Berufsfußballer gegen Hobbykicker - Warum es Amateurteams in der Regionalliga immer schwerer haben
Das Klassensystem des deutschen Fußballs zeigt sich auch in der Regionalliga Nordost. Für Feierabend-Klubs wird es eng. Über Flaschenhälse, einen Aufstiegsstau und einen ehemaligen Bundesligisten, dem die Liga fast zum Verhängnis wurde. Von Shea Westhoff
Was es heißt, wenn unterschiedliche Realitäten in der Fußball-Regionalliga aufeinandertreffen, hat die vergangene Woche deutlich aufgezeigt: Kältebedingt war der Rasen von Energie Cottbus im Stadion der Freundschaft unbespielbar gewesen, deswegen wurde die Partie gegen Lichtenberg 47 auf einen Montagabend verschoben, 20 Uhr.
Nun sind die Fußballspieler der gastierenden Mannschaft allesamt Studenten, Auszubildende oder Berufstätige. Mittelfeldspieler Christian Gawe etwa arbeitet als Erzieher. Kapitän David Hollwitz ist Steuerberater. Das Montagsspiel bedeutete für die Lichtenberger Kicker also eine zweistündige Fahrt in die Lausitz, 90 Minuten Fußballspielen und dann eine Rückfahrt am selben Abend. Viel vom Feierabend blieb da nicht übrig. Gegen die Berufsfußballer aus Cottbus gingen die Freizeitsportler mit 0:5 unter.
"Professionelle Strukturen, mindestens 3. Liga"
"Ein schwieriges Thema", sagt Maximilian Zimmer, angesprochen auf die unterschiedlichen Welten innerhalb der Regionalliga. Der heutige Spielerberater war früher für mehrere Regionalliga-Klubs aktiv, zuletzt für eben jenen FC Energie. Er ist sich dem Zwitterdasein der Liga zwischen Amateur- und Profitum durchaus bewusst.
Auf Klubs wie Lichtenberg, Halberstadt und Meuselwitz treffe der Begriff "Amateurfußball" tatsächlich zu. "Auf der anderen Seite hast du Profi- und Traditionsvereine, die hochwollen", sagt der 30-Jährige und nennt Cottbus, Chemnitz und Jena als Beispiele. Hinzuzufügen wären noch Rot-Weiß Erfurt, BFC Dynamo, VSG Altglienicke und mittelfristig auch Viktoria Berlin - und Neuling Greifswalder FC, der sich mehrere Spieler leistet, die bereits Erfahrung in der 1. oder 2. Bundesliga vorweisen können.
"Du hast Fans im Hintergrund, du hast eine Geschäftsstelle, alles professionell aufgestellt", erinnert sich Zimmer an seine Zeit als Spieler und Sportchef bei Energie Cottbus. "Die Spieler haben Krafträume zur Verfügung, Sauna, Wellness. Das sind professionelle Strukturen, mindestens 3. Liga."
Ähnliche Bedingungen vermutet er bei Lok Leipzig, Carl Zeiss Jena, dem Chemnitzer FC. "Die trainieren alle zweimal am Tag, da muss keiner arbeiten gehen, die können alle davon leben."
Ligasystem gleicht einem Flaschenhals
Die Systematik des deutschen Ligabetriebs wird gerne als Pyramide bezeichnet, deren Fundament aus den zahlreichen lokalen Liga-Staffeln mit ihren kleinen Vereinen besteht. Die Basis des Fußballs. Nach oben hin wird das Konstrukt immer enger, Ebene für Ebene. An der Spitze befindet sich die Bundesliga.
Doch das Bild der Pyramide ist eigentlich falsch. Zumindest oberhalb der fünf deutschen Regionalligen gleicht das Konstrukt eher einem Flaschenhals. Es geht senkrecht nach oben: 3. Liga, 2. Liga, 1. Liga. Dort steckt das große Geld aus TV- und Werbeeinnahmen sowie Prämien.
Aufstiegsstau in der Regionalliga
Allerdings ist das Schlupfloch hinein in den Flaschenhals denkbar klein. Nur vier der fünf regionalen Meister können jährlich in die 3. Liga aufsteigen. Für die Regionalliga Nordost ist das ein Problem. Denn der Erstplatzierte steigt auch in diesem Jahr nicht automatisch auf, muss in der Relegation den Sieger der Regionalliga Bayern bezwingen. Schon im Vorjahr blieb Nordost-Meister BFC Dynamo nach einer verlorenen Relegation in der Liga stecken.
Die Folge: ein Aufstiegsstau in der Regionalliga Nordost. Es bildet sich eine immer länger werdende Schlange ambitionierter Profiklubs, welche die Regionalliga Nordost nicht als ihr natürliches Habitat betrachten – zumal viele dieser Vereine über eine schillernde Europapokal-Historie verfügen, etwa Carl Zeiss Jena, Chemnitzer FC und Lok Leipzig.
Rund um die großen Klubs gebe es eine riesige Erwartungshaltung, sagt auch Maximilian Zimmer. So hatte es vor und nach dem Cottbuser 5:0-Erfolg gegen Lichtenberg für die Mannschaft von Pele Wollitz zwei Niederlagen und ein Remis gesetzt. "Da brennt doch schon direkt der Baum", sagt er.
Verband kann keine Rücksicht auf Freizeitmannschaften nehmen
Wilfried Riemer kennt die Mechanismen der Regionalliga wie kaum ein anderer. Der 67-Jährige ist Spielleiter der Regionalliga Nordost, heißt: Spielpläne erstellen, Spielausfälle neu terminieren, Ansprechpartner sein für die Klubs bei der Einhaltung der Zulassungsvoraussetzungen.
Riemer bestätigt zunächst: "Wir haben ein Gefälle zwischen den Klubs, die unbedingt in die 3. Liga wollen und dementsprechend versuchen, das mit finanziellen Mitteln auch zu erreichen, und den anderen Klubs." Die Liga werde immer profihafter, "die ganze Arbeit und das ganze Drumherum, das ist schon so."
Wenn es um die Erstellung von Spielplänen geht, könne man dabei keine gesonderte Rücksicht auf Freizeitmannschaften nehmen. "Da müssen wir alle gleich behandeln. Ich kann nicht sagen: Die Profis spielen alle zwei Tage und Amateure alle fünf", sagt er.
Trotz der unterschiedlichen Niveaus innerhalb einer Liga nimmt Riemer die Situation entspannt. Es sei wie im richtigen Leben: "Der eine will höher, der andere ist zufrieden mit dem, was er hat", sagt er. "Ich sehe das als Lauf der Dinge. Das ist ganz normal."
Das sieht nicht jeder Klub so. Das hohe Niveau der Regionalliga kann auch Existenzen berühren, wie der Fall Tasmania Berlin zeigt. Nachdem der Neuköllner Verein in jüngerer Geschichte in sehr niedrigen Fußball-Gefilden unterwegs war, winkte vor zwei Jahren aufgrund eines Corona-bedingten Saisonabbruchs plötzlich der Aufstieg in die Regionalliga.
"Ich war der einzige von den Funktionären und der Mannschaft, der gesagt hat: Wir sollten nicht hochgehen", erinnert sich Klubpräsident Almir Numic im Gespräch mit rbb|24. "Mir war klar, dass das eine Mammutaufgabe sein würde für den gesamten Verein." Hauptgründe für seine Skepsis waren die Auflagen für die höchste Amateurspielklasse.
Andere Vereine wären insolvent gegangen
Numic wurde vereinsintern trotzdem überstimmt, man entschied sich für den Aufstieg. Weil jedoch der heimische Werner-Seelenbinder-Sportpark nicht den Anforderungen des Verbands entsprach, musste man für Heimspiele ins Stadion Lichterfelde ausweichen. "Wir haben schnell gemerkt: Ein Neuköllner fährt nicht nach Lichterfelde", sagt Numic heute. Einige von den treuesten Anhängern hätten sich abgewandt. "Es war eine anstrengende Saison."
Die Kosten, die man in der Regionalliga hat, könne man vorher nicht zu 100 Prozent kalkulieren: "Schiedsrichtergebühren, die Auswärtsfahrten, die Verpflegung, teilweise Übernachtungen", sagt er. Da komme einiges zusammen. Für Amateurvereine seien das Faktoren, "die dazu beitragen, dass sie um die Existenz spielen." Er glaubt: "Ein anderer Verein wäre an unserer Stelle sicherlich insolvent gegangen."
Tatsächlich ist Tasmania kolossal abgestiegen, als Tabellenletzter. Bei den Liga-Schwergewichten setzte es heftige Klatschen. Einst spielte Tasmania die schlechteste Saison der Bundesliga-Geschichte. Die Bilanz zum Ende der Regionalliga-Saison hatte ebenfalls einen historischen Geschmack: nur drei Siege bei einem Torverhältnis von 28:107.
"Im Grunde war für mich nur wichtig, dass der Verein nicht auseinanderbricht", sagt Numic. Zum Glück habe es nur einen kleineren Umbruch auf Funktionärsebene gegeben, außerdem hielten immerhin 13 Spieler aus der Regionalligasaison dem Klub die Treue.
Numic plädiert für eine Überarbeitung der Regionalliga-Auflagen. "Wenn ein Amateurverein sportlich in die Regionalliga hochgeht, dann steht ihm ein Aufstieg auch zu", sagt er. Wichtig sei, dass diese Klubs sich dann finanziell nicht aus dem Fenster lehnen müssten, sondern dass es eine Frist von beispielsweise drei Jahren gebe, in denen der Verein weitgehend von teils kostspieligen Auflagen befreit sei.
Vorbild Lichtenberg
Was die enorme sportliche Konkurrenz in der Liga angehe, würden die zahlreichen Topklubs allerdings gerade den Reiz der Regionalliga ausmachen. Mittelfristig will Numic mit Tasmania zurück in die vierthöchste Ebene.
Sein Vorbild ist ein Freizeitverein, der bereits thematisiert wurde: "Lichtenberg hat uns das über Jahre deutlich und klar gemacht, dass Regionalligaspielen auch möglich ist, wenn man nur abends trainiert", sagt er.
Lichtenberg hält sich mittlerweile das vierte Jahr in der Regionalliga. Ob es eine weitere Spielzeit geben wird, ist jedoch ungewiss. Aktuell rangiert das Team auf einem Abstiegsplatz.
Sendung: rbb24 Inforadio, 28. Februar 2023, 13:15 Uhr