Leben lang habe ich Sport gemacht - das nicht mehr zu können, belastet mich sehr.
Immerhin kann ich mein Familienleben weiterleben wie gewohnt. Aber ich mache schon lange nicht mehr so viel Programm wie früher und wäge genau ab, wofür ich mich entscheide, denn ich muss mich immer wieder erholen.
Was mir hilft, ist meine Kreativität. In dieser Hinsicht habe ich in den vergangenen Jahren viel gemacht und das meist mit einem positiven Aspekt. Ich habe irgendwann angefangen, Badekappen mit Alltagsgegenständen zu bekleben. Ich wollte mein Gedankenkarussell stoppen, etwas Produktives machen und einfach mal abwarten, was sich daraus entwickeln könnte. Eine Freundin hat die Badekappen fotografiert und diese Bilder konnten wir zusammen ausstellen. Diese Ausstellung haben wir "Can you hear me? - mach dich sichtbar" genannt, um auf Patienten ohne Diagnose aufmerksam zu machen. Wir nennen uns die Beatkaps (Beate, Katja und ihre Kappen, wobei das Beat auch für Kämpfen, Besiegen steht).
Das alles hat mir enorm viel Kraft gegeben, weil ich gemerkt habe, dass ich weiter- und Sachen sichtbar machen kann und nicht in der Opfer-Rolle bleiben muss. Sehr geholfen hat mir auch, dass mir ein Pharmaunternehmen die Möglichkeit gegeben hat, meine Geschichte als Video sichtbar zu machen. Da habe ich mich zum ersten Mal richtig gesehen und ernst genommen gefühlt. Ich hatte sie angeschrieben und viele andere Medien auch. Denn alle geben immer nur den Menschen mit den Seltenen Krankheiten eine Plattform. Ich hatte gebeten, auch die Leute mal zu zeigen, die keine Diagnose bekommen und die immer in diese Psycho-Ecke geschoben werden.
Man darf nicht vergessen, dass die Menschen mit den ganz seltenen Krankheiten mehrfach belastet sind: Mit den Symptomen ihrer Krankheit (in meinem Fall chronisch voranschreitend), mit dem "Beweisen" ihrer Krankheit (bei Medizinern, deren Personal und auch im eigenen Umfeld), mit der Wartesituation auf neue Termine und natürlich dem Hoffen und Bangen.
Wenn ich mir etwas wünschen könnte, wäre das eine Diagnose, die medikamentös behandelt werden kann. Ich würde so gern wieder Muskelaufbau betreiben und dann unbedingt wieder Sport machen. Dass ich mich nicht mehr so frei und unbeschwert bewegen kann, ist eine riesengroße Leerstelle. Ich wollte mich immer sportlich herausfordern - das war mein Leben.
Gesprächsprotokoll: Sabine Priess
Sendung: Radioeins, 29.02.2024, 07:40 Uhr