Wahlparteitag der Berliner AfD - Ein Durchmarsch mit kleinen Schönheitsfehlern
Die Wahlen zum AfD-Landesvorstand haben deutlich gemacht, wie unangefochten die Berliner Parteichefin aktuell an der Spitze der Landespartei steht. Und Kristin Brinker zeigte, wie sie mit Angriffen auf den neuen politischen Lieblingsfeind punkten will. Von Sabine Müller
Fünf Stunden lang läuft alles komplett nach Plan für Kristin Brinker. Wie erwartet macht ihr den Parteivorsitz niemand streitig. Es geht nur noch um die Frage, wieviel Unterstützung sie ohne Gegenkandidaten bekommen wird.
Bei ihrer ersten Wahl vor zwei Jahren hatte Brinker erst nach mehreren Wahlgängen in einem Wimpernschlag-Finale mit 50,2 Prozent gegen die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch gewonnen. Genau diese Beatrix von Storch schlägt den Delegierten nun Brinker zur Wiederwahl vor: "Kontinuität an dieser Stelle ist sehr gut, und ich hoffe, dass wir uns mit großer Mehrheit hinter Kristin Brinker stellen."
Und der Parteitag folgt der Empfehlung: Brinker erhält knapp 81 Prozent der gültigen Stimmen. Es ist ein klarer Vertrauensbeweis für die Frau, unter deren Führung es in der Berliner AfD intern ruhiger geworden ist und die die Partei erst wieder wirklich arbeitsfähig gemacht hat - unter anderem dadurch, dass sie es immer wieder schafft, der bei vielen Vermietern unerwünschten AfD Parteitags-Locations zu organisieren: diesmal in einem Gymnasium in Spandau.
Und nach der Vorsitzenden-Wahl kommen auch die vier Kandidatinnen und Kandidaten, die Brinker für die Vize-Posten im Landesvorstand vorschlägt, problemlos durch, ebenso ihr Kandidat als Schatzmeister
Ein Schnitzer bei der Beisitzer-Wahl und viel Applaus für eine Kritik
Um kurz nach 15 Uhr bei der Wahl zum dritten Beisitzer im Vorstand wird es dann erstmals unruhig. Der Kandidat, den Brinker vorgeschlagen hatte, fällt durch. Gewählt wird stattdessen Frank Scheermesser, der bisher bereits Beisitzer im Vorstand ist, aber nun eigentlich nicht mehr vorgesehen war.
Scheermesser hält eine feurige Rede, bei der es dann besonders viel Applaus gibt, als er offene Kritik am Wahlergebnis bei der Wiederholungswahl übt: "Mich treibt die Frage um, warum unsere AfD am 12. Februar gerade mal 9,1 Prozent der Stimmen bekam, obwohl der Bundestrend bei 17 Prozent liegt. Warum sind Wähler von SPD und FDP nicht zu uns gekommen, sondern zur CDU? Über diese Frage sollte man mal intensiver nachdenken."
Kurz darauf kommt ein weiterer Brinker-Kandidat nicht durch. Bei beiden Kandidaten, so wird auf dem Parteitag hinter vorgehaltener Hand erzählt, habe im Hintergrund das Enfant Terrible der Berliner AfD mitgefingert: Der Ex-Abgeordnete Andreas Wild. Schon 2017 wurde er aus der Fraktion im Abgeordnetenhaus ausgeschlossen, 2021 auch aus der Partei. Allerdings ist der Ausschluss noch nicht rechtskräftig, denn das endgültige Urteil des AfD-Bundesschiedsgerichts steht immer noch aus. Deshalb geistert Wild weiter durch die Partei und sorgt für Unruhe.
Ein harmonischer Wahl-Tag bei der Landes-AfD
Auch Wild selbst will Beisitzer werden und hält eine Bewerbungsrede voller Vorwürfe. Es geht um "Taktiker", die keine "Praktiker" sind, um das gefährliche "Phänomen der Besserwisserei" und um die Unfähigkeit, aus Fehlern zu lernen. Wild nennt keine Namen, aber das Gesicht von Kristin Brinker zeigt, dass sie weiß, wer gemeint ist.
Wilds Wahl aber bleibt Brinker letztlich erspart: Er scheitert mit seiner Gegenkandidatur. Für insgesamt elf Posten im Landesvorstand hat Brinker dem Parteitag Vorschläge gemacht, neunmal war sie erfolgreich. Von Vorstandsleuten und auch anderen hört man danach dieses Fazit: Es sei für AfD-Verhältnisse ein ungewöhnlich harmonischer Wahl-Tag gewesen.
Rückblick? - Unnötig!
Das zeigt sich auch daran, welches Thema auf dem Parteitag praktisch keine Rolle spielt: Die Tatsache, dass die AfD ihr Wahlziel bei der Wiederholungswahl klar verfehlt hatte. Parteichefin Brinker, gewöhnlich übervorsichtig mit Prognosen, war von Zweistelligkeit ausgegangen, sprach von "12 Prozent auf jeden Fall". Am Ende waren es mit leichten Zugewinnen nur 9,1 Prozent. Frank Scheermessers Kritik daran bleibt eine absolute Ausnahme auf diesem Parteitag, unter anderem gibt es in der Aussprache zu Beginn des Parteitags keinen einzigen Kommentar zum Wahlergebnis – auch zu Brinkers eigener Überraschung.
Zur Erklärung sagen AfD-ler, Wahlnachlese sei nicht mehr notwendig gewesen, denn das Ergebnis sei sowohl in der Fraktion als auch bei einem Mitgliederstammtisch ausführlich analysiert worden. Grund dafür, dass die AfD nicht besser abgeschnitten habe, sei zum einen die massive Wechselstimmung in der Stadt gewesen. Diese habe die AfD nicht nutzen können, weil sie keine Regierungsoptionen habe. Klassische Protestwähler seien diesmal zur CDU gegangen. Zum anderen habe eben diese CDU die Ausschreitungen in der Silvesternacht genutzt, um die AfD beim Thema Innere Sicherheit und Migration "rechts zu überholen", heißt es
Also alles schon gesagt zur Wahl, oder lag die Zurückhaltung bei diesem Thema vielmehr daran, dass kaum jemand Interesse daran hat, Brinker zu beschädigen, die als Partei- und Fraktionschefin erste Adressatin für Vorwürfe wäre? Der Abgeordnete Antonin Brousek bringt es wohl auf den Punkt, als er konstatiert: "Mir ist klar geworden, dass der Erfolg unserer Fraktion und unserer Partei ganz stark abhängig ist vom Erfolg von Kristin Brinker."
Optimistisch in die Zukunft
Mit welcher Strategie Kristin Brinker in den verbleibenden dreieinhalb Jahren der Legislaturperiode Erfolg haben will, hat ihre Parteitagsrede sehr deutlich gemacht. Sozialdemokraten und Grüne bekamen erwartbar zwar ihr Fett weg, besonders heftig aber griff Brinker die CDU an.
Die Berliner Union gebe in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD gerade reihenweise Positionen und Überzeugungen auf, so Brinker: "Die Wähler, die glaubten, mit CDU eine andere Politik in Berlin auf den Weg zu bringen, können sich nur noch fassungslos die Augen reiben. Sie wurden schamlos hinters Licht geführt. Aber was soll man auch von einer Partei erwarten, die 2015 der ungesteuerten Migration Tür und Tor geöffnet hat."
"Sehr, sehr froh" sei sie, sagt Kristin Brinker dem rbb, dass die CDU vermutlich bald Regierungspartei sei, denn dann – so lautet das Kalkül – gebe es keine andere Partei rechts der Mitte, mit der sich die AfD in der Opposition das Scheinwerferlicht teilen müsse und habe deshalb mehr Chancen, sich bei konservativen Wählern zu profilieren - in der der Hoffnung, dass bei der nächsten Wahl dann nicht mehr die CDU, sondern wieder die AfD die erste Wahl für Protestwähler ist.
Sendung: rbb24 Inforadio, 19.03.2023, 9 Uhr