Wechsel von Hertha - Wieso Lucas Tousart perfekt ins Team von Union passt
Sein Wechsel zu Union versetzte viele Hertha-Fans in Aufruhr: Lucas Tousart. Gleich bei seinem ersten Spiel als Köpenicker hat er angedeutet, wie er Union verstärken könnte. Ist Manager Ruhnert ein neuer Coup gelungen? Von Till Oppermann
Als Lucas Tousart vor seinem ersten öffentlichen Training als Unioner etwas schüchtern den Rasen betrat, trug er ein kleines Pflaster auf seinem bärtigen Kinn. Einige witzelten schon, der Mittelfeldspieler habe nach der Verkündung seines Wechsels zu Union Besuch von Hertha-Keeper Marius Gersbeck bekommen, gegen den wegen einer Schlägerei ermittelt wird. In dieser Hinsicht gab es schnell Entwarnung: Tousart hatte im nichtöffentlichen Training am Tag zuvor einen Stollen abbekommen.
Aber der Zorn der Herthaner ist ihm auch ohne körperliche Angriffe gewiss. Nach einem Abstieg als ehemaliger Vizekapitän zum Lokalrivalen wechseln? Das macht nur ein Söldner, da waren sich zumindest die Blau-Weißen einig. Schließlich hatten sie Tousart wegen seiner kämpferischen Spielweise ins Herz geschlossen.
Union-Fans begrüßen Tousart herzlich
"Warum eigentlich nicht?", könnte man ihnen antworten. Als Tousart 2020 durch ein horrendes Gehalt vom Champions League-Teilnehmer Lyon zu einem Verein gelockt wurde, der sich erst noch zum Topklub entwickeln wollte, begrüßte ihn schließlich auch kein Herthaner mit "Söldner"-Rufen. Und dass sich der Franzose und seine Frau in der Hauptstadt wohl fühlen und hierbleiben wollten, kann ihnen wohl kein echter Berliner ernsthaft übelnehmen.
Aber im Fußball geht es eben oft mehr um Emotionen als um rationale Argumente. Das gilt auch in Köpenick und so war Tousart vor seinem ersten Testspieleinsatz für den 1. FC Union sicher sehr gespannt, wie ihn die neuen Fans begrüßen würden. Die Antwort ist einfach: Vor dem Spiel gab es für ihn von den Rängen ein "Fußballgott" wie für jeden anderen Unioner auch. Tousart belohnte die Zuschauer mit vielversprechenden ersten 60 Minuten im zentralen Mittelfeld.
Gegen Kiel zeigte Tousart seine Klasse
Gegen Holstein Kiel stellte Urs Fischer seinen Neuzugang auf der halblinken Achterposition im Union-Mittelfeld auf und man merkte Tousart nicht an, dass er erst zwei Tage mit seiner neuen Mannschaft trainieren konnte. Er lief die Gegner an, als würde er schon seit Jahren Unioner sein, bewegte sich agil und den Ball mit sauberen Pässen sicher über das Feld und glänzte mit einigen guten Offensiv-Ideen. Lucas Tousart hat die Klasse, sich bei Union durchzusetzen. Das ist gewiss.
Nicht umsonst sagte Sportdirektor Oliver Ruhnert bei der Vorstellung des Neuen: "Er wird perfekt zu uns passen." In der vergangenen Saison war Tousart der zweitlaufstärkste Spieler der Bundesliga. Herthas Mannschaft insgesamt schaffte es in der gleichen Statistik nur auf Rand 14 von 18. Außerdem gehörte er zu den besten Kopfballspielern der Liga. Dürfte sich Urs Fischer auf Grundlage der Spielweise der letzten Jahre den perfekten Union-Mittelfeldspieler backen, würde das Ergebnis Tousart sehr ähnlichsehen.
Tousart ergänzt ein starkes Mittelfeldteam
Mit Kampf und Einsatz grätschte er sich ins Herz vieler Fans. Seine fußballerische Klasse konnte Tousart bei Hertha BSC aber selten zeigen. Das hatte verschiedene Gründe, zum Beispiel musste er sich häufig für seine Mitspieler aufreiben. Erst am Samstag sagte Pal Dardai, die Hertha-Mannschaft der vergangenen Saison habe zu 70 Prozent aus faulen Spielern bestanden. Wenn man Tousarts Laufwerte mit denen der gesamten Mannschaft vergleicht, ist man geneigt dem zuzustimmen.
Dazu kommt, dass Herthas 25 Millionen-Euro-Rekordeinkauf im Westend unter einem ganz anderen Druck stand als jetzt bei Union. Er sollte die Mannschaft leiten und gleichzeitig defensiv wie offensiv das Mittelfeld dominieren. Kein Wunder, dass das bei ständigen Trainerwechseln nicht funktioniert hat.
Bei Union findet Lucas Tousart eine ganz andere Situation vor: Er ergänzt eine funktionierende Mannschaft. Neben ihm stehen mit Rani Khedira, Alex Kral, Janik Haberer, Aissa Laidouni und Brenden Aaronson fünf weitere mögliche Stammspieler in der Zentrale bereit. Gegen Kiel deutete Tousart an, dass ihm der geringere Druck helfen könnte. Abgesichert von einem herausragenden Sechser wie Khedira, spielte er deutlich befreiter nach vorne.
Die Chancen stehen gut, dass die Eisernen in diesem Sommer endlich auch ihr Mittelfeld nachhaltig weiterentwickeln. Auch weil Tousart zusätzlich zu den defensiven und kämpferischen Tugenden, die auch ein Morten Thorsby verkörpert, ein Fußballer ist, der mit einem guten Passspiel und viel Ruhe ein Spiel ordnen kann.
Tousart ist ein typischer Ruhnert-Deal
Der Wechsel zu Union ist für viele Herthaner besonders demütigend, weil er die gegensätzliche Entwicklung beider Vereine aufzeigt. Ein Spieler, der nach Berlin kam, um Champions League zu spielen, spielt jetzt Champions League, aber nicht für die große "alte Dame", sondern für die Emporkömmlinge. Union hat den Transfer aber nicht getätigt, um Hertha das unter die Nase zu reiben. Vielmehr handelt es sich um einen typischen Oliver-Ruhnert-Deal.
Der Manager sucht stets nach talentierten Spielern, die durch Abstiege, Formdellen oder andere Umstände günstig zu haben sind. Im ruhigen Union-Umfeld sind schon viele von ihnen aufgeblüht. Die kolportierten drei Millionen Euro Ablöse für einen Spieler wie Tousart sind ein Schnäppchen. Das ist kein Zufall. Viel mehr ist es Ausdruck der Tatsache, dass Ruhnert die finanzielle Notlage von Hertha ausgenutzt hat, um den Preis so weit wie möglich zu drücken. Der 1. FC Union hat so einen Spieler gewonnen, der perfekt in die Mannschaft passt. Das noch junge Berliner Derby eine Geschichte, an die sich Fans noch in fünfzig Jahren erinnern werden.
Sendung: Fritz, 22.07.2023,