Ärztemangel in Brandenburg - Zustand: "unversorgt"
Der Ärztemangel im ländlichen Raum Brandenburgs wird immer dramatischer - laut der Kassenärztlichen Vereinigung müssen in den kommenden Jahren Hunderte Arztpraxen neu besetzt werden. Doch es fehlen Nachfolger. Von Sabine Loeprick
Morgens um 9 Uhr im 1.000-Einwohner Dorf Nennhausen im Havelland: Vor dem langgezogenen Flachbau im Ortszentrum steht noch das Hinweisschild für eine Apotheke. Die gibt es hier schon seit Jahren nicht mehr, ebenso wenig wie eine Gaststätte, ein Lebensmittelgeschäft oder eine Arztpraxis. "Wir sind momentan auf dem niedrigsten Versorgungsstand, den man sich vorstellen kann," sagt Ralf Albrecht, der Ortsvorsteher von Nennhausens Ortsteil Buckow.
Vor vier Jahren wurde die Hausarztpraxis in Nennhausen aufgegeben, immerhin konnte ein Arzt aus Stendal angeworben werden, der einmal pro Woche im Gemeindezentrum Sprechstunde abhielt und Hausbesuche machte. Doch dem Mediziner war der Aufwand zu hoch und so wurde das Angebot 2020 eingestellt.
Noch heute zeigt sich Nennhausens Bürgermeisterin Brigitte Noël (Linke) darüber enttäuscht, schließlich habe man für die wöchentlichen Sprechstunden extra einen Raum im Gemeindehaus hergerichtet, nun sei der Ort "unversorgt", ein Zustand, der nicht haltbar sei. So könne es nicht weitergehen. Denn viele Nennhausener haben momentan gar keinen Hausarzt oder müssen kilometerlange Fahrten auf sich nehmen, gerade für Ältere und weniger Mobile ein Riesenproblem.
Opposition kritisiert: Landärzteprogramm ermöglicht zu wenige Stipendien
Die aufgegebenen Praxen hinterlassen im ländlichen Raum in ganz Brandenburg immer größere Lücken. Diese sollte das 2019 von der Landesregierung aufgelegte Landärzteprogramm zumindest teilweise schließen. Das funktioniert so: Angehende Medizinerinnen und Mediziner werden während ihres Studiums durch Stipendien unterstützt. Diese werden mit der Bedingung verknüpft, im Anschluss an das Studium mindestens fünf Jahre auf dem Land zu praktizieren.
Die damalige Landesregierung mit dem Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) und der Gesundheitsministerin Susanna Karawanskij (Linke) habe angekündigt, 50 Stipendien pro Semester auszuschreiben, das unterstreicht der gesundheitspolitische Sprecher der Brandenburger Linken, Ronny Kretschmer. Tatsächlich sei man von diesem Ziel mit der momentanen finanziellen Ausstattung von 2,3 Millionen Euro in diesem und 2,35 Millionen im nächsten Jahr "meilenweit entfernt".
So hätten im letzten Jahr nur 35 Stipendien vergeben werden können, in diesem Jahr würden es maximal 18 sein - viel zu wenig, sagt Kretschmer. Statt neun Stipendien pro Semester seien 50 pro Semester angekündigt gewesen. Kretschmer spricht von einer Kürzung des Landärzteprogramms und fordert mehr Geld, um auf diesem Weg medizinischen Nachwuchs für das Land ausbilden zu können. Bis die neu zu gründende Unimedizin Cottbus Absolventen hervorbringt, was allerdings noch Jahre dauern wird. Der Start des Studiengangs ist für 2026 geplant.
Nonnemacher bezeichnet Stipendienprogramm als Erfolg
Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) weist die Vorwürfe der Linksfraktion zurück. Bis 2021 seien 131 Vollstipendien über je 1.000 Euro monatlich vergeben worden, im vergangenen Jahr 62. Im laufenden Haushalt 2023/24 würden insgesamt noch 18 Vollzeitstipendien vergeben, so gesehen sei es richtig, dass sich die Zahl der jährlich neu startenden Stipendiaten verringert habe. Allerdings sei die Situation heute auch eine andere als 2019, schließlich hätten seit 2021 rund 80 Absolventen die Medizinische Hochschule in Neuruppin verlassen. Zwei Drittel seien in Brandenburg geblieben und arbeiteten im Land als Mediziner.
Dennoch werde das Landärzteprogramm mit der finanziellen Ausstattung fortgesetzt, mit der es gestartet wurde, so Nonnemacher weiter. Die Nachfrage spreche dafür, dass das Angebot für viele Medizinstudierende attraktiv sei.
In manchen Gegenden werden allerdings deshalb keine Stipendien vergeben, weil sie nicht nachgefragt werden: Im Spree-Neiße-Kreis etwa gab es in den vergangenen beiden Jahren keine Bewerberinnen oder Bewerber.
Förderung vom Staat auch nach dem Medizinstudium?
Pascal Wittkopf aber hat das Programm überzeugt, wie er sagt. Er studiert im vierten Semester an der Medizinischen Hochschule Brandenburg in Neuruppin und finanziert das zumindest teilweise über das Stipendium im Rahmen des Landärzteprogramms.
Am Donnerstag steht für den 27-Jährigen eine Übungseinheit zum Thema Ultraschall im MVZ Neuruppin auf dem Programm. Noch wisse er nicht genau, welche Fachrichtung er später einschlagen wolle, sagt Wittkopf. Er zeigt sich aber von der Wirkung des Landärzteprogramms überzeugt und sagt, er freue sich als gebürtiger Neuruppiner darauf, nach Abschluss des Studiums in einer Praxis auf dem Land zu arbeiten. Das wird aber in frühestens neun Jahren passieren.
Von solch motivierten Nachwuchsmedizinern können die Nennhausener allerdings noch nicht profitieren. Bürgermeisterin Noël fordert von der Landesregierung, dass sie junge Landärzte auch nach dem Abschluss des Studiums unterstützt. Mit geeigneten Räumlichkeiten für Praxen und vor allen Dingen mit moderaten Mieten, damit die jungen Ärztinnen und Ärzte kein allzu großes Risiko mit einer Praxisgründung auf dem Land eingehen müssten.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 23.03.2023, 19:30 Uhr