Kommunen über Unterbringung Geflüchteter - "Wir können es nicht mehr schaffen"
Alle sollen beim Thema Geflüchtete enger in Arbeitsgruppen kooperieren. Erste Ergebnisse sollen Ostern vorliegen, so der Flüchtlingsgipfel am Donnerstag. Doch vielen Brandenburger Kommunen reicht das nicht, sie fühlen sich überlastet. Von Lisa Steger
2.300 Einwohner hat Neuhardenberg im Landkreis Märkisch Oderland - und 500 von ihnen sind Geflüchtete, sie wohnen in einem Wohnheim. Bastian Hölscher arbeitet hier als Erzieher - in der Grundschule und einem Jugendclub, der an drei Tagen die Woche geöffnet ist. Der Club platzt aus allen Nähten. "Wenn alle kämen, würden wir sie hier nicht in das Haus bekommen, da würden wir an unsere Grenze stoßen", berichtet der Mann vom "Kinderring Neuhardenberg".
Größtes Problem – die Unterbringung
Es fehlen vor allem Wohnungen; deshalb leben manche Flüchtlinge schon seit vielen Jahren in dem Heim. So zum Beispiel ein Ehepaar aus der Russischen Föderation: Die sechs Menschen wohnen seit 2019 hier.
Horst Nachtsheim, der sich seit zehn Jahren in Neuhardenberg als ehrenamtlicher Helfer engagiert, ist überzeugt, dass die Integration besser funktionieren würde, wenn diese Menschen in Wohnungen untergebracht wären. "Junge Leute, die 14, 15 oder 16 Jahre alt sind, die leben jetzt hier seit sechs bis acht Jahren jetzt im Heim. Sie haben eine klassische Heimsozialisation", so Nachtsheim. Einige zeigten "abweichendes Verhalten" und das sei kein Wunder.
Doch auch die ehrenamtliche Hilfe sei immer schwerer zu leisten, viele hätten damit aufgehört. Vor zehn Jahren sei der örtliche Willkommenskreis gegründet worden – mit 18 Mitstreitern. Doch zuletzt waren es nur noch eine Handvoll. Deshalb wurde der Verein aufgelöst, so Nachtsheim.
Auch Mario Eska (Linke), der ehrenamtliche Bürgermeister Neuhardenbergs, findet deutliche Worte. "Es gibt mittlerweile Kinder, die in der Freizeit durch Neuhardenberg ziehen und Vandalismus betreiben", berichtet er. "Früher hatte man noch einen Zugang zu den Familien", jetzt nicht mehr. „Das Einzige, was uns in Neuhardenberg noch hilft, ist ein drastischer Rückgang der Flüchtlingszahlen", erklärt der Linken-Politiker. "Die größten Probleme haben wir in der Schule. Wir können diese Zahlen nicht mehr schaffen."
Viele Beigeordnete und Landräte sehen Kreise am Limit
Friedemann Hanke (CDU), der Sozialbeigeordnete in Märkisch-Oderland, nennt die Situation im Landkreis "dramatisch". Kita- und Schulplätze, Sozialarbeiter und vor allem Unterkünfte seien knapp, schreibt der CDU-Politiker auf rbb-Anfrage in einer Mail. Er fordert eine "unverzügliche Einstellung aller Sonderaufnahmeprogramme, die Schaffung von Abschiebezentren; Durchsetzung der rechtsstaatlichen Entscheidungen zu Ausreiseverpflichtungen, sprich: Verstärkung der Abschiebungen."
Mit seinen Forderungen steht Hanke nicht allein in Brandenburg. Siegurd Heinze, parteiloser Landrat in Oberspreewald-Lausitz, erklärt: "Wir haben keine Wohnungen, keine Kitaplätze, die Schulen sind voll und die ärztliche Versorgung ist nicht mehr gesichert." Das Land Brandenburg müsse dem Bund signalisieren, dass die Belastungsgrenze erreicht sei.
"Wir schaffen es vor Ort nicht", sagt Tobias Schick (SPD), Oberbürgermeister in Cottbus. "Wir haben riesige Kapazitätsprobleme, was die Betreuung im Kinder- und Jugendalter angeht, aber auch bei der Gesundheitsversorgung."
Brandenburgs Innenminister enttäuscht vom Gipfel
Für eine Kontrolle der EU-Außengrenzen spricht sich auch Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen aus. Brandenburg hat im letzten Jahr hat rund 40.000 Geflüchtete aufgenommen – das waren rund 12.000 mehr als in den Jahren 2015 und 2016, so der CDU-Politiker.
"Lehrer, Erzieher, Berater, Sozialarbeiter: Wir haben, selbst wenn wir die Stellen dafür finanziert bekommen, auf dem Arbeitsmarkt keine geschulten Leute mehr", erklärte Stübgen nach dem Gipfel im rbb. "Es läuft immer wieder darauf hinaus, dass wir eine Begrenzung der aktuellen Migration insbesondere über die Balkanroute, die Mittelmeerroute und Belarus durchsetzen müssen." Nötig sei "eine Kraftanstrengung von Bundesregierung und Europäischer Union, die unverzüglich umgesetzt werden muss."
In diesem Jahr würden mehr als 400.000 Neuzugänge erwartet, so Stübgen. In Brandenburg wären das rund 25.000 Menschen. "Der Städtetag sagt, Integration findet nicht mehr statt. Deshalb müssen wir dazu kommen, dass illegale Migration begrenzt wird."
Als "Sofortmaßnahme" solle der Bund die Unterbringung wieder bezahlen, wie er es bis 2021 getan habe, fordert Stübgen im Radioeins-Interview.
Dazu aber gab es von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei dem Gipfel am Donnerstag keine Zusage. Sie versprach nach dem Gespräch mit Vertretern von Ländern und Kommunen eine bessere Abstimmung bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen. Geplant ist unter anderem ein "Dashboard", also eine Grafik im Internet, die täglich aktualisiert wird. Dort können Kommunen freie Plätze eintragen, andere können sich dorthin wenden.
Über mögliche zusätzliche Finanzhilfen des Bundes zur Bewältigung dieser Aufgabe werde es um Ostern weitere Gespräche geben, sagte Faeser nach dem Treffen in Berlin.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 16.02.2023, 19:30 Uhr