Kommentar - Der Kempf-Abgang gefährdet Herthas Aufstiegstraum

Mi 28.08.24 | 16:46 Uhr | Von Marc Schwitzky
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Kempf Rücken (IMAGO / Fotostand)
Bild: IMAGO / Fotostand

Mit Marc Oliver Kempf verlässt der nächste Leistungsträger Hertha BSC. Der Abgang des Innenverteidigers reißt eine riesige Lücke in den Plan von Trainer Fiél und ist daher eine Gefahr für Herthas Aufstiegsambitionen. Ein Kommentar von Marc Schwitzky

Der Comer See in der wunderschönen Lombardei, die erste italienische Liga mit Klubs wie Juventus, Inter oder Milan, ein finanzkräftiger Verein mit großem Gehaltsbudget, Champions-League-Sieger Raphael Varane als Partner in der Innenverteidigung und Fußballikone Cesc Fabregas als Trainer - es gibt wahrlich viele Gründe für Marc Oliver Kempf, dem Angebot von Como 1907 zu folgen. Der Innenverteidiger verlässt Fußball-Zweitligist Hertha BSC nach zweieinhalb Jahren - gerade als er erst so richtig angekommen zu sein schien.

Was für Kempf eine große Möglichkeit ist, stellt für Hertha einen riesigen Verlust und somit eine immense Herausforderung dar. Es ist ein herber Dämpfer für die Berliner, die in dieser Saison die Erstligarückkehr anpeilen, gerade zur spielerischen Einheit zusammenschmolzen und nun durch gleich mehrere Abgänge wieder auseinandergerissen werden.

Das macht Kempf so wertvoll

Bereits in der vergangenen Rückrunde zeigte Kempf, was ihn für eine Mannschaft so überaus wertvoll machen kann. Der Verteidiger gehört in der abgelaufenen Saison zu den kopfballstärksten Spielern der gesamten 2. Bundesliga - nur zwei gewannen mehr Kopfballduelle als er. Kempf bringt seine enorme Sprungkraft und das gute Timing defensiv wie offensiv ein - 2023/24 erzielte er vier Tore nach Standardsituationen. Hinzu kommt Kempfs bemerkenswerte Dynamik, die ihn zu einer verlässlichen Konterabsicherung macht.

Unter Herthas neuem Trainer Cristian Fiél schien Kempf noch eine weitere Stärke zeigen zu können. Der neue dominante Ballbesitz-Fußball ließ ihn nahezu aufblühen. In der Saisonvorbereitung war er womöglich der größte Gewinner der Taktikumstellung, spielte so selbstbewusst auf wie nie zuvor. Nach drei Partien hatte Kempf die sechstmeisten erfolgreichen Pässe aller Zweitliga-Spieler gespielt, hinzu kommt die sechstbeste Quote bei langen Bällen.

Zudem verzeichnete bislang nur ein Innenverteidiger in der 2. Liga mehr progressive Läufe mit Ball als Kempf. Der Linksfuß trug die Kugel immer wieder bis in die gegnerische Hälfte, um dort das Spiel auszulösen. So wurde Kempf im Ballbesitz schon beinahe zu einem verkappten zentralen Mittelfeldspieler, also genau zu dem, was Trainer Fiél sich von seinen Innenverteidigern situativ wünscht. Kempf und Fiél - es schien ein wunderbares Match zu sein.

Es fehlt gleichwertiger Ersatz

Umso stärker schmerzt der plötzliche Abgang des 29-Jährigen. Zwar verfügt Hertha rein quantitativ über genügend Ersatz, doch keiner der Berliner Innenverteidiger kann den so großen Aufgaben- und Verantwortungsbereich Kempfs nahtlos übernehmen.

Kapitän Toni Leistner ist zwar führungs- und kopfballstark, doch fehlt es ihm an Tempo und technischem Vermögen, um zum einen die neuerdings so hochstehende "alte Dame" zu schützen und zum anderen das Aufbauspiel konstruktiv anzukurbeln. Marton Dardai ist zwar spielerisch überaus begabt, doch auch er hat Defizite im Tempo. Noch viel schwerwiegender ist aber, dass der 22-Jährige im Zweikampf - am Boden, aber vor allem in der Luft - Robustheit und Konsequenz vermissen lässt. Pascal Klemens ist zwar sehr talentiert, jedoch hat er im Profibereich noch keinerlei Erfahrung als Innenverteidiger und auch er ist längst nicht so kopfballstark wie Kempf.

So können die zahlreichen Alternativen zwar jeweils einzelne Eigenschaften Kempfs auffangen, doch im Gesamtprofil ist kein Innenverteidiger bei Hertha so "rund" aufgestellt wie er. Ohne Nachverpflichtung droht Herthas Abwehrzentrale ein immenser Qualitätsverlust.

Hertha ist an finanzielle Realitäten gebunden

Kempfs Abgang zeigt die bittere Realität eines wirtschaftlich angeschlagenen Zweitligisten auf, der stets damit rechnen muss, Achsenspieler kurz vor Transferende noch zu verlieren. Es kann kaum eine Resilienz gegen jene Angebote geben, da Hertha sportlich wie finanziell wenig entgegensetzen kann. Erst ging Torschützenkönig Haris Tabakovic, nun Kempf, dessen Gesamtbedeutung für die neue Spielphilosphie sogar noch höher einzuschätzen ist. Ob Spieler wie Fabian Reese oder Ibrahim Maza über den Sommer hinaus bei Hertha bleiben, steht noch in den Sternen. So droht Hertha mitten in der Saison ein Mini-Umbruch.

Ob wirtschaftlich sinnvoll oder nicht - der Abgang von Marc Oliver Kempf ist ein sportlich herber Verlust und somit eine Gefährdung der Aufstiegsziele Herthas. Sollte die "alte Dame" die Erstligarückkehr auch aufgrund solcher Abgänge verpassen, drohen wirtschaftliche Konsequenzen, die nicht von Transferseinnahmen in einstelliger Millionenhöhe aufgefangen werden können. Ein äußerst undankbarer Drahtseilakt für Herthas Verantwortliche.

Sendung: rbb24 Inforadio, 28.08.2024, 17 Uhr

Beitrag von Marc Schwitzky

13 Kommentare

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  1. 13.

    Es ist in Como nunmal schöner als in Charlottenburg, und Reisende soll man nicht aufhalten.

  2. 12.

    Warum wieder? Dies ist die erste Saison, wo das Ziel Aufstieg vom Verein ausgerufen wurde. In der letzte Saison wurde nur von aussen und den Medien davon fabuliert.
    Ich finde sowieso nicht, das Kempf ein so goßer Verlust ist. Er war sehr Fehleranfällig mit immer wiederkehrenden Aussetzern. Das können auch andere.

  3. 11.

    Der Aufstiegstraum hängt an vielen Personen, aber der Abgang von drei Schlüsselspielern, die nicht umsonst lukrative Angebote in höheren Ligen erhalten, ist nun wirklich keine unzulässige Ausrede für einen für mich hochwahrscheinlichen Nichtaufstieg. Leider ist Hertha für ambitionierte Spieler nur ein Sprungbrett. Wirklich schlimm ist es, wenn Hertha den Nichtaufstieg wirtschaftlich nicht verkraftet.

  4. 9.

    .... wenn der Aufstiegstraum an einer Person hängt ist es traurig! Andererseits ist es die beste Ausrede die man haben kann, wenn der Aufstieg wieder nicht klappt (und das wird er nicht).

  5. 8.

    Pflichte Ihnen bei, auch mit den guten Wünschen, denn Herr Kempf ist anscheinend ein guter Kerl.

    Wie immer wird alles so ins tragische überspitzt beim rbb Kommentar, ähnlich wie zuletzt Herr Kruse, hat nun auch Herr Schwitzky unfassbar viele Worte für eine völlig alltägliche Sache im Profifußball gewählt.

    Der letzte Absatz in diesem Bericht hätte für die realistische Sicht auf die verflucht schlechte Situation, in welcher sich mein Verein befindet, total gereicht.

    Daher Herr Weber bitte weiter auf dem Berliner Weg gehen, wenn er auch sehr steinig ist.

    Ha Ho He

  6. 7.

    Sorry RBB ihr seit zu langsam . Als Kempf Ersatz kommt ablösefrei Brooks zurück

  7. 6.

    Standards kann man sehr wohl trainieren!!!
    Auch,wenn jemand zu langsam ist…
    Meistens sind im Fußball die ersten 5-6m entscheidend,da muss ich am Gegner vorbei sein!!!
    Auch Sprinttrainig kann man einbauen!!!
    Vielleicht mal einen Sprinttrainer fragen,was möglich ist?!

  8. 5.

    Zu 100%
    Zu viel Gehalt, 2 Mio sind gut
    und immer fürn 11er oder rote Karte gut.
    da helfen die neuen Statisken auch wirklich weiter.
    Jetzt wird Brooks als Ersatz gehaltet, dürfte eine Null Runde werden, oder wenig Überschuß übrig bleiben.

  9. 4.

    Der ist schon seit reeses Verletzung stark gefährdet.

  10. 3.

    Det Abgang schmerzt, ist aber auch keine Katastrophe. Selbst Kempf hatte regelmäßig Aussetzer (Düsseldorf…). Und auch mit ihm wäre das Team nicht gut genug besetzt um aufzusteigen. Daher lieber die wirtschaftliche Basis konsolidieren und den einen oder anderen ziehen lassen.

  11. 2.

    Ich persönlich bin froh, dass Kempf sich einem neuen Verein angeschlossen hat. Meiner Meinung nach hat es zwischen ihm und Hertha einfach nicht gepasst. Prädestiniert ist das erste Spiel der Saison, wo er in der 35. Minuten gelb rot gefährdet ausgewechselt werden muss. Leider hat er aus meiner Sicht zu oft die falschen Entscheidungen getroffen und war im Tackling oft zu spät. Finanziell ist der Deal für mich ok, da er ja noch einen Vertrag aus der Bundesliga Zeit hatte und damit auch relativ viel Gehalt erhalten haben müsste.
    Trotzdem wünsche ich ihm viel Erfolg in Italien.

  12. 1.

    Sehr guter Kommentar. Trifft ins Schwarze.
    Die Mannschaft wird sukzessive nicht verstärkt, sondern leider immer weiter geschwächt. Mit einem mittelmäßigen Kader kann bei der Konkurrenz in der zweiten Liga kein Aufstieg gelingen.
    Schon mit Kempf war das Kopflballspiel von Hertha, besonders bei Standardsituationen des Gegners die Schwachstelle.
    Leider lässt sich zudem Herr Weber regelmäßig von erfahrenen Managern bei den Ablösesummen über den Tisch ziehen.

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