Zwei Generationen betroffen - Starker Anstieg der Pflegebedürftigen überrascht Gesundheitsministerium

Mo 27.05.24 | 20:10 Uhr
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Symbolbild: Eine Frau schiebt eine Seniorin im Rollstuhl auf einer Einkaufsstraße in Berlin Friedenau über eine Ampelkreuzung am 16.09.2018. (Quelle: picture alliance/Wolfram Steinberg)
Bild: picture alliance / Wolfram Steinberg

Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt zwar stetig an, von den aktuellen Zahlen wurde Gesundheitsminister Lauterbach nun aber laut eigener Aussage überrascht. Auch in Berlin und Brandenburg gehen die Zahlen nach oben.

  • Zahl der Pflegebedürftigen stark angestiegen, auch in Berlin und Brandenburg
  • Ursache dafür kann laut Lauterbach sein, dass erstmals zwei Generationen gleichzeitig pflegebedürftig werden
  • Zahlen waren laut Gesundheitsministerium niedriger geschätzt worden

Die Zahl der Pflegebedürftigen ist in Deutschland im vergangenen Jahr laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) deutlich stärker gestiegen als gedacht.

"Demografisch bedingt wäre 2023 nur mit einem Zuwachs von rund 50.000 Personen zu rechnen gewesen. Doch tatsächlich beträgt das Plus über 360.000", sagte der SPD-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am Montag. "Woran das liegt, verstehen wir noch nicht genau." In der Pflegeversicherung gebe es "ein akutes Problem".

Insgesamt erhalten aktuell rund fünf Millionen Menschen Leistungen der Pflegeversicherung. 2003 waren es nur zwei Millionen.

Regionale Unterschiede bei Pflegebedarf

Dabei gibt es regional demografische Unterschiede. So waren laut Brandenburger Sozialministerium zur letzten Erhebung 2021 in Brandenburg 184.646 Personen pflegebedürftig. Zum Vergleich: 2011 waren es noch 95.970 Pflegebedürftige in Brandenburg. Das bedeutet fast eine Verdoppelung der Zahlen innerhalb von zehn Jahren. 2019 waren in Brandenburg 153.971 Personen pflegebedürftig.

In Berlin gab es 2021 laut Gesundheitsberichtserstattung des Bundes (GBE) 185.528 Pflegebedürftige. 2011 waren es noch 107.917 Personen - das ist ein Anstieg von knapp 72 Prozent in zehn Jahren. Zwischen 2019 und 2021 erhöhte sich die Zahl der Pflegebedürftigen in Berlin um 27.046 Personen, von 158.482 auf 185.528. Das ist ein Sprung von gut 17 Prozent innerhalb von zwei Jahren.

Der Anteil der Pflegebedürftigen an der Berliner Bevölkerung - auch aufgrund des Bevölkerungswachstums - ist damit zwischen 2011 und 2021 von 3,1 auf 4,9 Prozent angewachsen.

Zum Vergleich: In Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, wurden 2021 knapp 1,2 Millionen Pflegebedürftige gemeldet. In Bayern waren es 578.147, in Baden-Württemberg 540.401 Personen. Die Zahlen schließen dabei alle Pflegeformen und -stufen ein.

Lauterbach: "Sandwicheffekt" in der aktuellen Pflegesituation

"In den letzten Jahren ist die Zahl der Pflege­bedürftigen geradezu explosionsartig gestiegen", so Lauterbach. Er gehe von einem Sandwich­effekt aus. "Zu den sehr alten, pflegebedürftigen Menschen kommen die ersten Babyboomer, die nun ebenfalls pflegebedürftig werden. Es gibt also erstmals zwei Generationen, die gleichzeitig auf Pflege angewiesen sind: die Babyboomer und deren Eltern."

Laut bisherigen Prognosen aus der Wissenschaft erhöht sich die Zahl der Pflegebedürftigen binnen 15 Jahren von heute rund fünf auf sechs Millionen. Regional dürfte der Anstieg von Pflegebedürftigen sehr unterschiedlich ausfallen.

Bundesweit fehlt Pflegepersonal - Pflege wird teurer

Schon jetzt müssen laut einer Befragung des Evangelischen Verbands für Altenarbeit und Pflege vom Februar vier von fünf Pflegeeinrichtungen ihr Angebot einschränken, weil Personal fehlt. Neun von zehn ambulanten Diensten lehnten 2023 Neukunden ab. Zwischen 280.000 und 690.000 Pflegekräfte werden laut Statistischem Bundesamt bis 2049 nach Vorausberechnung vom Februar bundesweit fehlen.

Die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg führt Pflegekräfte an der bundesweit ersten Position unter allen Berufsgruppen mit einem Engpass. Knapp 1,7 Millionen Pflegekräfte in der Kranken-, Alten- und Kinderkrankenpflege waren 2023 in regulären Jobs beschäftigt - 10.000 Beschäftigte mehr als im Vorjahr. 82 Prozent aller Pflegekräfte sind Frauen. Von diesen 1,39 Millionen Frauen arbeitet etwas mehr als jede zweite in Teilzeit.

Die Pflege im Heim wird unterdessen immer teurer. Die Zuzahlungen für Pflegebedürftige sind trotz Entlastungszuschlägen zuletzt weiter gestiegen. Zum 1. Januar waren im ersten Jahr im Heim im bundesweiten Schnitt 2.576 Euro pro Monat aus eigener Tasche fällig - 165 Euro mehr als Anfang 2023.

Lauterbach hatte bereits bisher deutlich gemacht, dass er die reine Beitragsfinanzierung der Pflegeversicherung vor dem möglichen Ende sieht. Langfristig komme man um Steuermittel hierfür nicht herum, sagte er im April auf der Altenpflegemesse in Essen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 27.05.2024, 17:01 Uhr

24 Kommentare

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  1. 24.

    "Überall ist Chaos"
    Nein, das mit den demographischen Zahlen wußte man, wie mit dem Klimawandel schon länger !
    Chaos bringen Verhinderer !

  2. 23.

    Sagen Sie uns wer das finanzieren soll ?
    Die nächste Generation, nebst Renten und weiteren Steuerabgaben (auch wegen Renten) ?
    "Einfach mal neu denken das soziale System. Kapitalistische Denke passt nicht."
    Sie sind nicht die erst, die sich Gedanken über das soziale System macht !
    Sagen Sie es uns ? Höhere Abgaben ? Meldet sich jemand freiwillig dafür ?
    Oder mehr Staatsausgaben und dafür weniger bei wo genau ? Im Sozialbereich (hier ist Rente der größte Faktor) ?

  3. 22.

    Seit gefühlte 20 Jahren wird darüber gesprochen, gestritten usw.! MACHT endlich was! hebt die Löhne! Verkürzt die Arbeitszeiten, dann werden mehr diesen Beruf machen wollen - alles schon tausendmal durchdiskutiert, Mann!

  4. 21.

    Schon spannend, dass die vielen häufig krass unterbezahlten Pflegekräfte aus Osteuropa nicht mit einem Wort erwähnt werden. Bedenkt man doch deren enorme Bedeutung in unserem Pflegesystem.
    Dazu gibt es übrigens eine gute Doku auf ARTE: „Goldgrube Altenheim“.
    Spoiler: Besser wird’s nicht.

  5. 20.

    ... DDR Pflegeheime: als Kind im Schulchor dort immer aufgetreten..., mir schnürte es als 10jährige fast die Stimme weg. Da war absolut nur Notversorgung. Für die "Normalos", wohlgemerkt. Ich habe diese Eindrücke nie vergessen. Traurig.

  6. 19.

    Antwort auf Eve und andere Kommentare:
    Nun, ich kenne mich privat und durch meine frühere berufliche Tätigkeit sehr wohl in der Materie aus.
    Es geht mir nicht um die sehr betagten, hinfälligen und bereits Pflegebedürftigen.
    Es wird ja die Sorge geäußert, dass auch viele aus der jetzigen, sogenannten " Boomer- Generation" Pflegefälle werden. Gerade hier sollte m.E. rechtzeitig von jedem selbst und der Gesellschaft gegengesteuert werden.
    Es gibt genügend ( wissenschaftliche) Erkenntnisse und Empfehlungen zur Prophylaxe ( Bewegung, Ernährung, Vermeidung von Alkohol, Rauchen u.a.), nur müssen diese umgesetzt werden.
    Es macht wenig Sinn, einseitig auf die Politik und gar den " bösen Kapitalismus" zu schimpfen.
    Ich habe noch Alten- und Pflegeeinrichtungen in der DDR kennengelernt ( 8 Pflegebedürftige in einem Raum ! ) .
    Da ist der Großteil der jetzigen Einrichtungen Luxus dagegen !

  7. 18.

    EIN Teil der Wahrheit liegt sicherlich darin, dass "unbürokratischer" auch missbrauchsanfälliger bedeutet.

    Da brauchte ich keine Corona-Testzentren, oder Corona-Übrückungshilfen für Selbständige, um die Erfahrung zu machen, dass Menschen überall dort betrügen, wo es die Möglichkeit dazu gibt.

    Mich hatte damals lediglich überrascht, dass es so viele schwarze Schaafe (plus Dunkelziffer) waren.

    Von daher wäre ich hier nicht sonderlich überrascht, wenn eine Zweitprüfung ergäbe, dass 100 000 der knapp 300 000 (unerwartet) Zusätzlichen Betrüger sind.

    Hier dürfte Berlin vermutlich im Bundesdurchschnitt einen der Spitzenplätze (Quote) belegen.

  8. 17.

    Wir reden seit Jahren über den demografischen Wandel. Dass der erhöhte Renteneintritt auch eine höher Anzahl an Menschen braucht um sie zu versorgen habe ich in den Diskussionen der letzten Jahre nicht wahrgenommen. Auch im Rahmen von Covid wundert mich der Anstieg eher nicht, auch wenn er ganz schön heftig ist. Manche Menschen schleppen ihren schon angeschlagenen Körper in die Rente und der sinkende Stress zeigt erst richtig den Zustand. Da geht so mancher Mensch mit der Rente direkt ins Krankenhaus. Alles bekannt und absehbar seit Jahrzehnten (abgesehen von Covid).
    Von der aktuellen Regierung werden schon Zaubereien verlangt bei den Problemen, die so schon da sind, aber da lungern noch viele viele Baustellen, die einfach nur in die Zukunft verschoben wurden und diese Zukunft ist jetzt da.

  9. 16.

    Netter Gedanke. Wer so leben möchte, hat doch die Möglichkeit dazu. Nur, was machen diejenigen, die keine weitere Familie haben oder ungesunde Familienverhältnisse oder komplizierte Familienstrukturen?
    Das kann nicht die alleinige Lösung sein. Man muss bei der Arbeit mit Menschen vom Profitstreben wegkommen. Der Mensch gehört mit seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt gestellt und das muss anders finanziert werden. Einfach mal neu denken das soziale System. Kapitalistische Denke passt nicht.

  10. 15.

    Wieder überrascht ? So wie von der Bundeswehr ohne Leute und Mittel ?
    Den Folgen von Klima oder politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen ? Das ist das Problem ! Diese "Starbesetzung auf politischer Ebene" reagiert nur und agiert nicht. Das hat Folgen für mich und meine Familie ! Hohe Kosten, Unsicherheit, Ängste und ein Gefühl der Machtlosigkeit. Wo ist die Wissenschaft ? Wo ist die Strategie, basiert auf fundierten Erkenntnissen ?
    Demokratie in Gefahr. Überrascht?

  11. 14.

    Kann ich nur zustimmen. Leider Leben die Politiker in ihrer eigenen Welt und setzen nur das um was ihre Partei möchte und nicht der Wähler. Wir haben nur die Change dies bei der nächsten Wahl zu zeigen.

  12. 13.

    Es muss wieder mehr Mehrgenerationenhäuser geben. Länder wie Vietnam machen es vor, wie es funktioniert, wenn die ganze Familie unter einem Dach lebt. Zeit zum Umdenken! Kinder müssen sich um die Eltern kümmern (können).

  13. 12.

    Tja, wie ist denn, der Eigenanteil steigt und steigt. Sicher möchte man mit der Bezahlung dafür auch Dankbarkeit für Umsorgung etc. danken, gar keine Frage.
    Aber inzwischen ist es so, dass es nur noch Angst erzeugend ist, in einem Pflegeheim "zu landen". Wenn es mit den Kostensteigerungen für Privat so weiter geht, muss man sich schon Sorgen machen, ob man im Leben so viel verdienen kann, wie dann 'letzten Endes' bezahlt werden muss. Aber vielleicht gibt es gar keine andere Lösung. Ich wüsste jedenfalls keine.
    Das Wissen darum ist nicht gerade geeignet, sorgenfrei und gesund zu altern wie es die bunten Werbebroschüren versprechen. Auf der anderen Seite muss man trotz Dankbarkeit/Liebe feststellen, dass an einem sehr hochbetagten Menschen sehr viel Geld zu verdienen ist! Die Steuererklärung macht's möglich. (Kopfschüttel).

  14. 11.

    Ganz genau! sehenden Auges hat uns die Politik in diese Situation geraten lassen. Warnende Stimmen Mitte der neunziger, Anfang der Zweitausender wurden einfach abgetan. Ausbaden müssen wir das, oder die jetzt Pflegebedürftigen... Und das Schlimmste daran ist, dass mit Pflege, egal ob Krankenhaus oder Heim, Profit gemacht wird...

  15. 10.

    Meine Eltern (beide über 70) kümmern sich um meinen Opa (mitte 90). Sie pflegen ihn nicht. übernehmen aber alle Kommunikation mit allen Stellen. Das ist fast ein Vollzeitjob. Es ist schwer und nervenaufzehrend. Man bekommt NICHTs geschenkt, muss allem hinterherrennen und nimmt auch nicht mal eben was mit. Das zu unterstellen zeigt, wie wenig Sie sich mit der Materie auskennen.

  16. 9.

    Wo lebt eigentlich Herr Lauterbach, dass ihn diese Entwicklung überrascht!? Seit Jahrzehnten ist es absehbar und sehenden Auges ist die Politik in diese Situation getrampelt! Die ganze verworrende Politik in dieser Republik ist ausschlaggeben für die dementsprechenden katastrophalen Entwicklungen, die nicht überraschend sind

  17. 8.

    Fall aus dem Alltag meine Freundin 63 kümmert sich jahrelang um pflegebedürftige Mutter knapp 90, kaum ist die Mama gestorben wurde bei meiner Freundin ein Krebs festgestellt, also nach ca. Einem Jahr dem Tod der Mutter war /ist sie selbst ein Pflegefall.

    Manches kann man nicht vorhersehen.

  18. 7.

    Mit der Einführung der Fallpauschalen 2003 wurde die Ökonomisierung des Gesundheitswesens forciert. Die fundamentalsten Umwälzungen haben in den vergangenen 20 Jahren im Bereich der stationären Pflege und stationären Krankenpatientenversorgung stattgefunden. Immer mehr Einrichtungen und Kliniken sind Firmen, die maximale Rendite erwirtschaften sollen. Unsere Volksvertreter haben das durch politische Rahmenbedingungen ermöglicht. Wähler:innen und Patienten bekommen nun, was sie mehrheitlich gewählt oder durch Wahldesintresse indirekt ermöglicht haben:
    Rendite vor Gesundheit und Gemeinwohl. Und es wird nicht besser: mehr Zuzahlungen im Gesundheitswesen, mehr Pflegebedürftige, mehr Wohnungssuchende nach bezahlbarem Wohnraum.

  19. 6.

    Wie kann man sich so gravierend verschätzen. In meinen Augen ist das sowas von peinlich. Machst du dein Job auch so, bist du ihn los. Überall ist Chaos und es geht noch weiter und wird noch schlimmer werden.

  20. 5.

    Also die Erklärung für die große Überraschung und die große Differenz, die hätte ich doch gerne.

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