Fragen und Antworten zum Finanzbericht - Wie Hertha in finanzielle Schieflage geriet - und was das für die Lizenz bedeutet
Der kürzlich veröffentlichte Finanzbericht von Hertha BSC zur Hinrunde der aktuellen Bundesligasaison offenbart riesige Probleme. rbb|24 erklärt, welche Zahlen besonders schwer wiegen, wie es dazu kommen konnte und was das für die Zukunft heißt.
Vorab: Die Tendenz des nun von Hertha BSC veröffentlichten Berichts war nicht überraschend. Bereits die vergangenen Finanzberichte des Klubs hatten gezeigt, dass der Berliner Traditionsverein auf enorme Probleme zusteuert. Die Geschwindigkeit des wirtschaftlichen Niedergangs war so aber nicht mit Sicherheit vorauszusehen.
Was genau ist an dem neuen Finanzbericht so beunruhigend?
Kurz zusammengefasst: Die Zahlen zeigen, dass Hertha weiterhin hohe Schulden hat und längst nicht mehr genug Geld, um diese zu bedienen. Der Trend ist alarmierend, Hertha macht weiter riesige Verluste. Die letzten Reserven sind aufgebraucht.
In Zahlen aufgeschlüsselt liest sich das so: Nach dem ersten Halbjahr der laufenden Spielzeit (von Juli bis Ende Dezember 2022) weist Hertha BSC ein negatives Eigenkapital von -15,1 Millionen Euro aus. Die Verbindlichkeiten (Schulden) betragen 90,8 Millionen Euro - das ist sogar ein leichter Anstieg. Was Hertha noch hat, ist ein Umlaufvermögen (Geld auf der Bank und erwartete zeitnahe Einnahmen) von 26,4 Millionen Euro und ein Anlagevermögen (dazu zählen die Spieler) von 59,5 Millionen Euro.
Im vergangenen halben Jahr hat Hertha erneut einen immensen Verlust erwirtschaftet: -44,6 Millionen Euro stehen zu Buche. Insgesamt plant der Klub mit einem Minus von 64 Millionen Euro für diese Spielzeit.
Und: Die Zeit drängt, denn die Verbindlichkeiten, die Hertha vor sich her schiebt, sind bald fällig. Über 88 Millionen Euro sind innerhalb der nächsten zwölf Monate abzubezahlen. Ein immenser Kraftakt.
Wie konnte das passieren?
Hertha hat sein strukturelles Problem nicht in den Griff bekommen: Die Einnahmen passen immer noch nicht zu den Ausgaben.
In der aktuellen Zwischenbilanz für die Hinrunde sind rund 51,3 Millionen Euro Gehaltskosten verzeichnet. Dem gegenüber stehen Einnahmen von 66,5 Millionen Euro. Bedeutet: Mehr als drei Viertel der Einnahmen fließen direkt weiter in die Gehälter des Klubs. Das ist viel zu viel. Solide Bundesligisten wie der SC Freiburg oder Mainz 05 verplanen ungefähr die Hälfte ihrer Einnahmen in den Gehältern.
Der Größenwahn der ersten Saison nach dem Einstieg von Investor Windhorst (2019/20) hat das Gehaltsniveau langfristig angehoben. Allerdings ist es nicht nur das: Die Verantwortlichen von Hertha BSC beteuern nun schon seit anderthalb Jahren, die Gehälter senken zu wollen. Stattdessen steigen diese weiter. In der Hinrunde waren es nochmal fast fünf Millionen Euro mehr als zur Winterpause der Vorsaison. In diesen Zahlen sind wohlgemerkt nicht nur die Spieler einberechnet, sondern auch alle Mitarbeiter sowie die Geschäftsführung. Die Belegschaft wurde erst unter Fredi Bobic enorm vergrößert.
Wieso verursachen teure Transfers aus vergangenen Jahren jetzt noch Probleme?
Zum einen, weil die eingekauften Spieler meist Verträge mit hohen Gehältern und langen Laufzeiten bekommen haben. Krzysztof Piatek, Dodi Lukebakio oder Lucas Tousart beispielsweise bekommen teilweise noch mehrere Jahre ihre Gehälter, die Hertha in besseren Zeiten vereinbart hat.
Zum anderen, weil die ebenfalls hohen Ablösesummen, die für die Transfers bezahlt wurden, in der Bilanz nicht auf ein Mal, sondern jahrelang anteilig abgeschrieben werden – über die Dauer der Vertragslaufzeit.
Ein Beispiel: Hertha kaufte Dodi Lukebakio im Sommer 2019 für 20,6 Millionen Euro und gab ihm einen Fünfjahresvertrag. Bis zum Sommer 2024 muss Hertha nun jedes Jahr 4,12 Millionen Euro abschreiben, die als Verluste in die Gewinn- und Verlustrechnung einfließen - nur für diesen einen Deal. Gleiches gilt für die ebenfalls kostspieligen Transfers von Krzysztof Piatek und Lucas Tousart in ähnlicher Größenordnung, dazu kommen weitere kleinere Deals. Das summiert sich auf erhebliche zweistellige Millionenbeträge, die Herthas Bilanz Jahr für Jahr belasten.
Ist die Bundesliga-Lizenz in Gefahr?
Das lässt sich noch nicht abschließend beurteilen. Hertha muss in der kommenden Woche die Unterlagen für die Lizenz bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) einreichen, dann beginnt das Lizensierungsverfahren. Dabei muss die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit bis zum Ende der Saison 2023/24 nachgewiesen werden und zwar mit einem konkreten Plan, der auf eine schwarze Null im Juni 2024 herausläuft.
Wie genau Herthas Plan aussehen soll, wird aus dem öffentlichen Finanzbericht nicht deutlich. Gemessen daran haben die Verantwortlichen noch viel Arbeit vor sich. Die Unterlagen, die die DFL erhalten wird, werden allerdings auch deutlich umfangreicher sein - um die 200 Seiten. Vage Pläne wie der Verweis auf mögliche Transfereinnahmen oder geplante Anteilsverkäufe an einen Investor werden Hertha aber nicht retten. In der Regel will die DFL unterschriebene Verträge für vorvereinbarte Deals sehen.
Herthas Geschäftsführer Thomas Herrich teilte rbb|24 auf Anfrage mit, der Verein sei noch dabei, die Unterlagen für die DFL zu erstellen. "Über die Erteilung der Lizenz – ob nun mit oder ohne Bedingungen oder Auflagen – wird dann im Rahmen des Lizensierungsverfahrens durch die DFL entschieden", schreibt Herrich. Die DFL äußert sich zu einzelnen Klubs vor Abschluss des Verfahrens grundsätzlich nicht.
Dass Hertha tatsächlich direkt die Lizenz verweigert wird, erscheint aber unwahrscheinlich, wenn man sich bisherige Härtefälle wie Schalke 04 oder den Hamburger SV anschaut. Meistens findet sich jemand, der einem Bundesligisten Geld leiht - ein Investor, die Bank oder sogar die Landesregierung über eine Bürgschaft. Eine Kompromiss-Lösung könnte auch eine Lizenz unter Auflagen sein. Vor allem bei negativem Eigenkapital griff die Liga in der Vergangenheit bereits zu diesem Mittel. Hertha müsste dann zum Beispiel ein vorgegebenes Transferplus erzielen. Auch die Überwachung der wirtschaftlichen Entwicklung durch die DFL wäre dann noch strenger.
Bis zur Entscheidung über die Lizenz hat der Klub aber noch ein bisschen Zeit. Nach Einreichung der Unterlagen wird die DFL mit Hertha im Dialog sein. Bis Mitte oder Ende April könnte das hin und her gehen, die endgültige Entscheidung fällt erst zum Saisonende.
Wie will der Klub seine finanzielle Situation verbessern?
Das Problem ist, dass viele planbare Einnahmen stark vom sportlichen Erfolg abhängen. Die Gelder aus der TV-Vermarktung der Liga werden zu einem erheblichen Teil anhand der Platzierung in den Vorjahren aufgeteilt. Hier kriegt Hertha also seit Jahren immer weniger Geld. Auch Sponsorendeals und VIP-Logen lassen sich leichter verkaufen, wenn der Klub erfolgreich ist.
In der letzten Saison generierte Hertha deshalb fast die Hälfte seiner Einnahmen aus Spielerverkäufen. Damals wurden die Stars Jhon Cordoba und Matheus Cunha teuer verkauft. Solche hohen Transfererlöse fehlten in dieser Saison bisher. Wahrscheinlich wird Hertha zeitnah gezwungen sein, bei guten Angeboten weitere Leistungsträger zu verkaufen.
Zur Überbrückung nutzt Hertha Einnahmen aus der Zukunft. Im Finanzbericht ist bereits eine Vorauszahlung des Trikot-Sponsors Nike verbucht, in Höhe von 10,9 Millionen Euro. Auch über eine mögliche Kreditlinie von der Bank wird bereits informiert, die liegt bei 35 Millionen Euro. In dieser Höhe könnte sich Hertha also Geld von einer Bank leihen. Ein Teil der Schulden ließe sich damit bedienen.
Besonders dringend ist eine Lösung für die größte Einmalzahlung unter den Verbindlichkeiten. Im November 2023 wird die Rückzahlung von 40 Millionen Euro aus einer Nordic Bond Anleihe fällig. Wie das gestemmt werden soll, verrät der Verein nicht. Es heißt lediglich, man würde alle Finanzierungsmodelle prüfen - durch Eigen- oder Fremdkapital. Der DFL wird Hertha das genauer erklären müssen. Entgegen eines Berichts des "kicker" soll die Summe immerhin nicht durch Zinsen noch weiter steigen. Auf rbb-Anfrage teilte Hertha mit, die Zinsen seien bereits quartalsweise während der Laufzeit bedient worden. Es sind also nur die 40 Millionen Euro abzubezahlen, nicht wie vom kicker berichtet über 54 Millionen.
Derzeit läuft vieles darauf hinaus, dass Hertha weitere Schulden machen muss, um Schulden zu bezahlen. Kurzfristig kann das die Lizenz retten. Langfristig würden sich die Probleme durch solche Maßnahmen allerdings nur in die Zukunft verschieben.
Welche Rolle spielt der Deal mit dem möglichen neuen Investor 777 Partners?
Das kommt darauf an, wie ernst es 777 mit der Absicht ist, zusätzlich in Hertha zu investieren. Kauft die Firma zunächst nur die 64,7 Prozent der Anteile an Hertha von Lars Windhorst, hätte der Klub nichts davon. Hertha kann nur dann profitieren, wenn das US-Amerikanische Unternehmen weitere Anteile kauft und damit Geld ins Eigenkapital des Klubs fließt. Eine Zusicherung weiterer Anteilskäufe würde Hertha im Lizensierungsverfahren definitiv helfen, aber - wie schon beschrieben - nur dann, wenn der Deal schriftlich fixiert wäre.
Noch ist es aber nicht so weit, auch wenn sich die Zeichen (mal wieder) verdichten, dass der Einstieg bald abgeschlossen werden könnte. Ein Sprecher von Lars Windhorsts Firma Tennor teilte dem rbb mit, Windhorst sei sich mit 777 seit Ende Dezember einig. Es liege an den Verhandlungen zwischen Verein und neuem Investor, dass noch nichts unterschrieben ist.
Hertha teilt auf Anfrage dazu mit: "Wir befinden uns bezüglich der Gespräche mit 777 Partners und einer möglichen Zusammenarbeit in einem Stadium, welches uns sehr positiv stimmt. Wie üblich in einem solchen Prozess mit einem derart umfassenden Vertragswerk gibt es jedoch bis zur Vertragsunterzeichnung viele Details zu klären." 777 Partners antwortete auf eine schriftliche Anfrage nicht.
Was passiert, wenn Hertha absteigt?
Dann könnte die Frage nach der Lizenz vielleicht doch noch kurzfristig kritisch werden. Die Vermarktungserlöse würden drastisch einbrechen und auch der direkte Wiederaufstieg ist kein Selbstläufer, wie der Fall des Hamburger SV gezeigt hat - planen darf man mit ihm ohnehin nicht. Für Hertha wäre es deshalb umso komplizierter, der DFL darzulegen wie die Finanzierungslöcher gestopft werden sollen. Ein Abstieg ist also auch vor diesem Hintergrund dringend zu vermeiden.
Sendung: rbb24 Inforadio, 10.03.2023, 15 Uhr