Interview | Dokumentation "Berlin 1945" - "Es war eine riesige, selbst organisierte Tragödie"

Fr 08.05.20 | 11:28 Uhr
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Kriegsende in Berlin 1945 (Quelle: dpa/akg)
Audio: rbbKultur | 07.05.2020 | Volker Heise | Bild: dpa/akg

Am Tag der Kapitulation lag Berlin in Trümmern. Vom Erleben und vom Alltag der Bewohner zur "Stunde Null" erzählt die Dokumentation "Berlin 1945 - Tagebuch einer Großstadt". Regisseur Volker Heise erklärt im Gespräch, warum er dabei auf Zeitzeugen verzichtet hat.

rbb: In Ihrer Fernsehdokumentation "Berlin 1945" lassen Sie Tagebücher sprechen, aber keine Historiker, keine Zeitzeugen, keine Erzählstimme. Warum haben Sie sich gegen all das entschieden?

Volker Heise: Erinnerungen von Zeitzeugen haben generell immer die Tendenz, die Dinge anders zu sehen, als sie wahrscheinlich waren. Außerdem wollten wir eine gewisse Unmittelbarkeit erreichen. Dass man Menschen zuhört, die damals gelebt haben. Was haben sie zu sagen? Wie haben sie die Ereignisse damals gesehen? Wie haben sie sie eingeordnet? Und was haben Sie erlebt? Und wir wollten keinen Kommentar haben, denn wir wollten den Leuten nicht sagen, was sie denken oder fühlen sollen und sie in keine Richtung bringen.

Und wenn Sie sagen: Berlinerinnen und Berliner, die damals in der Stadt gelebt haben, dann müssen Sie auch immer mit dazu sagen, dass 300.000, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Berlin gelebt haben. Dass es in Berlin Außenlager von Konzentrationslagern gab. Berlin war im April, Mai, Juni 1945 eine Stadt, in der unglaublich viele Nationen waren.

Nach was für Dokumenten haben Sie vor allem gesucht?

Wir sind durch Archive gegangen, ich habe ein großes Team von Rechercheuren gehabt, und wir haben zusammen versucht, diese Tagebücher zu finden. Einige sind veröffentlicht, so wie das Tagebuch von Brigitte Eicke "Backfisch im Bombenkrieg". Aber es gab auch viele schöne Funde, die nie veröffentlicht worden sind, wie zum Beispiel die Briefe von Alice Löwenthal, einer untergetauchten Jüdin.

Es ist sehr selten, dass man Briefe oder überhaupt Dokumente von Juden oder Jüdinnnen hat, die untergetaucht sind. Da muss man in Museen, in Archive auf der ganzen Welt suchen. Wir haben in Moskau, Paris, in London und Washington recherchiert – auch nach Filmmaterial. Wir haben auf der ganzen Welt versucht, Material zu finden, weil wir multiperspektivisch erzählen wollten.

Es gibt in diesem Film viele Stimmen aus Briefen und Tagebüchern. Was für ein Bild ergibt diese Vielstimmigkeit über diese Zeit?

Ich glaube, das ist eine riesige selbstorganisierte Tragödie. Diesen Zweiten Weltkrieg, und das Ende des Zweiten Weltkriegs, hat sich Berlin ja selbst angetan. Zwar ist die russische Armee gekommen, es sind alliierte Flugzeuge über die Stadt geflogen, haben Bomben abgeworfen, aber am Ende des Tages ist es eine riesige, selbst organisierte Tragödie. Mit Schuldigen, das muss man auch sagen. Ich hab immer geschwankt zwischen Erbarmen und Abscheu.

Es stellt sich bei solcherlei Dokumentationen immer die Frage von Verantwortung und Schuld. Wie sehr war das denn für Sie ein Thema - etwa bei so heiklen Themen wie Vergewaltigung von Kindern und Frauen durch russische Soldaten?

Nicht nur russische Soldaten, auch französische und amerikanische Soldaten, das vergisst man gerne. Ich glaube, das muss man immer auch im Kontext miterzählen. Die russischen Soldaten kommen nach Deutschland, und die fragen sich: Was haben die Deutschen von uns gewollt? Hier sind die Straßen super, die Gutshöfe sind super in Schuss, die Leute sind reich und dick und haben Geld und haben was zu essen. Was wollten sie von uns?

Die sind seit vier Jahren unterwegs, die haben keinen Fronturlaub gehabt und sind voller Wut. Und die meisten haben links und rechts ihre Freunde sterben sehen. Oder das Wüten der Deutschen in ihren Ländern erlebt. Man darf diese Wut nicht verschweigen oder unter den Tisch kehren. Es gab diese Vergewaltigungen, und sie waren massiv.

Erstaunlich ist, wieviel Filmmaterial und Bilder Sie gefunden haben. Existiert tatsächlich so viel filmisches Material aus der Zeit?

Nein, eigentlich ist die Materiallage eher dünn. Sie müssen sich vorstellen: Die Deutschen haben ja nur bis März, April gedreht. Dann haben im Grunde genommen die Russen übernommen: Mit 38 Kameramänner haben sie den Sturm auf Berlin gedreht, weil sie das ihren Leuten als Trophäe zeigen wollten. Und dann kamen die Alliierten. Aber eigentlich waren im Juni alle schon wieder weg, denn dann drehte sich alles nur noch um den Krieg im Pazifik, und keiner interessierte sich mehr für Berlin.

Wir haben alles, was es aus Berlin gibt, genommen und manchmal auch aus anderen Städten in Deutschland. Wenn wir dachten, das, was in dem Tagebuch über Berlin erzählt wird, passiert auch in Hamburg oder München, dann kann man auch mal ein Bild aus Hamburg oder München nehmen.

75 Jahre nach der Befreiung hat Berlins Kultursenator Klaus Lederer gefordert, dass der 8. Mai ein regulärer Feiertag wird. Was halten Sie von dem Vorschlag?

Ich bin da gespalten. Ich bin dagegen zu sagen: Freuen wir uns, das war eine Befreiung. Es war eine Niederlage, die eine Befreiung war. Die Leute, die Tagebuch geschrieben haben damals, die meisten Berlinerinnen und Berliner haben es als Niederlage empfunden.

Also eher ein Gedenk- als ein Feiertag?

Ja. Erinnern wir uns vielleicht eher daran, wie zerbrechlich unsere Stadt ist. Mir ist es oft so gegangen, wenn ich aus dem Schneideraum nach Hause gegangen bin und an Orten vorbeiging, deren Zerstörung ich gerade beigewohnt hatte: Da kriegt man schon ein Gefühl dafür, wie zerbrechlich so eine Stadt ist. Und wie wenig es braucht, um sie zu zerstören. Es ist ein verflucht zerbrechliches Gebilde.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Shelly Kupferberg, rbbKultur. Die Textfassung ist eine gekürzte und regdigierte Version. Das gesamte Gespräch können Sie hören, wenn Sie auf das Audiosymbol im Titelfoto klicken.  

7 Kommentare

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  1. 7.

    Ich schließe mich dem Kommentar von ickedetekiekemal
    (kenn ich noch vom Neuen Tag) an.
    Ja die Dokumentation hat mir sehr gefallen viele neue Darstellungen wurden verwendet au h dadurch nochmal sehr interessant.
    Gut auch dass die Zeitzeugen hier nicht so im Vordergrund standen. Ich finde es nicht gut dass von diesen deutschen (Opfer) Zeugen nie ein Wort der Reue gesagt wird. Aus heutigen Erkenntnisstand müsste das eigentlich erfolgen.
    Ein Fakt möchte ich noch erwähnen. Bei allen Bericht und Dokumentation vom sogenannten Nationalsozialismus und seinen katastrophen Folgen fehlt mir eine wichtige Antwort. Wer hat diesen Militarismus aufgerüstet wer hat ihn unterstützt wer hat ihn finanziert, mit welchen Zielen. Es herrschte eine Kapitale Wirtschaftsart. Alles musste bezahlt werden oder durch Kredite abgedeckt sein. Hiltler sein Sparschwein war mit Sicherheit nicht so groß um so eine gigantische Aufrüstung zu finanzieren. Eine Antwort würde uns aus heutigen Kenntnisstand die waren Täter erklären, die aus dem Hintergrund Deutschland ein zweites mal ins Verderben stürzten. Diese sollte man mit Namen erwähnen. Auch in meiner Grosseltern Familie gab es schmerzliche Erlebnisse die bis heute meine Eltern seelisch belasten.
    Das soll es von mir gewesen sein.
    Bleibt gesund Gruß R.G.

  2. 6.

    Ein Hinweis: Man kann den 2Teiler auch auf ARTE sehen. Da ist er in der Mediathek verfügbar...

  3. 5.

    Ich habe gerade bemerkt, dass diese Doku erst um 20:30 Uhr beginnt. Wieder wegen eines Spezials. Ich werde die Sendung nun aufnehmen. Nicht mal an diesem Tag können Sie pünktlich beginnen. Stattdessen erneut Sondersendung, die mit Berichten aus Abendschau und Co gefüllt sind. Schade drum. Genug ist irgendwann genug, es gibt nichts Neues, was ein Spezial am Feiertag rechtfertigen würde.

  4. 4.

    Naja. Sicherlich mußte die Mehrheit Berlin mit "Blut, Schweiß & Tränen" wieder aufbauen, meine Mutter und Großmutter waren dabei um eine bessere Lebensmittelkarte zu erhalten.

    Wir dürfen aber die nicht vergessen, die an jedem Krieg und danach verdienen. Große und kleine Kriegsgewinnler gab es nämlich auch. Ein beeindruckender Film, nicht nur wegen der Szenen im zerbombten Berlin ist "Die Mörder sind unter uns" https://de.wikipedia.org/wiki/Die_M%C3%B6rder_sind_unter_uns

    Oder auch "Irgendwo in Berlin" https://de.wikipedia.org/wiki/Irgendwo_in_Berlin

  5. 3.

    Respekt habe diese Menschen von Dmals die alles wieder mit Blut, scheiß & Tränen aufgebaut haben, wir sollten uns wirklich dankbar und glücklich zeigen, denn wir mit unsere Luxus probleme von heute haben keine Ahnung wie es sich anfühlt wirklich nix mehr zu haben.

  6. 2.

    Lieber RBB, es ist mir heute schon bei einigen Artikeln zum Thema aufgefallen: Hört doch bitte endlich (nach 75 Jahren sollte man das können) auf, von "russischer Armee" oder "russischen Soldaten" zu schreiben! Es war die Rote Armee und es waren sowjetische Soldaten (das waren Russen und Ukrainer und Weißrussen und Tartaren und Tadschiken und Letten und noch viel mehr Menschen aus allen Nationen der UdSSR). Nicht "der Russe", wie ihn die Nazipropaganda als "vertierten Untermenschen", den es bei der "Eroberung" neuen "Lebensraums im Osten" auszulöschen galt, dargestellt und in dieser Form in den Köpfen der Menschen verankert hatte (und diese Wirkung hält bei vielen bis heute an, es ist ekelhaft ... 27 Millionen Bürger der Sowjetunion erschossen, verbrannt, gehängt, verhungern gelassen, in Menschenversuchen ermordet, zu Tode gehetzt ... Und alles, was "dem Deutschen" bis heute dazu einfällt: Der Russe war's!).

  7. 1.

    Eine, wie ich finde sehr gelungene Dokumentation. Man bekommt tatsächlich ein bisschen das Gefühl der Menschen in dieser schrecklichen Zeit mit.
    Leider ist im 2ten Teil ein Fehler unterlaufen! Entweder, es wurde falsch übersetzt oder der amerikanische Sprecher war falsch informiert.
    Die Kapitulationsunterlagen mit Stalin etc. wurden in Berlin Karlshorst unterzeichnet, nicht wie im Film im Untertitel gezeigt in Kaulsdorf!

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