Berliner Linke in Erfurt - Inspiration vom Pragmatiker
Im ostdeutschen Superwahljahr ist Bodo Ramelow der Hoffnungsträger einer krisengeschüttelten Linken. Auch deshalb hat die Berliner Linksfraktion ihre Klausur nach Erfurt verlegt: um über einen erfolgreicheren Politikstil von links zu reden. Von Sebastian Schöbel
Selbst im ziemlich unspektakulären Konferenzraum eines Hotels am Erfurter Dom schafft es Bodo Ramelow, die Dramatik der Thüringer Landespolitik deutlich zu machen: "Ich kämpfe gegen die Alltäglichmachung von Faschismus", ruft der 68-Jährige seinen Berliner Parteikolleg:innen zu. "Und das, was Herr Höcke jeden Tag macht, ist den Faschismus normalisieren."
Der Mann, der seit 2020 als Linker an der Spitze einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung mit Duldung der CDU steht, bemüht einen historischen Vergleich: Thüringen sei schon einmal Keimzelle einer rechtsextremistischen Machtübernahme gewesen. Damals, 1924, vor genau einhundert Jahren, haben die Nationalsozialisten bei der Thüringer Landtagswahl dem sogenannten "Ordnungsbund" aus konservativen, nationalistischen und links-liberalen Kräften an die Macht geholfen. Der Anfang vom Ende der Demokratie, erklärt Ramelow. "Hier in Thüringen ist 1924 die Tür aufgemacht worden, die dann zu 1933 geführt hat."
Keimzelle der Radikalisierung
Ein Jahrhundert später sei Thüringen erneut der Ort rechtsextremistischer Umtriebe. Der Putsch-Plan der Verschwörer um Heinrich XIII. Prinz Reuß sei schließlich in einem herrschaftlichen Anwesen in Saaldorf geschmiedet worden, so Ramelow. "Das ist in meiner Nachbarschaft, da fahre ich immer mit dem Fahrrad dran vorbei und habe mich schon gewundert, was das für ein komisches Schloss ist." In Gera habe gerade erst das größte Reichsbürgertreffen des Landes stattgefunden. Und die Radikalisierung der AfD habe ebenfalls in Thüringen begonnen, mit Björn Höckes "Flügel".
Heute begegne ihm dessen extremistische Ideologie überall, so Ramelow. Etwa wenn vermeintlich kluge Menschen aus Wirtschaft oder Wissenschaft krude Thesen über Zuwanderer offen aussprechen, während seine Regierung händeringend dringend benötigte Arbeitskräfte im Ausland anwirbt. "Wenn die Nichtdeutschen bei uns das Land verlassen würden, würden vierzig Prozent aller Ärzte, die wir haben, gehen, dann können sie die Krankenhäuser zu machen." Das seien die "Thüringer Verhältnisse", sagt Ramelow.
"Und dann landest du unter drei Prozent"
Mit Berlin vergleichbar sei das nicht, auch wenn viele der Themen ähnlich sind. Ärztemangel mit medizinischen Versorgungszentren begegnen, Energieversorgung aus öffentlicher Hand sicherstellen, Fachkräftemangel durch Ausbildung und Zuwanderung bekämpfen: Grundsätzlich anders sind linke Lösungen in Thüringen nicht. Doch der Stil sei ein anderer: Ramelow regiere mit "humanistisch orientiertem Pragmatismus" statt "kulturkampforientierter Abgrenzung", lobt der Berliner Linken-Abgeordnete Tobias Schulze.
"Bodo macht hier eigentlich vor, wie wir erfolgreich sein könnten", sagt auch Berlins ehemaliger Kultursenator Klaus Lederer, "und da sollten wir uns ein Beispiel dran nehmen." Mit linker Revolutions-Agitation dagegenhalten funktioniere nicht. "Selbstagitation ist ohnehin immer die heroischste, und dann landest du irgendwann in einer Bubble oder unter drei Prozent", so Lederer. Es ist die Warnung, die er seiner eigenen Partei gerade selbst in Buchform mit auf den Weg gegeben hat. Wie es in der Regierungspraxis aussehen kann, mache Ramelow in Thüringen gerade vor.
Bereit für eine Koalition mit der CDU?
Linke Politik mit konservativen Partnern: ein Vorbild auch für Berlin? Linken-Fraktionschefin Anne Helm will es zumindest nicht ausschließen. "Das ist für uns als Linke auch eine große Herausforderung, selbstverständlich", räumt Helm ein. Aber als Demokraten gegen Rechtsextreme zusammenstehen heiße auch, dass man miteinander sprechen müsse. Ihre Partei habe in der Vergangenheit immer wieder Angebote gemacht, so Helm. "Die CDU tut sich damit erheblich schwer."
Ob Ramelows Pragmatismus ihm eine weitere Amtszeit einbringt, bleibt derweil abzuwarten. Er selbst ist mit Abstand der beliebteste Politiker Thüringens, doch seine Partei liegt in aktuellen Umfragen nur noch auf Platz drei – hinter CDU und AfD. Letztere kann hingegen hoffen, bei der Landtagswahl stärkste Kraft zu werden, mit fast einem Drittel der Stimmen. Der Wahlkampf ist noch lang, sagt Lederer, es könne noch viel passieren. Manche Linke trauen Ramelow zu, nach der Wahl in Thüringen Deutschlands erste Regierungskoalition aus Linken und Christdemokraten schmieden zu können. "Da werden dann andere auch über ihren Schatten springen müssen", so Lederer.
Sendung: Inforadio, 20.04.2024, 08:00 Uhr